# taz.de -- Der Hausbesuch: Zeigen, wie das Herz aufgeht | |
> Nicht Reichtum macht das Leben schön, sondern gutes Essen und Gäste, die | |
> man bewirten kann. So spürt Besima Hasanic die Armut nicht. | |
Bild: Bessima Hasanic in Ihrem Wohnzimmer: Hier empfängt sie gerne Besuch | |
Besima Hasanic kam nach Berlin wegen der Liebe. Das war noch vor dem | |
Bosnienkrieg. Seither kämpft sie, ohne den Mut zu verlieren. | |
Drinnen: Der Flur ist eng in der Wohnung in dem Mehrfamilienhaus aus den | |
60er Jahren und das Wohnzimmer klein. Vom runden Tisch her duften | |
Bratäpfel. Unter einem Rokoko-Kommödchen steht eine türkische Kaffeekanne. | |
Daneben eine orientalische Messinglampe und ein barock anmutender Schrank. | |
Auf einer bunten Truhe mit Eisenbeschlägen steht ein Pfennigbaum und | |
streckt alle Äste Richtung Balkontür. | |
Draußen: Vom Balkon aus übersieht man einen hübsch angelegten Platz in | |
Berlin-Wilmersdorf, der zur Hälfte einer Straßen-Unterführung geopfert | |
wurde. Immerhin fließt deshalb an den Häusern nicht zu viel Verkehr vorbei. | |
Alte Bäume, ein Bäcker, ein kleines Kino und Läden vermitteln Kiezflair. | |
Die Deko: Ein dunkles Behältnis auf dem Schrank entpuppt sich als hölzerner | |
Papierkorb. Er ist mit einem Früchtestillleben bemalt. „Ein Geschenk von | |
meiner nach Kanada ausgewanderten Schwester“, sagt Besima Hasanic. Zwei | |
Schwestern wanderten Ende der 1990er Jahre nach Kanada aus, als die | |
Bundesrepublik Deutschland ihre Duldungen als Kriegsflüchtlinge nicht mehr | |
verlängern wollte. In Calgary fanden deren Männer angemessene Jobs, „sie | |
können ihre Miete bezahlen“. Auch die Schwestern fanden Arbeit. So konnten | |
sie ihre Töchter studieren lassen. | |
Die Truhe: „Die Truhe habe ich von meinem Großvater“, sagt Besima Hasanic. | |
Es habe 70 Euro gekostet, sie von Bosnien nach Berlin transportieren zu | |
lassen. Die Truhe erinnert sie an die Sommer, die sie in der Heimat | |
verbringt. Dort treffen sich heute die verstreut lebenden Geschwister samt | |
Kindern einmal im Jahr. „Unser Elternhaus liegt in Jugoslawien.“ Für sie, | |
die vor dem Bosnien-Krieg nach Berlin kam, ist Jugoslawien nicht nur mehr | |
ein Traum. „Ach, dieser Vertrag von Dayton ist so eine Scheiße“, sagt sie. | |
Der Vertrag habe das Multikultiland auseinandergerissen. Das Haus der | |
Eltern bekamen sie erst nach langem Hin und Her zurück, als die | |
Pflegebedürftigkeit der Mutter es erzwang. Es liegt in Doboj, was heute zur | |
Region Srpska, dem serbischen Teil von Bosnien und Herzegowina, gehört. | |
Ihre Familie hingegen gehörte zu den Bosniaken. Vor dem Krieg bildeten | |
diese – als ehemalige ottomanische Beamte muslimisch – in Doboj die | |
Mehrheit. Besima Hasanics Familie lebte weltlich, feierte das Zuckerfest, | |
Weihnachten und Ostern: „Wir machten alle Feste mit.“ Der Vater hatte eine | |
gut bezahlte Tätigkeit als Vorarbeiter, die Mutter kümmerte sich um den | |
Gemüsegarten und das Haus. Alle fünf Kinder studierten. Besima Hasanic | |
wurde Verwaltungsangestellte. | |
Subsistenzwirtschaft: Im Bosnien-Krieg 1992 bis 1995 flohen eine Million | |
