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# taz.de -- Ex-Polizeipräsident über Shoah-Gedenken: „Man muss auch das Her…
> Der Hamburger Ex-Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch initiiert seit 20
> Jahren Fahrten für Polizeischüler zu polnischen KZ-Gedenkstätten.
Bild: Fand im Vater, einem sozialdemokratischen Polizisten, einen Zeitzeugen: W…
taz: Herr Kopitzsch, warum sind Sie als Historiker zur Polizei gegangen?
Wolfgang Kopitzsch: Als ich 1978 mein Staatsexamen ablegte, herrschte
Einstellungs-stopp für Lehrer. Ich erhielt dann einen Forschungsauftrag der
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, um deren Nachkriegsgeschichte zu
recherchieren. Bald darauf fragte mich die Schulbehörde, ob ich an der
Landespolizeischule Politik, Staats- und Verfassungsrecht sowie Deutsch
lehren wolle. Das hat mich interessiert – zumal mir die Polizei seit
Kindesbeinen vertraut war.
Inwiefern?
Mein Vater war preußischer Polizist – zunächst seit 1928 in Erfurt und ab
1931 in Altona. 1933 allerdings entließen ihn die Nationalsozialisten aus
politischen Gründen: Er war SPD-Mitglied und aktiver Gewerkschaftler. Als
Spezialist für Torpedobau ist er während des Zweiten Weltkriegs dann zum
Glück nicht eingezogen worden. 1945 wurde er in Thüringen wieder
eingestellt und drei Jahre später abermals entlassen, diesmal von
kommunistischer Seite: Er hatte zu laut gegen die Zwangsvereinigung von SPD
und KPD gewettert. Darauf floh er mit meinem älteren Bruder und meiner
Mutter und wurde 1949 Polizist in Hamburg bis zum Ruhestand 1966.
Wurde er nach 1945 entschädigt?
Es gab zwar materielle Wiedergutmachung für die 1933/34 entlassenen
Polizisten. Aber letztlich geht es ja um Anerkennung, und die blieb aus.
Zudem trafen die „Wiedergutgemachten“ nach 1945 oft Kollegen, die im
NS-Staat Karriere gemacht hatten und nun an ihnen vorbeizogen, bis in die
Führungsetagen.
Hat Ihr Vater darunter gelitten?
Ja, besonders in seinen letzten Lebensjahren. Denn er wusste ja, welch
brutale Massenmorde diese Leute teils begangen hatten, etwa im Zuge der
„Bandenbekämpfung“ und beim Holocaust in Polen, der damaligen Sowjetunion
und anderen Ländern Europas.
Haben Sie auch deshalb begonnen, die NS-Geschichte der Polizei zu
erforschen?
Natürlich – zumal ich in meinem Vater einen wichtigen Zeitzeugen hatte.
Meine Examensarbeit habe ich zum Beispiel über den Altonaer Blutsonntag
verfasst, den mein Vater miterlebte.
Den blutig ausgegangenen NSDAP-Aufmarsch durch Altona vom 17. Juli 1932.
Ja. Die KPD Hamburg hatte damals – im Gegensatz zur Parteilinie – dem
individuellen Terror nicht abgeschworen und überfiel den Altonaer SA-Sturm
231, der großteils aus Ex-Kommunisten bestand. Daraufhin haben vor allem
Hamburger Polizisten rücksichtslos geschossen. Die meisten der 18
Todesopfer starben durch Polizeikugeln.
Wo war Ihr Vater damals?
Er war Teil des Vorauskommandos an der Spitze des Zuges und hat den
Überfall nur von Ferne wahrgenommen. Ich habe damals mit vielen Zeitzeugen
gesprochen, und seither hat mich Polizeigeschichte nicht mehr losgelassen.
Zum Beispiel die des Hamburger Reserve-Polizeibataillons 101.
Das war eins von drei [1][Hamburger Bataillons], die 1939 ins von Deutschen
besetzte Polen geschickt wurden. Sie sollten der vorrückenden Wehrmacht
„den Rücken freihalten“, die Bevölkerung einschüchtern und Opposition
unterdrückten. Darunter fällt auch die „Intelligenz-Aktion“, bei der bis
Ende 1939 über 100.000 politisch aktive Menschen getötet wurden, die des
Widerstands verdächtig waren.
Markant war auch der Einsatz am 13.Juli 1942 im Józefów.
Das war der erste Einsatz des Bataillons 101 bei der „Aktion Reinhardt“ im
Zusammenhang mit der „Endlösung“ der Judenfrage – ein furchtbarer Begrif…
Dieses aus älteren Reservisten bestehende Bataillon hat am 13. Juli 1942
den kleinen Ort Józefów in Südpolen umstellt, das Ghetto geräumt und die
Juden in einem nahen Wald erschossen.
Wurden die Polizisten dazu gezwungen?
Nein, und das ist das Besondere an diesem Einsatz, den der US-amerikanische
[2][Historiker Christopher Browning] in dem Buch „Ganz normale Männer“
beschreibt. Vor Beginn des Einsatzes hat der Kommandeur Friedrich Wilhelm
Trapp den Polizisten sinngemäß gesagt: „Wer glaubt, diesem Einsatz nicht
gewachsen zu sein, möge vortreten.“ Das taten zehn bis 15 der rund 400
Polizisten.
Wurden sie bestraft?
