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# taz.de -- Finanzbetrug vor Gericht: Cum-Ex-Deals sind strafbar
> Erstmals sind zwei Banker wegen der betrügerischen Geschäfte verurteilt
> worden. Weil sie viel zur Aufklärung beitrugen, gab es aber
> Bewährungsstrafen
Bild: Die Haftstrafen für die Banker (gepixelt) wurden vom Bonner Landgericht …
Bonn dpa | „Cum-Ex“ ist strafbar. In Tagen, an denen der Ausnahmezustand
fast zur Normalität geworden ist, klingt das fast banal. Doch dieses Urteil
des Bonner Landgerichts, mit dem der bundesweit erste Strafprozesses um die
umstrittenen Aktiendeals zu Ende geht, ist bislang noch von keinem Gericht
ausgesprochen worden. Über Jahre hinweg hatten „Cum-Ex“-Akteure beteuert,
lediglich sehr listig eine Gesetzeslücke ausgenutzt zu haben – oder tun das
immer noch. Von der Justiz war bislang nur geklärt worden, dass „Cum-Ex“
steuerrechtlich nicht zulässig ist.
Mit „Cum-Ex“-Deals prellten Investoren und Banken den Staat über Jahre
hinweg um Milliarden. Rund um den Dividendenstichtag wurden Aktien mit
(„cum“) und ohne („ex“) Ausschüttungsanspruch zwischen mehreren Beteil…
– Banken, Investoren, Fonds – hin- und hergeschoben. Am Ende konnte der
Fiskus nicht mehr nachvollziehen, wem die Papiere wann gehörten. Die Folge
der Karussellgeschäfte: Bescheinigungen über Kapitalertragsteuern und den
darauf entfallenden Solidaritätszuschlag wurden mehrfach ausgestellt.
[1][Finanzämter erstatteten Steuern, die gar nicht gezahlt worden waren].
In Bonn wurde konkret über 33 Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung
verhandelt, bei denen die zwei angeklagten britischen Aktienhändler eine
wichtige Rolle spielten. Da beide jedoch über Monate hinweg der
Staatsanwaltschaft Rede und Antwort standen und auch in dem seit September
laufenden Mammutprozess in Bonn bereitwillig redeten, vorrechneten und
Hinweise gaben, kommen sie nun mit relativ milden Strafen davon. Ein Jahr
und zehn Monate Haft auf Bewährung für den einen Angeklagten, der zudem
noch rund 14 Millionen Euro an Steuerschulden zurückzahlen muss. Der zweite
Angeklagte kommt mit einem Jahr auf Bewährung davon, in Teilen der Anklage
sogar mit einem Freispruch.
## „Größter Steuerraub in der Geschichte“
Der Vorsitzende Richter Roland Zickler betonte, die beiden Briten hätten
mit ihrer Offenheit gegenüber den Ermittlern überhaupt erst den Boden für
das Verfahren bereitet – und damit für viele weitere. Das dürfe nicht dazu
führen, dass sie als „große Cum-Ex-Täter“ hingestellt würden. „Die
Angeklagten haben an der Entstehung immens hoher Schäden mitgewirkt, sie
waren aber nicht die Taktgeber“, so Zickler. Damit entspricht das Gericht
im Groben den Forderungen der Anklage, die härtere Strafen auch nicht für
angemessen hält. „Das würde verschleiern, dass der größte Steuerraub der
deutschen Geschichte nicht von zwei Menschen begangen wurde, sondern von
Hunderten“, so Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker in ihrem Plädoyer.
Die Privatbank M.M. Warburg, [2][die von den angeklagten Geschäften
profitiert hatte], muss nach dem Willen des Gerichts als sogenannte
Einziehungsbeteiligte nun gut 176 Millionen Euro Steuerschulden zahlen.
Dass der Fall vor den Bundesgerichtshof in Karlsruhe geht, gilt als
wahrscheinlich. Um Revision zu beantragen, haben alle Beteiligten nun eine
Woche Zeit.
## Kurzer Prozess wegen Corona-Krise
Dass Warburg am Ende nur noch als einzige Bank hinter den Angeklagten im
Verfahren sitzt, ist die überraschende Wendung, die der Mammutprozess
Anfang dieser Woche nahm. Weil die Corona-Pandemie das öffentliche Leben
zunehmend zum Erliegen bringt, sah sich das Gericht gezwungen, den Prozess
massiv abzukürzen. Andernfalls hätten die beiden britischen Angeklagten
womöglich Probleme gehabt, zurück nach Hause zu kommen. Oder: Wegen zu
langer Unterbrechung hätte der Prozess nach der Krise im schlimmsten Fall
komplett neu aufgerollt werden müssen – samt Anklage, Zeugen und all dem
mühsamen Klein-Klein. So gliederte man vier weitere beteiligte Banken am
Montag kurzerhand aus dem Verfahren aus, da man sonst wohl noch bis nach
Ostern hätte tagen müssen.
Stattdessen bemüht sich das Gericht am Mittwoch also mit Nachdruck, den
straffen Zeitplan samt Plädoyers und Urteil durchzuziehen – selbst die für
den zweisprachigen Prozess unabdingbaren Dolmetscher müssen zuweilen auf
eine Verschnaufpause verzichten. „Dass dieser Gerichtsaal eine der letzten
Inseln ist, in denen das Leben noch halbwegs normal weitergeht, wäre Stoff
für einen eher platten Science-Fiction-Film“, bemerkt Verteidigerin Hellen
Schilling in ihrem Plädoyer, für das sie dank der kurzfristigen
Terminierung eine Nachtschicht einlegen musste. „Stattdessen ist das die
Realität.“ Dass dies kein normaler Prozesstag ist, bleibt trotzdem
unübersehbar. Zwischen Journalisten und Zuschauern bleiben jeweils
Zwangsplätze frei, eine ältere Schöffin ist mit ihrem Stuhl in die letzte
Ecke des Raumes gerückt, jedes Husten wird mit nervösen Blicken quittiert.
## Ermittlungen gegen vier weitere Banken
Für die vier Banken, die nun zumindest in diesem Prozess keine Zahlung
fürchten müssen, ist damit jedoch keine Entwarnung gegeben. Gegen alle
laufen weitere Ermittlungen, sie werden sich in anderen Prozessen
verantworten müssen. „Dieses Urteil markiert nicht den Abschluss der
Ermittlungen“, meint Oberstaatsanwältin Brorhilker, der an diesem Tag ein
wichtiger Etappensieg in ihrem jahrelangen Kampf gegen Steuertrickser
gelungen ist. „Dieses Urteil markiert den Anfang der Aufarbeitung eines
massiven Problems.“
Zwar können die beiden Briten nach dem Urteil nun vorerst zu ihren Familien
nach Großbritannien fliegen – ganz den Rücken zuwenden dürfen sie
Deutschland allerdings nicht. In einem weiteren „Cum-Ex“-Prozess am
Landgericht Wiesbaden gehören sie ebenfalls zu den Beschuldigten. Am Bonner
Gericht, wo das für die Erstattung für Steuern zuständige Bundeszentralamt
für Steuern sitzt, rechnet man indes mit einer weiteren Prozessflut.
„Cum-Ex“ wird also bleiben – auch lange nach der Corona-Krise.
19 Mar 2020
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