# taz.de -- In die Küche statt in den Krieg: Wenn die Welt größer wird | |
> Wenn Fremde zusammen kochen und essen, entsteht Vertrautheit. So die Idee | |
> von „Cooking for Peace“. Ciska Jansen hat vor zehn Jahren begonnen. | |
Bild: Minna, Yasemin, Ciska Jansen und Reem stehen hinterm Herd | |
Geweißte Wände, eine Tafel, Tische, Stühle – mehr gibt es im Klassenzimmer | |
der Volkshochschule in Berlin-Mitte nicht. Einzige Überraschung in der | |
hinteren Ecke des Raumes ist eine Küchenzeile, genau dort stehen an einem | |
Novemberabend Ciska Jansen und ihr Mann Toby Delius hinter Herd und Spüle. | |
Die beiden sortieren Lebensmittel; legen sie in Schüsseln. In einer sind | |
Auberginen, Zucchini, Tomatenpüree, in einer anderen Mehl, Reis, Eier, eine | |
dritte ist mit Süßkartoffeln, Kandis und Ingwer bestückt. Zwei weitere sind | |
noch leer. Eine „Cooking for Peace“-Session soll hier gleich stattfinden. | |
„Ähm?“ – wie soll das gehen in diesem kargen Raum? „Keine Sorge“, sa… | |
Jansen. Sie hat es schon oft gemacht. Sie ist eine Zauberin. Am Ende wird | |
das Klassenzimmer verwandelt sein. | |
[1][Cooking for Peace], mit etwas Schönem, nämlich Kochen und Essen, etwas | |
Nützliches, Frieden, schaffen – das war ihre Idee. Ciska Jansen hat sich | |
das vor bald zehn Jahren ausgedacht. Unzählige Events hat sie organisiert. | |
Wie „Delicious against Donald“ etwa. Das Gekochte wurde in Kisten gepackt, | |
daraus wurde eine Mauer gebaut, die später eingerissen und in einen | |
Esstisch verwandelt wurde. Sie hat mit palästinensischen und israelischen | |
Jugendlichen zusammen gekocht. | |
Und als die syrischen Flüchtlinge tagelang vor dem Landesamt für Gesundheit | |
und Soziales in Berlin campierten, kochte sie mit Freiwilligen in ihrer | |
eigenen Küche für 80 Leute und mehr und brachte das Essen vorbei. | |
Die bald 60-Jährige ist von Beruf Kunsterzieherin, verdiente aber immer mit | |
Catering ihr Geld. Wenn sie zu erzählen beginnt, fallen ihr ständig neue | |
Events ein, die sie organisiert hat. Derzeit kocht sie für obdachlose | |
Frauen. Meist zahlt sie die Lebensmittel selbst, manchmal bekommt sie | |
Spenden. Gern würde sie viel mehr machen, aber gerade geht es nicht wegen | |
der Gesundheit. „Eigentlich möchte ich, dass andere das nachahmen. Alle | |
können eine Suppe kochen.“ Auf ihre Art jedenfalls hat sie schon sehr viele | |
Menschen erwärmt und freundlich gestimmt. | |
Das soll auch an dem Abend in der Volkshochschule passieren. Fünf | |
Neuberliner und -berlinerinnen öffnen Fünfen, die schon länger in der Stadt | |
leben, ein winziges Fensterchen zu ihrem Herkunftsland. Das tun sie, indem | |
die Neuen mit den Platzhirschen zusammen ein Rezept aus der Fremde kochen. | |
So in etwa das Konzept. | |
Allerdings ist an diesem Abend alles auf den Kopf gestellt. Da ist ein | |
Neuberliner, Quentin aus Hawaii, der noch nie gesehen hat, dass sich | |
Laubbäume im Herbst verfärben. Jetzt lässt er sich von Yasemin, einer | |
gebürtigen Berlinerin deutsch-türkischer Herkunft, sagen, was er tun muss, | |
damit am Ende eine Yayla-çorba, eine Bergsuppe fertig ist. | |
Überhaupt ist das Konzept flexibel. Auch die anderen vier, die Rezepte | |
beisteuern, leben schon eine Weile in der Stadt und sind so neu nicht. Da | |
ist Emeline aus Frankreich, die Kartoffeltarte backen will. Minna, die | |
Finnin, hat Karjalanpiirakka auf den Speiseplan gesetzt. Es sind mit | |
salzigem Milchreis gefüllte Piroggen. Der gebürtige Berliner Hau-Sien, mit | |
Eltern, die aus China stammen, hat eine süße Suppe mit Ingwer | |