Nein. Man hat ihnen andere Aufgaben zugeteilt. Das entsprach übrigens
vollkommen der Ideologie von SS-Chef Heinrich Himmler, die da lautete:
„Generell bringen deutsche,Herrenmenschen' keine Frauen und Kinder um.
Wenn, doch, dann höchstens wegen eines Führerbefehls oder aus ideologischer
Überzeugung.“ Wer sich weigerte, war also ein „guter Arier“ und konnte
nicht bestraft werden – jedenfalls bei SS und Polizei.
Warum haben dann die meisten in Józefów mitgemordet?
Das ist vielschichtig. Einerseits gab es einen Gruppendruck; man wollte
kein „Feigling“ sein. Andere hatten die antijüdische Propaganda
verinnerlicht und töteten aus innerer Überzeugung. Und in einigen Fällen
war es wohl reine Mordlust.
Wie viele Täter des Bataillons 101 wurden nach 1945 angeklagt?
Wenige. 1967/68 gab es ein einziges Verfahren, in dem Offiziere angeklagt
und zu milden Zuchthausstrafen verurteilt wurden. Die Mannschaften wurden
kaum belangt, weil die deutsche Justiz sagte: Die waren nicht klug, die
wussten nicht, was sie taten.
Kann das sein?
Nein! Die Polizisten mussten sich in Józefów ihre Opfer persönlich
aussuchen. Einer sagte, er habe, um es sich leichter zu machen, zusammen
mit einem Kameraden immer Mutter und Kind gewählt. Sein Kamerad erschoss
zuerst die Mutter und dann er – aus „Mitleid“ – das nun mutterlose Kind.
Wenn das kein Mord ist!
Und wie wird heute der Opfer gedacht?
Seit 2016 gibt es im Wald bei Józefów einen Gedenkstein, den zur Hälfte die
Hamburger Polizei, mit Unterstützung des „Polizeivereins“, finanzierte; die
andere Hälfte die Gemeinde Józefów.
Auch Hamburger Polizeischüler steuern Józefów bei ihren jährlichen
Polen-Fahrten an.
Ja, 2001 habe ich die erste Fahrt initiiert, und nach meinem Weggang haben
KollegInnen sie glücklicherweise weitergeführt. Alljährlich können circa 30
PolizistInnen an der zehntägigen Gedenkstätten-Fahrt teilnehmen. Und
während Besuche in der hiesigen [3][KZ-Gedenkstätte Neuengamme] zum
Pflichtprogramm der Polizei-Ausbildung zählen, sind die Polen-Fahrten
freiwillig. Dort besuchen wir unter anderem die KZ und Vernichtungslager
Auschwitz, Auschwitz-Birkenau und Majdanek, das Vernichtungslager in
Bełżec, Józefów, Zamość und Krakau.
Wer fährt mit?
Polizeiauszubildende, aber oft auch ältere Polizisten. Der Andrang ist
groß, und es fahren auffallend viele Frauen und Menschen mit
Migrationshintergrund mit, die sagen: Als deutscher Polizist will ich die
deutsche Geschichte kennen.
Wie reagieren sie auf die Täter-Orte?
Erschüttert. Wenn man mal in einer Gaskammer gestanden hat, bedarf es
keiner Worte mehr. Diese Empathie zu wecken halte ich – natürlich neben
fundierter Information – für wesentlich. Man muss nicht nur den Kopf
erreichen, sondern auch das Herz.
Damit wird man nicht automatisch zum Demokraten.
Nein, aber es ist ein Versuch, und wir freuen uns, dass inzwischen Hunderte
Polizisten in Polen waren. Wichtig für die demokratische
Bewusstseinsbildung ist, dabei immer zu zeigen, dass das NS-Regime eine
Vorgeschichte hatte: Antisemitismus ist nichts Neues, und es bestehen
Kontinuitäten bis heute.
Bieten auch andere Polizeien solche Fahrten an?
Hamburg war Vorreiter, aber inzwischen ziehen andere nach. Thüringens
Polizei etwa bietet seit 2018 verpflichtende fünftägige Workshops zur
Polizeigeschichte an nahen Gedenk-Orten wie Buchenwald oder Mittelbau-Dora.
Regelmäßige Fahrten nach Polen bietet bislang aber nach meiner Kenntnis nur
die Hamburger Polizei.
Haben Sie auch familiäre Verbindungen nach Polen?
Ja. Meine Frau stammt aus einer deutsch-polnischen Familie. Die Mutter
meines Schwiegervaters wurde in einem deutschen Lager in der Nähe von
Bromberg, dem heutigen Bydgoszcz, mit ihren zwei jüngsten Kindern von
Deutschen getötet.
Was war das für ein Lager?
Im Zuge der Eingliederung bestimmter Gebiete Polens ins Deutsche Reich –
etwa des Warthegaus und Westpreußens – wurde die polnische und jüdische
Bevölkerung vertrieben und in Lager, oder in das „Generalgouvernement“
gebracht. Ob die Großmutter meiner Frau an einer Seuche starb oder
verhungerte, wissen wir allerdings nicht.
Waren Sie schon dort?
Wir haben noch nicht die Kraft aufgebracht, hinzufahren und uns den Ort und
den Gedenkstein, auf dem sie erwähnt ist, anzusehen. Aber unser Sohn ist
jetzt 19, und mit ihm werden wir sicherlich hinfahren.
5 Mar 2020
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!5130066&s=Reserve-Polizeibataillon/
[2] https://www.zeit.de/1993/41/ganz-normale-moerder
[3] https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/
## AUTOREN
Petra Schellen
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