# taz.de -- Handlungsoptionen für Syrien: Es geht um Menschenleben | |
> Man darf sich nicht von Antipathie gegen Erdoğan leiten lassen. Er führt | |
> in Idlib den Abwehrkampf gegen Assad. | |
Bild: Türkischer Militärkonvoi auf einer Straße in der Nähe von Idlib | |
In diesen Tagen entscheidet sich das Schicksal von mehreren Millionen | |
Menschen, die in absoluter Verzweiflung an der syrisch-türkischen Grenze | |
ausharren. Jede Reaktion auf die aktuelle Eskalation in Syrien muss in | |
erster Linie das [1][Schicksal der Kriegsflüchtlinge] von Idlib im Blick | |
haben. | |
Seit Monaten treibt die Armee des syrischen Diktators Assad bei der | |
Eroberung des letzten Rebellengebiets des Landes die Menschen vor sich her. | |
Ein Ort nach dem anderen wird mithilfe von Russlands Luftwaffe plattgemacht | |
und erobert, meist als menschenleeres Trümmerfeld. Niemand begrüßt Assads | |
Soldateska als Befreier. Die Menschen fliehen vor ihr, bis an der | |
türkischen Grenzmauer Schluss ist. Der syrische Diktator hat nie ein Hehl | |
daraus gemacht, dass er das ganze Land mit Gewalt zurückerobern will – und | |
wer sich je gegen ihn erhoben hat oder auch nur unter Rebellenherrschaft | |
gelebt hat, wird grausam bestraft. Es gibt keinen Frieden für Syrer unter | |
Assad. | |
Niemand auf der Welt hat einen Finger gehoben, um diesen | |
Vernichtungsfeldzug zu stoppen – bis jetzt. [2][Die türkische Armee] greift | |
als Reaktion auf eigene Verluste erstmals die syrische | |
Militärinfrastruktur ernsthaft an. [3][Endlich hält jemand Assads | |
Mordmaschine auf] – und nebenbei führt die Türkei vor, wie schwach das | |
syrische Regime tatsächlich ist. Assad wirft Teenager an die Front und ist | |
ohne russische Kampfkraft hilflos. | |
Natürlich agiert der türkische Präsident Erdoğan nicht aus selbstlosen | |
Motiven, sondern aus machtpolitischen. Aber das ändert nichts am Ergebnis. | |
Jeder Tag, an dem die syrischen und russischen Bomber am Boden bleiben, und | |
jeder Kilometer, den die türkischen Soldaten mit ihren syrischen | |
Verbündeten gutmachen, rettet in Idlib Menschenleben. | |
Aus Europa und speziell in Teilen der linken Politik wird dies von der | |
Antipathie gegen Erdoğan verstellt. Man analysiert politische Optionen | |
nicht unter der Fragestellung, ob sie den Syrern nützen, sondern ob sie | |
Erdoğan nützen. Unter dieser Sichtweise gilt dann Nichtstun als klug. Man | |
versteckt sich hinter dem Gerede von „Islamisten“, um den Abwehrkampf in | |
Idlib zu delegitimieren, und hinter den eigenen Grenzzäunen, um das | |
menschliche Elend nicht anfassen zu müssen. | |
Wenn man Erdoğan so schlimm findet, wieso überlässt man es ihm, die | |
Menschen in Idlib zu schützen? Besser wäre es, Europa und die Nato würden | |
sich selbst an die Spitze des Schutzes der Syrer stellen. Eine | |
Zusammenarbeit mit Russland dabei ist nicht unmöglich; es gab sie bereits | |
im Gebiet der syrischen Kurden. Der Westen hätte schon vor Jahren die | |
Initiative ergreifen können. Aber noch ist es nicht zu spät. | |
1 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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