vorgeschlagen. Und dann ist da noch Reem, die vor ein paar Jahren aus | |
Syrien floh und gefüllte Auberginen und Zucchini kochen will, weil sie das | |
an ihre „seelenverwundete Heimat“ erinnert. | |
Auf der anderen Seite stehen die sogenannten Altberliner*innen, außer | |
Quentin alle mit deutschem Pass. Stefan, ein IT-ler, Jenny, zurückhaltend | |
und still, Dilara, deutsch-türkisch in gepunkteter Bluse, und eine Frau, | |
die ganz vorsichtig und wie in Zeitlupe um den Tisch geht, da sie MS hat, | |
Ale soll sie hier heißen. | |
Nach einer Weile, die mit Hallo, Wer bist du, Wo ist und Wer hilft wem | |
vergeht, sitzen einige zusammen am Tisch und höhlen Zucchini und Auberginen | |
aus, eine mühselige Sache. Einige schälen Kartoffeln oder Zwiebeln, einige | |
schneiden Knoblauch, hacken Petersilie, „nein, die muss viel feiner sein“, | |
insistiert Reem und schickt ihre Assistentin zurück. Jemand walzt Teig aus, | |
jemand lässt sich zeigen, wie die Reisfüllung darauf zu platzieren ist, es | |
ist das finnische Gericht – „ein finnischeres gibt es nicht“, sagt Minna, | |
die hochschwanger ist. | |
Kannst du den Ingwer schälen, fragt Hau-Sien, dessen Name zusammengesetzt | |
sei aus den Worten „zuverlässig“ und „aufbrausend“, wie er erklärt. A… | |
sieht, dass seine Assistentin fürs Ingerwerschälen zum Messer greift, sagt | |
er, sie solle die Haut mit einem Löffel abschaben. „Mit einem Löffel?“ Al… | |
sind überrascht. „Ja, geht leichter“, sagt er. Und wie sich herausstellt, | |
stimmt’s. | |
Die Logistik ist schwierig, es gibt nur einen Backofen und wenige | |
Herdplatten, aber Ciska Jansen, gebürtig in den Niederlanden mit Eltern aus | |
Indonesien und seit 16 Jahren in Berlin lebend, hat ihre Totems | |
mitgebracht. „Die müssen immer dabei sein“, sagt Jansen. Da ist Minke, der | |
wie ein hungriger kleiner Bär mit viel zu langen Gliedmaßen aussieht. Und | |
Dil hat sie auch dabei, ein Krokodil, in das die Hand gesteckt werden kann, | |
um sein Maul aufzureißen. „Stell dir vor, Emeline wollte Dil, das Krokodil, | |
das letzte Mal als Topflappen benutzen.“ Ein Aufschrei: „Nein!“ | |
Um halb acht warnt Jansen, „noch 30 Minuten“, es sieht nicht aus, als würde | |
es klappen. „Es hat immer geklappt“, sagt Yasemin. Und ja, es stimmt, um | |
acht steht alles auf dem gedeckten Tisch. Es ist ein erwartungsvoller | |
Augenblick, als die Teller herumgereicht werden. Beim Kosten der Speisen | |
herrscht Stille. Sie währt nur kurz. Denn plötzlich verkleinert sich der | |
Raum, aber die Welt wird größer. | |
Quentin erzählt von der Schönheit Hawaiis und dass er in Berlin auch zum | |
ersten Mal sah, wie es schneit. Er koche zu Hause; seine Mutter könne es | |
nicht. Ale erzählt, dass sie im baden-württembergischen Landeskader der | |
Turnerinnen war, bevor sie krank wurde. Hau-Sien wird gefragt, ob ihm die | |
Menschen in China anmerken, dass er nicht im Land lebt? „Aber so was von, | |
die wollen immer Englisch mit mir reden.“ Seine Ingwersuppe ist das | |
Digestif. | |
Quentin schmeckt die Tarte. „Ich mag Kartoffeln.“ Minnas finnisches Gericht | |
ist Stefans Highlight. „Ich kenne nichts aus Finnland“, sagt jemand. | |
Gefüllte Auberginen und die Joghurtsuppe kommen auch gut an. „Die hat meine | |
Mutter immer aus Reisresten gekocht“, sagt Yasemin. Es schwebt etwas | |
Seliges über dem Tisch. Ein Murmeln. Gespräche. Nähe. Einklang. | |
Erst später kommt noch der Abwasch. | |
26 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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