| # taz.de -- Bürgerräte beraten Regierung beim Klima: Klimaschutz vom Volk emp… | |
| > Wie wird Großbritannien klimaneutral? Die Regierung lässt sich von | |
| > repräsentativen „Bürgerräten“ beraten. Die fordern: weniger Autos, mehr | |
| > Solar. | |
| Bild: Genug Platz für Radfahrer*innen in London – aber nur wegen des Coronav… | |
| London taz | Papier gibt es zuhauf in dem kleinen Büro im Londoner | |
| Stadtteil Bethnal Green. Aber die Flipchartrolle auf dem Tisch sei etwas | |
| „ganz Besonderes“, sagt Simon Burall. Es sind die Ergebnisse des jüngsten | |
| Treffens des nationalen Bürgerrats zur Klimakrise, die hier ausgewertet | |
| werden. Burall arbeitet für [1][Involve], eine Organisation, die Bürgerräte | |
| vorbereitet und durchführt. | |
| 110 Bürger*innen aus allen Teilen Großbritanniens treffen sich seit Januar | |
| regelmäßig in Birmingham, um gemeinsam die Frage zu beantworten: Wie kann | |
| das Land bis 2050 CO2-neutral werden? Und welche Ideen dafür hat die | |
| Bevölkerung? | |
| Die Teilnehmer*innen des Bürgerrats sind zufällig ausgelost, die Daten | |
| stammen aus dem Melderegister. Bei der Auswahl wurden Geschlecht, Alter, | |
| Bildung, Wohnort und Migrationshintergrund berücksichtigt, damit der Rat | |
| ein möglichst breites Abbild der Bevölkerung darstellt. Im Großen und | |
| Ganzen klappen solche Zusammenstellungen, sagt Burall. Sind Kinder zu | |
| betreuen oder mangelt es an Mobilität, suche man eine Lösung, um niemanden | |
| auszuschließen. | |
| Anlass für die Einrichtung des Bürgerrats sind die [2][Schwierigkeiten auch | |
| der britischen Regierung mit der Umsetzung ihrer Klimaziele.] Zwar hat | |
| Großbritannien seit 1990 seine CO2-Emissionen etwa um etwa 45 Prozent | |
| reduziert und liegt damit in Europa in der Spitzengruppe, aber die nächsten | |
| Schritte werden hart. Zu komplex ist das Thema, viele langfristige, auch | |
| unpopuläre Entscheidungen sind notwendig. | |
| ## Parlamentarische Demokratie reicht nicht aus | |
| Die üblichen Instrumente der parlamentarischen Demokratie reichen dafür | |
| offenbar nicht aus. Der Einfluss von Lobbyisten, aber auch die Tatsache, | |
| dass die Abgeordnetenhäuser die Bevölkerung zu wenig widerspiegeln, sorgt | |
| bei den Menschen für das Gefühl, Klimapolitik sei nicht ihre Politik. | |
| Die Labour-Abgeordnete Rachel Reeves aus dem Wirtschaftsausschuss des | |
| Parlaments hatte die Idee für einen Bürgerrat. Wenn es um Entscheidungen | |
| geht, die Lebensweisen, Umwelt, Konsum, Ernährung oder die Art, wie | |
| Wohnungen geheizt werden, verändern sollen, müssten diejenigen gehört | |
| werden, die damit leben müssen, sagt sie. „Der Bürgerrat übernimmt die | |
| wichtige Rolle, die Stimmen informierter Bürger*innen zur Debatte zu | |
| stellen.“ | |
| ## Erstaunliche Ergebnisse | |
| Was dabei möglich ist, zeigen lokale Ergebnisse. Der Klimabürgerrat in | |
| Camden empfahl 2019 einstimmig, Solarzellen auf so vielen Dächern wie | |
| möglich anzubringen. 98 Prozent forderten mehr Baumbepflanzung, | |
| gemeinschaftliche Heizungen und dass die Wohnungen in Camden irgendwann | |
| ohne fossile Energie auskommen, 96 Prozent unterstützten einen Ausbau des | |
| E-Verkehrs, immerhin 86 Prozent plädierten für eine Ernährung, deren | |
| Produktion weniger CO2 ausstoße, und 84 Prozent für mehr Fahrradwege. | |
| Camden akzeptierte diese Empfehlungen als Gesamtpaket. | |
| Auch in anderen Städten gab es konkrete Ideen: Oxford solle schon vor 2050 | |
| das Ziel „klimaneutral“ erreichen, beschloss der dortige Rat. Die Stadt | |
| soll grüner werden, mit mehr Platz für Fahrräder und Fußgänger und weniger | |
| Autoverkehr. Gebäude sollten besser isoliert werden. | |
| ## Breite Akeptanz nur mit breiter Zusammensetzung | |
| Bürgerräte spielen schon in vielen indigenen Kulturen eine tragende Rolle. | |
| Über die USA sei die Idee in den 1970er Jahren nach Großbritannien | |
| gekommen, sagt Experte Burall. „Bürgerräte sind ein Vehikel, um | |
| Problemlagen zu lösen, in denen bedeutende Veränderungen vorgenommen werden | |
| müssen“, fasst Burall zusammen. Gute Ergebnisse, die auch akzeptiert | |
| würden, könne es aber nur geben, wenn die Räte die gesamte Bevölkerung | |
| repräsentierten und nicht nur Parteien oder die Interessen von politisch | |
| sehr gut Informierten. | |
| Bei den Sitzungen gibt es zunächst Input von Expert*innen, die entweder von | |
| der einladenden politischen Ebene oder von den Bürgerräten selbst | |
| ausgesucht werden. Die Lösungen erarbeiten die Teilnehmer*innen dann | |
| unabhängig. Gearbeitet wird in Kleingruppen unter der Moderation von | |
| geschultem Personal. Alle dürfen ihre Lieblingsoptionen nennen. Erst in den | |
| Diskussionen werden diese dann auf immer weniger reduziert. | |
| ## Bürgerräte denken langfristiger | |
| „Der Wert eines Bürgerrats“, sagt Burall, liege im Kompromiss. Ein | |
| Bürgerrat in einer ländlichen Region löse konkrete klimatische | |
| Herausforderungen vielleicht anders als ein städtischer. Für einen weiteren | |
| Vorteil hält Burral, dass Bürgerräte nicht wahlstrategisch und in | |
| Haushaltsperioden denken müssten wie Politiker*innen. Sie könnten sich über | |
| langfristige Entwicklungen Gedanken machen und müssten nicht sofort die | |
| Finanzierung im Kopf haben. | |
| Der Bürgerrat zur Reduktion der CO2-Emissionen sollte Ende März zum letzten | |
| Mal tagen. Eine Regierungssprecherin begrüßte die Ideen der Bevölkerung: | |
| „Um unseren Teil am Klimawandel bis 2050 zu tilgen, brauchen wir Input aus | |
| ganz Großbritannien.“ Derzeit ist die Sitzung wegen der Corona-Krise | |
| allerdings ausgesetzt. | |
| 23 Mar 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.involve.org.uk/about/our-people/associates/simon-burall | |
| [2] /Klimapolitik-in-Grossbritannien/!5642991 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Zylbersztajn | |
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