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# taz.de -- Protest gegen sexualisierte Gewalt: Der Kampf der Frauen von Pamplo…
> Vor zwei Jahren kam es auf dem Stadtfest von Pamplona zu einer
> Vergewaltigung. Seitdem steht die Stadt fest zusammen gegen sexualisierte
> Gewalt.
Bild: „Las Shulas“ vor dem Stadtfest
Pamplona taz | Pamplona feiert. Kaum jemand, der nicht eine weiße Hose und
ein weißes Shirt trägt und einen roten Schal um die Hüfte gebunden hat. Es
ist der 6. Juli – 10 Uhr. In zwei Stunden wird das durch das Stiertreiben
bekannte San-Fermín-Fest in der Hauptstadt der Region Navarra beginnen.
Die zehn jungen Frauen, die neben der Stadtmauer am Boden sitzen, machen,
was alle Cliquen und viele Familien tun. Sie warten gemeinsam auf den
„Txupinazo“, den Feuerwerksknall zum Festbeginn. Sie sitzen zusammen,
essen, trinken und reden. „Las Shulas“ – die kessen Gören – nennt sich…
Truppe.
Dieses Jahr reden alle vom selben, von den sexualisierten Aggressionen und
wie sie verhindert werden können. So auch „Las Shulas“. „Wir wollen auch
als Frauen das Fest genießen, frei und ohne Angst“, sagt die 22-jährige
Silvia Navarrete. Die Grundschullehrerin trägt ein weißes T-Shirt mit einer
großen roten Hand. „Pamplona frei von sexistischen Aggressionen“, ist
darauf in Baskisch und Spanisch zu lesen. Es ist das gleiche Symbol, das
überall an den Wänden prangt und die Eingangstüren der meisten Kneipen
schmückt.
Ganz Spanien schaut auf Pamplona, seit dort vor genau zwei Jahren in der
ersten Nacht des Festes eine 18-Jährige aus Madrid von fünf jungen Männern
in einem Treppenhaus brutal vergewaltigt wurde. „La Manada“ – das Rudel �…
nannte sich die fünfköpfige Gruppe, die aus Südspanien genau mit diesem
Vorsatz angereist war. Sie filmten ihr Verbrechen mit Handys.
„Sie wurden nur wegen Missbrauch und nicht wegen Vergewaltigung
verurteilt“, schimpft die Clique. Die fünf legten gegen die neun Jahre Haft
dann auch noch Widerspruch ein und wurden vor wenigen Wochen bis zum
endgültigen Gerichtsentscheid gegen eine Kaution von 6.000 Euro auf freien
Fuß gesetzt. Überall in Spanien kam es zu spontanen Großdemonstrationen
gegen die „Macho-Justiz“. So auch in Pamplona. Natürlich waren „Las Shul…
dabei.
## Für ein Fest ohne sexualisierte Aggressionen
In den sozialen Netzwerken riefen Frauen im restlichen Spanien dazu auf,
dieses Jahr als Zeichen des Protestes statt in Weiß in Schwarz auf dem Fest
in Pamplona zu erscheinen.
„Hier lehnen das alle ab“, erklärt Navarrete. „Wir wollen unser Fest fei…
und nicht Trauer tragen“, fügt sie hinzu. Die Frauenbewegung in der Stadt
und die Peñas, die 16 Festvereine in unterschiedlichen Stadtteilen, gaben
gar ein Kommuniqué gegen den Aufruf in Schwarz heraus. „Dieser Aufruf
ignoriert unsere Arbeit“, heißt es da. Die Frauenbewegung, die
Stadtverwaltung und die Peñas arbeiten seit Jahren für ein Fest ohne
sexualisierte Aggressionen.
„Die Straße und San Fermín gehört auch uns Frauen“, sagt Navarrete. „L…
Shulas“ reden von Vorsichtsmaßnahmen, wie zum Beispiel in den frühen
Morgenstunden nicht alleine durch die Stadt zu gehen. „Wenn du Hilfe
brauchst, kannst du dich an jeden Kellner wenden. Die Bevölkerung in
Pamplona ist sehr sensibel für das Thema“, ist sich Navarrete sicher.
Alle aus der Clique haben die Notrufnummer von Gora Iruñea gespeichert,
einem Service, der auf eine Initiative aus der Frauenbewegung und aus
Bürgerinitiativen zurückgeht. „Bei jedem Fest, nicht nur in San Fermín, ist
das Telefon rund um die Uhr besetzt. Seit fünf Jahren machen wir das nun“,
erklärt Zuriñe Altable. Die 37-jährige Akustikerin wartet – zusammen mit
ihrer Familie – beim Essen in einer Kneipe auf den Festbeginn. „Wenn ein
Anruf eingeht, vermitteln wir die Frau je nach Schwere der Aggression
weiter und begleiten sie, falls sie es wünscht“, sagt Altable. „Seit drei
Jahren haben auch die Stadtverwaltung und die Regierung der Region Navarra
eigene Protokolle, um gegen sexistische Übergriffe vorzugehen“, sagt sie
und lobt die gute Zusammenarbeit.
