# taz.de -- Der Hausbesuch: Humanismus als Grundton | |
> Edding ist ein Stift. Bei Miriam Edding hängt an dem Wort nicht nur ein | |
> Filzstift, sondern die Suche nach einer gerechten Welt. | |
Bild: Erbin, Aktivistin, Leserin: Miriam Edding ist viele gleichzeitig | |
Eigentum verpflichtet, ist die Maxime von Miriam Eddings Vater. Bei seiner | |
Tochter fällt das auf fruchtbaren Boden. Deshalb hat sie die von ihm | |
gegründete Stiftung „:do“ aufgebaut und beschäftigt sich dabei vor allem | |
mit den Themen Flucht und Migration. Ein Besuch in Hamburg. | |
Draußen: Der Kiez hinter der Johanniskirche in Altona gilt unter | |
Hamburgfans als Traumgegend. Wohnungen in den Gründerzeithäusern sind | |
begehrt. Neben einem der Häuser steht eine 200 Jahre alte Blutbuche. Einige | |
Eigentümer würden sie gerne fällen, die Wurzeln drängten ins Haus. | |
„Glücklicherweise ist es nicht erlaubt“, sagt Miriam Edding. | |
Drinnen: Überall in der Altbauwohnung liegen Bücher. Auf Tischen, auf | |
Regalen, auf Sesseln, auf dem Boden, auch in der Küche. | |
Übereinandergetürmt, aufgeschlagen, mit Buchzeichen versehen. „Kein | |
Zweifel, Lesen bildet“, sagt Edding. Und dass Lesen ein Vergnügen sei, sagt | |
sie auch. „Lesezimmer“ nennt sie einen der vier Räume in ihrer Wohnung. | |
„Ein Luxus.“ | |
Christrosen: Am kleinen Balkon hinter der Küche, wo sie mitunter rauchend | |
sitzt und auf einen Ahorn blickt, hängt ein halbes Dutzend Blumentöpfe | |
nebeneinander. In allen blühen Christrosen in zartem Pastellgrünviolett, | |
das sich von seiner Farbe heErbin, Aktivistin, Leserin: Miriam Edding ist | |
viele gleichzeitigr als Blattwerk tarnt. Freundinnen hätten ihr die | |
Christrosen geschenkt, weil sie wussten, dass Eddings Mutter, die das sonst | |
tat, es nun nicht mehr tun kann. Die Mutter ist wenige Tage vor dem 56. | |
Geburtstag von Edding im Dezember gestorben. „Kann sein, dass ich weinen | |
muss, wenn ich an sie denke.“ | |
Edding: Der Edding ist eins dieser Dinge, wo der Markenname fürs Ding | |
steht. Wie bei Tempo, Uhu oder Tesa. Deonyme sind das. Eddings Vater war | |
Kaufmann, arbeitete nach dem Krieg in Hamburg in einem japanischen | |
Import-Export und interessierte sich für Neues, was aus Japan kam. | |
Filzstifte waren so ein Hit. Eddings Vater entwickelte sie weiter und | |
machte sich mit einem Kompagnon selbstständig. „Keine 08/15-Produkte hat er | |
verkauft“, darauf habe der Vater Wert gelegt, sagt die Tochter. | |
Soziale Unterschiede: Ihre Eltern hätten nie auf Status geschaut. Ihre | |
Mutter sei den Menschen sehr zugewandt gewesen, so tolerant, so offen, so | |
großherzig. Miriam Eddings Liebe für die Mutter, die eine Pazifistin war | |
und das „Nie wieder“ gelebt habe, ist groß. Wenn sie über sie spricht, | |
nimmt ihre Stimme einen weichen, leisen Ton an. Dass es aber doch | |
Unterschiede gibt, die etwas mit den finanziellen Ressourcen zu tun haben, | |
das lernte sie, als ein Nachbarsjunge ihr das Taschengeld klaute. Seine | |
Familie war nicht wohlhabend. „Ich weiß nicht, ob er aus Scham oder weil es | |
ihm verboten war, von da an nicht mehr zu uns nach Hause kam.“ | |
Politisch denken: Dass Edding gesellschaftskritisch ist, | |
antikapitalistisch, antimilitaristisch, feministisch, das habe sich fast | |
logisch ergeben. „So kämpfen fürs Gute wie Winnetou“ – das habe sie | |
beeindruckt als Kind. Sie war im Jugendbund für Naturschutz. Alles sei dort | |
selbst organisiert worden. Irgendwohin fahren, Wandern, Vögel beobachten, | |
im Wald klarkommen; dann aber auch gegen Atomkraft demonstrieren und gegen | |
den Nato-Doppelbeschluss, der es erlaubte, dass Atomwaffen in Deutschland | |
stationiert werden. „In der Schule waren viele so drauf“, erzählt sie, „… | |
an der Uni dann auch“. Ihre Mutter sei eher ängstlich gewesen, „aber sie | |
hat das immer unterstützt, dass ich mich idealistisch für das Gute | |
einsetze“. Edding hat Sozialpädagogik studiert. Ob sie auch ein Punk war? | |
„Nein, das fehlt mir ein bisschen.“ | |
Die Erbin: Miriam Edding hat eine Schwester, „wir haben beide keine | |
Kinder“. Als sich der Vater aus dem Unternehmen zurückzog, seinen Anteil an | |
den Kompagnon verkaufte und seinen Töchtern ein vorgezogenes Erbe | |
vermachte, sagte er zu ihnen, dass sie ja wohl nicht das ganze Geld | |
