| # taz.de -- Gewalt gegen Frauen in Spanien: Nur ein Ja ist ein Ja | |
| > Im Fall von Mißbrauch oder Vergewaltigung stehen häufig die Opfer unter | |
| > Rechtfertigungszwang. Ein neues Gesetz soll das jetzt ändern. | |
| Bild: Demonstration von Frauen am 6. März in Madrid | |
| Madrid taz | Dunkle Farbtöne überwiegen, auch wenn lila Details, ob | |
| Halstuch, Mütze, Handschuhe oder nur ein Anstecker, nicht fehlen dürfen. Es | |
| herrscht eine feierliche Stimmung im selbst verwalteten Kulturzentrum EKO | |
| im Arbeiterstadtteil Carabanchel der spanischen Hauptstadt Madrid. Der in | |
| Madrid bekannte Feministische Chor gibt vor dem Internationalen Frauentag | |
| am 8. März das wichtigste Konzert der Saison. | |
| Doch auch die Politik ist präsent – vor allem, nachdem die seit Januar | |
| regierende Linkskoalition aus der sozialistischen PSOE und der | |
| linksalternativen Unidas Podemos ihren Gesetzesentwurf über „Sexuelle | |
| Freiheit“ vorgestellt hat. | |
| Noch ist nicht alles im Wortlaut bekannt. Aber so viel ist klar. Der Slogan | |
| der Frauenbewegung „Nur Ja ist Ja“ wird künftig im Strafrecht | |
| festgeschrieben sein. „Es ist davon auszugehen, dass es keine ausdrückliche | |
| Einwilligung gab, wenn das Opfer nicht frei durch externe, schlüssige und | |
| unmissverständliche Handlungen zum Ausdruck gebracht hat, an dem Geschehen | |
| teilnehmen zu wollen“, heißt es im Text. | |
| „Es ist traurig, dass es so ein Gesetz überhaupt braucht“, sagt Angela | |
| Conesa (52) Lehrerin an einer Vorschule. „Aber die Urteile in den letzten | |
| Jahren zeigen, dass es nicht ohne geht. Wir Frauen stehen immer auf der | |
| Verliererseite. Wir werden immer hinterfragt.“ | |
| ## Erbitterte Debatte | |
| Das Gesetz ist die Folge einer erbitterten gesellschaftlichen Debatte. Seit | |
| Jahren kommt es im spanischen Nachtleben immer wieder zu | |
| Massenvergewaltigungen. In mehreren Fällen lauteten die Urteile gegen die | |
| Gruppen meist junger Männer auf „Missbrauch“ und nicht auf | |
| „Vergewaltigung“. | |
| Der bekannteste Fall: Auf dem durch ein Stiertreiben bekannten [1][Fest San | |
| Fermín im nordspanischen Pamplona] wurde im Juli 2016 ein 18-jährige Frau | |
| von fünf Männern in einen Hauseingang geführt und dort vergewaltigt. Die | |
| Täter, die sich in einer Gruppe im Messengerdienst WhatsApp „La Manada“ – | |
| „das Rudel“ – nennen, filmten alles. | |
| Als sowohl die erste als auch die zweite Instanz die Täter nur wegen | |
| „Missbrauchs“ verurteilte, kam es landesweit [2][zu großen | |
| Demonstrationen]. „Betrunken und alleine will ich es nach Hause schaffen“, | |
| riefen vor allem junge Frauen. | |
| „Warum wird den Opfern immer unterstellt, dass sie eigentlich einverstanden | |
| waren?“, fragt die pensionierte Ärztin, Carmen Rodríguez (67). | |
| „Gruppenvergewaltigungen sind der erbärmlichste Ausdruck der Machokultur. | |
| Sie gehen in Gruppen zum Stierkampf, zum Fußball und sie vergewaltigen in | |
| Gruppen, um sich vor den anderen als echter Kerl zu produzieren“, | |
| analysiert sie. „Ohne Manada hätte es die Debatte und das Gesetz nie | |
| gegeben. | |
| ## Vermeintliche Lust beim Opfer | |
| Laura Mora (46), Professorin für Arbeitsrecht an der Universität Toledo, | |
| findet es absurd, dass überhaupt ein Gesetz vonnöten ist. „Wenn du Anzeige | |
| erstattest, weil du bestohlen worden bist, musst du dann beweisen, dass du | |
| mit dem Diebstahl nicht einverstanden warst? Warum muss eine Frau beweisen, | |
| dass sie nicht vergewaltigt werden wollte?“, fragt sie und kritisiert vor | |
| allem die Richter. | |
| „Viele von ihnen sind gewalttätige Patriarchen“, ist sie sich sicher und | |
| spielt damit auf den Richter an, der beim Manada-Verfahren nicht einmal mit | |
| einer Verurteilung wegen Missbrauchs einverstanden war. Er glaubte auf den | |
| Videos der Gruppenvergewaltigung Lust beim Opfer zu sehen. „Unglaublich, | |
| dass er sich traute, so etwas aufzuschreiben“, sagt Mora. | |
| Die 70-jährige Virginia, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung sehen | |
| will, arbeitete bis zur ihrer Rente als Angestellte am Gericht. Das was | |
| bisher im Wortlaut vom neuen Gesetz aus dem Gleichstellungsministerium | |
| bekannt ist, gefällt ihr nur bedingt. „Die Definition für eine | |
| einvernehmlicher Beziehung ist viel zu lang und lässt den Richtern wieder | |
| einen großen Interpretationsspielraum“, befürchtet sie. | |
| Ob das Gesetz wirklich etwas an der Realität ändert? „Gesetze an sich | |
| ändern nichts. Sie bestrafen Fehlverhalten“, ist sich Rodríguez sicher. | |
| „Wir brauchen einen Wandel der Mentalität. Wäre das schön, wenn ein Gesetz | |
| alles ändern könnte. Wie einfach wäre da die Welt“, fügt sie hinzu. | |
| 6 Mar 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Reiner Wandler | |
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