## Keine Stadt ohne Gesetz
1,5 Millionen Besucher zählt die 200.000-Einwohner-Stadt dieser Tage. 22
Aggressionen kamen im vergangenen Jahr zur Anzeige. In der Stadtverwaltung
arbeiten gleich zwei Fachbereiche gegen sexistische Aggressionen.
„Sicherheit“ kümmert sich um die 2.900 Polizisten, die im Einsatz sind.
Eine App fürs Handy wurde vor wenigen Tagen vorgestellt. Wird eine Frau
belästigt, kann sie damit sofort die Polizei benachrichtigen. Wer doch
einmal alleine durch die nächtlichen Straßen gehen will, kann von Freunden
per App in Echtzeit „digital begleitet“ werden.
Im Fachbereich „Gleichstellung“ werden die Informationsarbeit und die
Betreuung von Opfern organisiert. Die rote Hand als Buttons und Aufkleber
sowie Zehntausende Broschüren, die erklären, was alles sexistische Gewalt
ist und wie dagegen vorgegangen werden kann, werden an einem
Informationsstand im Stadtzentrum verteilt. „Für die Opferbetreuung haben
wir eigens ein Gruppe aus Anwältinnen, Psychologinnen und
Sozialarbeiterinnen, die rund um die Uhr im Einsatz sind“, erklärt Ana
Díez. Die 54-jährige Beamtin koordiniert all das und die Zusammenarbeit mit
sozialen Bewegungen, Peñas und Kneipen.
„Eigentlich wollte ich nicht über den Fall der La Manada reden“ sagt Díez
und tut es dann doch. Denn genau diese Gruppenvergewaltigung, die für
Schlagzeilen sorgte wie keine andere Aggression in den letzten Jahren,
zeige, wie die einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen. „Die Vergewaltigung
fand um 3 Uhr in der Früh statt. Das Opfer erstatte Anzeige. Dank der
Überwachungskameras verhaftete die Polizei die fünf kurz nach 8 Uhr beim
Stiertreiben und überstellte sie ins Gefängnis. Und das in einer Stadt, in
der alle weiß gekleidet sind“, sagt Díez. „Pamplona ist keine Stadt ohne
Gesetz, wie uns die Presse gerne beschreibt.“
Die Gemeindeverwaltung stellte dem Opfer einen Rechtsbeistand und
psychologische Hilfe. Außerdem traten Stadt und Regionalregierung im
Verfahren als Nebenkläger auf. Noch am gleichen Nachmittag fand eine
Großdemonstration gegen sexistische Übergriffe statt, an der alle Peñas,
egal ob fortschrittlich oder konservativ, teilnahmen. „Prävention und
Antwort“ nennen sie im Rathaus diese Strategie.
## Das Fest beginnt
Die 16 Peñas sind das Herzstück von San Fermín. Die 20-jährige Eunate Orkin
gehört seit frühester Kindheit der „Irrintzi Peña“ in der Altstadt an.
Deren Mitglieder ziehen jeden Nachmittag mit Blasmusik zur Stierkampfarena.
„Vorneweg tragen wir ein Transparent“, sagt Orkin, die Fotografie studiert.
Eine Comiczeichnung beschäftigt sich mit aktuellen Themen. „Bei uns geht es
um die Korruption“, sagt Orkin. „Dieses Jahr sind alle Transparente auf der
Rückseite lila, als Zeichen der Unterstützung der Frauen.“
Wie die anderen auch unterhält Irrintzi während der Feste einen Ausschank.
Natürlich werden im Lokal der Peña „keine sexistischen Aggressionen, wenn
sie auch noch so unbedeutend scheinen, geduldet“. „Wir verständigen das
Notruftelefon der sozialen Bewegung oder die Polizei, je nach Schwere des
Falles“, sagt Orkin. Schwarz kleiden? Orkin schüttelt nur den Kopf:
„Stärker werden – und alle auf die Straße“, sagt sie.
Mittlerweile ist es 12 Uhr. „Las Shulas“ haben es geschafft, auf den
überfüllten Platz vor dem Rathaus zu gelangen. „Pamploneses! Pamplonesas!
Iruindarrak! Viva San Fermín! Gora San Fermin!“, schallt es zweisprachig
vom Balkon. Eine Feuerwerksrakete explodiert. Alle binden sich ein rotes
Halstuch um. Das Fest ist eröffnet. Navarrete und ihre Clique verschwinden
für die kommenden neun Tage im Gewühl, ebenso wie Zuriñe Altable, die am
letzten Tag für 24 Stunden das Notruftelefon betreuen wird. Díez verfolgt
vom Rathaus aus, ob die Protokolle gegen sexistische Gewalt funktionieren.
Und Orkin wird jeden Nachmittag zur Stierkampfarena ziehen.
8 Jul 2018
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Sexualisierte Gewalt
Vergewaltigung
Feminismus
Lesestück Recherche und Reportage
Spanien
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