Bosnier außer Landes, heute leben dort kaum noch drei Millionen Menschen. | |
Fremde kamen damals ins Haus und bedrohten die Eltern. Die versteckten | |
sich. Jedes Mal, wenn sie dann doch wieder zurück konnten, fehlten mehr | |
Dinge. Eines Tages kam die Armee und sagte zu den Eltern: „Sie haben fünf | |
Minuten Zeit, Ihr Haus zu verlassen.“ Die Eltern flohen aufs Land, in die | |
kleine großelterliche Hofstatt im Dorf Tesanj. Sie bestellten den Garten | |
und hielten Ziegen. Die Mutter räucherte den Käse und gab ihn auch den | |
Kindern mit, die schon vor dem Krieg nach Berlin gegangen waren. | |
Auseinandergerissen: Am Ende des Kriegs waren die Eltern allein, alle | |
Kinder waren geflohen. Später kehrte Besima Hasanics Bruder wieder zurück, | |
seine Schwestern im Ausland halfen ihm über die langen Jahre der | |
Erwerbslosigkeit hinweg. „So konnte er seine Kinder groß bekommen, alle | |
haben gegeben, auch ich habe gegeben.“ Zudem sammelte sie abgelegte | |
Kleidung. Sie gab sie den Busfahrern nach Bosnien mit, damit der Bruder sie | |
auf Flohmärkten verkaufen konnte. | |
Früher: „Vor dem Krieg war es schöner“, sagt sie. „Alle hatten | |
Anstellungen, es gab eine Krankenversicherung, eine Rente und keine | |
Kriminalität. Keiner hatte Angst. Alle konnten zur Schule und sogar zur | |
Universität. Heute laufen in Sarajewo viele Frauen tief verschleiert herum | |
und es gibt viel mehr Moscheen als früher. Alles wirkt so dogmatisch.“ | |
Familie: Als junge Erwachsene trafen sich die Geschwister oft mit den | |
Cousinen und gingen am Wochenende gemeinsam tanzen. Einmal lag bei ihrer | |
Cousine ein Foto von ihr. „Diese Frau muss ich kennenlernen!“, meinte da | |
ihr späterer Mann zur Cousine. Aber Besima, damals um die 30, war nicht | |
interessiert. Er ließ nicht locker. Nach einem Jahr heiratete sie ihn doch | |
und ging mit ihm nach Deutschland. „Er hatte Geschmack und er konnte | |
alles.“ | |
Die Deutschlehrerin: Ende der 1980er also kam sie nach Berlin. Zunächst | |
durfte sie vier Jahre lang nicht arbeiten, das Gesetz war so. Sie belegte | |
an der Volkshochschule Sprachkurse und hatte eine tolle Deutschlehrerin. | |
Diese schlug ihr vor, sich zur Sozialarbeiterin ausbilden zu lassen. Die | |
Ausbildung dauerte drei Jahre. Leider hat sie das Anerkennungsjahr dann | |
nicht mehr gemacht. Es ging ihr zu schlecht. Die Ehe war kaputt. | |
Schicksal: Der Ehemann hatte sich als Trinker erwiesen. Sie hatte die | |
Scheidung beantragt. Sie saß schon vor dem Scheidungsrichter, aber wer | |
erschien nicht: ihr Mann. Er war unter einen Bus geraten und lag schwer | |
verletzt im Krankenhaus. Sie besuchte ihn sofort, kümmerte sich täglich um | |
ihn; er überlebte nicht. Nach seinem Tod wurde ihr die gemeinsame Wohnung | |
zugesprochen und sie bekam eine kleine Witwenrente von 340 Euro. Die sind | |
heute der Grundstock für ihre Miete, die bei 450 Euro kalt liegt. | |
Sozialarbeiterin: Immerhin konnte sie mit ihrer Ausbildung ein paar Jahre | |
in einem Flüchtlingszentrum in Frohnau arbeiten. Sie arbeitete mit Kindern | |
und Erwachsenen. „Das war sehr schön für uns alle.“ Das Heim lag idyllisch | |