bräuchten, und gründete 2005 eine Stiftung. Er wollte, dass Miriam Edding | |
sie aufbaut. „Ich mache es nur, wenn du mir nicht reinredest“, sagte sie | |
zum Vater. Und der ließ sich darauf ein. | |
Tun: Der Titel der Stiftung ist „:do“. Das Wort gibt es in mehreren | |
Sprachen, nicht nur im Englischen, wo es „tun, machen“ heißt. Im | |
Lateinischen heißt do „ich gebe“, im Koreanischen bedeutet es „der Weg, … | |
Ziel“. Den Namen hat sich der Vater ausgedacht. Die Stiftung unterstützte | |
kleine Projekte, die den Nationalsozialismus und die deutsche | |
Kolonialgeschichte aufarbeiten und sich für globale soziale Rechte | |
einsetzen. Seit 2009 allerdings werden ausschließlich Projekte im Bereich | |
Flucht und Migration unterstützt. Das Stiftungskapital ist nachhaltig | |
angelegt. Im Sommer 2015, als sich wegen der Kriege in Syrien, Irak und | |
Afghanistan besonders viele Menschen auf den Weg nach Europa machten, hat | |
der Vorstand beschlossen, keine Rücklagen zu bilden. „Wir setzen | |
stattdessen die gesamten jährlichen Erträge für Projekte der vielen | |
Engagierten ein.“ | |
Das Mutmachendste: „Durch die Arbeit erlebe ich, wie kraftvoll | |
selbstorganisierte Strukturen sein können.“ Geld erleichtere nicht nur die | |
Aufgaben kleiner Initiativen, es ist auch eine Anerkennung, besonders für | |
migrantische Gruppen, die schwer an Förderung kommen. In vielen Gemeinden | |
hätten die antirassistischen Initiativen entscheidend dazu beigetragen, | |
dass rassistische und rechte Stimmungsmache nicht dominant wurde. | |
Das Wutmachendste: Miriam Edding engagiert sich als Aktivistin bei einem | |
Projekt der zivilen Seenotrettung, genauer gesagt dem Alarm Phone. Es ist | |
eine Rund-um-die-Uhr-Hotline für Flüchtlinge, die in Seenot geraten. In den | |
Ländern, die ans Mittelmeer angrenzen, aber auch in Deutschland sitzen | |
Menschen, die angerufen werden können, wenn Flüchtlingsboote in | |
Schwierigkeiten geraten sind. Die Leute von der Hotline verständigen dann | |
die Küstenwachen, das UNHCR, Flüchtlingsorganisationen vor Ort und Schiffe | |
in der Nähe. Durch die Hotline wird klar: Keine der staatlichen | |
Küstenwachen kann behaupten, sie hätte nicht gewusst, dass da Leute im | |
Mittelmeer in Lebensgefahr sind. „Schlimm ist“, sagt sie, „wenn man | |
mitkriegt, dass Boote verschwunden sind, mit denen wir vorher stundenlang | |
in Kontakt waren.“ Das sei „das Wutmachendste“. | |
Denken: Was Geld bewirkt, beschäftigt Edding. Die Stiftungsarbeit war die | |
letzten Jahre ein großer Teil von ihrem Leben. Sie ist nicht angestellt, | |
lebt von ihrem Erbe, „mir ist klar, mir geht es gut“. Weil dieses Privileg | |
verpflichtet, macht sie die Stiftungsarbeit, obwohl der viele | |
Verwaltungsaufwand kein Traumjob sei. „Für die Stiftung:do wäre es super, | |
ich wäre eine talentierte Fundraiserin. Nur, darauf habe ich null Bock.“ | |
Eigentlich findet sie, dass es möglich sein müsste, das ganze Stiftungsgeld | |
aufzubrauchen. Das erlaubt das Stiftungsrecht aber nicht. | |
Widersprüche: Sie ist entsetzt, weil das, was sie überwinden will, weltweit | |
auf dem Vormarsch scheint: Der Krieg in Syrien, Psychopathen an der Macht | |
wie Trump, in Deutschland die rechtsextreme AfD. „Noch vor ein paar Jahren | |
hätte ich mir so was wie den Brexit, Trump, Bolsonaro nicht vorstellen | |
können. Was hatte ich übersehen?“, fragt sie. | |
Keine soziale Welt: Die Neoliberalisierung ganzer Lebensbereiche, das wurde | |
in linken Zusammenhängen kritisiert, „wir haben es gesehen, aber wir | |
konnten es nicht aufhalten. Diese Aufessung der Welt, die private Aneignung | |
von gesellschaftlichem Eigentum, wir konnten es nicht aufhalten.“ Wie eine | |
wirklich soziale und gerechte globalisierte Welt aussehen kann, da fehlen | |
ihr konkrete Visionen. Und sie fände Alternativen zum Geld schön. „Aber in | |
meiner langen Stiftungsarbeit habe ich sie nicht gefunden. Geld ist etwas | |
sehr Trennendes.“ | |
Lebenslang: Trotzdem, „einmal politisiert, kann ich nicht mehr weggucken“, | |
sagt sie. Linkes politisches Denken, ohne Orthodoxie, dafür mit Humanismus | |
als Grundton – dahinter könne sie nicht zurück. „Gerechtigkeit, Freiheit, | |
Gleichheit, Schwesterlichkeit, das müsste es doch sein.“ | |
8 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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