im Wald und die Stimmung war gut. Sie wurde regulär bezahlt, wenn auch | |
nicht sehr hoch, weil ihr das Anerkennungsjahr fehlte. Aber dann wurde die | |
Einrichtung leider geschlossen. | |
ABM-Kraft: Daraufhin arbeitete sie vier Jahre für verschiedene Flüchtlings- | |
und Altenheime und in der Einzelfallhilfe – auf | |
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme-Stellen, die vom Arbeitsamt bezahlt werden. Als | |
ihre letzte ABM-Stelle auslief, was die Chefin sehr bedauert haben soll, | |
fragte diese, ob Hasanic nicht wenigstens ihren Kochkurs weitermachen | |
möchte. Hasanic hatte angefangen, mit alten Menschen und Demenzkranken zu | |
kochen. Alle liebten sie. Schließlich übernahm sie den Kochkurs ganz, für | |
jeweils einen ganzen Tag in der Woche, für 230 Euro im Monat. Daneben lebt | |
sie von ihren Einzelfallhilfen. Das heißt, sie kümmert sich im Auftrag des | |
Sozialamts um alte und kranke Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die | |
hier alleine sind. Das Sozialamt zahlt jedoch kaum mehr als den | |
Mindestlohn. | |
Glück: Aber bosnische Familien halten zusammen. Ihre heute schon | |
erwachsenen Nichten schenken ihr mal eine Ferienreise in die Türkei oder | |
sogar nach Singapur, wo eine von ihnen mit ihrem Ehemann lebt. Denn die | |
Familien der Kriegsflüchtlinge des Jugoslawien- und Bosnienkriegs sind | |
heute über die ganze Welt verteilt. Als Deutschland Ende der 1990er Jahre | |
begann, die Kriegsflüchtlinge in das zerstörte Bosnien zurückzuschicken, | |
zogen viele weiter. Ihre Kinder wurden Weltbürger. | |
Asylstation: Die Nichten haben nie vergessen, dass ihre Tante sie und ihre | |
Eltern allesamt in ihrer kleinen Wohnung aufnahm, als sie 1992 vor den | |
Gräueln des Bosnienkriegs flohen. Als Kinder fanden sie das große | |
Matratzenlager, auf dem sie alle gemeinsam schliefen, ohnehin super. | |
Der wirkliche Alltag: Besima Hasanic weiß, dass Migranten meistens die | |
schlechteren Karten haben, in Krisen als Erste ihre Anstellungen verlieren. | |
Aber Besima Hasanic ist ein Mensch der Tat. Wenn das Finanzamt ihr | |
vorschreiben will, so wie neulich, sie als kleine Freiberuflerin müsse ihre | |
Steuererklärung ab sofort online abgeben, geht sie hin zum Amt. Dort | |
erklärt sie, dass sie in ihrem bisherigen Berufsleben weder einen PC | |
brauchte noch die 400 Euro für einen Steuerberater hat. Damit hat sie fast | |
immer Erfolg. „Ich war immer fleißig, habe nie Sozialhilfe beantragt. | |
Zusammen mit meiner Rente, der Einzelfallhilfe samt Kochkurs habe ich heute | |
1.100 Euro, davon kann ich leben.“ | |
Das gute Leben: Aber sie lasse sich die Laune nicht verderben und mache | |
nur, was ihr Spaß macht. An Sonntagen trifft sie ihre in Berlin gebliebene | |
jüngste Schwester. Sie kochen zusammen, machen Ausflüge, letztes Jahr waren | |
sie sogar an der Ostsee. „Kein Reichtum, wenig Stress, aber viel Spaß.“ | |
Besima lacht dröhnend. „Gemeinsam kochen und essen, Gäste haben, ist doch | |
das Beste“, sagt sie. | |
29 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Meyer-Renschhausen | |
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