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# taz.de -- Regierungskrise in Thüringen: Ein genialer Plan
> Bodo Ramelow schlägt eine CDUlerin für den Übergang vor. Das wäre ein
> überraschend eleganter Weg aus der Krise.
Bild: Staatsräson vor Parteipolitik? Linksparteiler schlägt CDU-Politikerin a…
Was für ein charmanter Vorschlag! Die frühere CDU-Ministerpräsidentin
[1][Christine Lieberknecht soll neue Ministerpräsidentin in Thüringen]
werden. Übergangsweise. Die Personalie, die ihr Amtsnachfolger Bodo Ramelow
von der Linkspartei selbst ins Spiel gebracht hat und den die rot-rot-grüne
Delegation am Montagabend in den Gesprächen der verdutzten Viererabordnung
von der CDU präsentierte, könnte ein eleganter Ausweg aus der derzeitigen
vertrackten Lage in dem östlichen Bundesland sein.
Wenn man dem Szenario folgt, würde der Landtag zunächst auf Antrag eines
Drittels der Abgeordneten mit Zweidrittelmehrheit seine Auflösung
beschließen. Im zweiten Schritt würden mindestens 46 der 90 Thüringer
Landtagsabgeordneten Lieberknecht zur neuen Ministerpräsidentin wählen.
Sie würde damit den unglückseligen Thomas Kemmerich von der FDP ablösen,
der sich vor knapp zwei Wochen [2][mit den Stimmen seiner Partei, der CDU
und vor allem der AfD] ins Amt heben ließ und [3][kaum 72 Stunden später
wieder zurücktrat].
Lieberknecht wäre die erste christdemokratische Ministerpräsidentin in der
Geschichte der Bundesrepublik, die mit Stimmen der Linken ins Amt kommt –
wenn auch nur für kurze Zeit. Sie soll eine sogenannte technische Regierung
mit gerade mal drei Minister:innen führen: für Finanzen (von der SPD),
Justiz (von den Grünen) und die Führung der Staatskanzlei (von der Linken).
Aber was in Thüringen passiert gerade nicht zum ersten Mal?
## Der Gewerkschaftsfuchs trumpft auf
Spätestens 70 Tage nach Auflösung des Landtags müssen laut Landesverfassung
Neuwahlen stattfinden. Dann wäre Lieberknechts Mission beendet. Und die
Linkspartei und ihr Spitzenkandidat Bodo Ramelow würden versuchen, sich von
den Wähler:innen das Votum für eine stabile Mehrheitsregierung zusammen mit
SPD und Grünen abzuholen. Ihre Chancen, glaubt man den aktuellen Umfragen,
stehen nicht schlecht. Wenn Rot-Rot-Grün dies gelänge, wäre das Thüringer
Minderheitsexperiment Geschichte.
Ein ungewöhnlicher, ja verwegener Plan, aber ein ziemlich genialer. Ein
Plan, der raus aus dem Dilemma führte, dass die Linkspartei und die AfD die
beiden stärksten Fraktionen stellen und es gegen beide Parteien zusammen
keine regierungsfähige Mehrheit gibt – jedoch die CDU als drittgrößte
Fraktion und selbsterklärte Partei der Mitte weder mit der einen noch der
anderen Partei koalieren kann oder will.
Man ahnt, warum die Lokführergewerkschaft GDL vor fünf Jahren den damaligen
Thüringer Oppositionsführer Bodo Ramelow als [4][Schlichter im Tarifstreit
mit der Deutschen Bahn] bestellte. Damals vermittelte der erfahrene
Gewerkschaftsfuchs schon einmal erfolgreich in einem scheinbar
aussichtslosen Konflikt – und [5][zwei Jahre später, als er bereits
Ministerpräsident war, erneut].
Die Chancen, dass sein heutiger Plan aufgeht, stehen ebenfalls nicht
schlecht. Seit [6][dem Tabubruch] vor zwei Wochen, als sich CDU und FDP mit
der Rechtsaußen-Partei [7][des amtlich bestätigten Faschisten Björn Höcke]
verbündeten, um den linken Ministerpräsidenten Ramelow auf – jawohl –
Teufel komm raus aus dem Amt zu jagen, ist die Linkspartei in Thüringen in
Umfragen auf 40 Prozent geklettert. Christ- und Freidemokraten sind dagegen
abgesackt. Der FDP droht sogar der Verlust der parlamentarischen Existenz.
## Eine missliche Situation für die CDU
Kaum verwunderlich, dass sich die CDU jetzt windet. Das
Verhandlungsquartett der Fraktion würde gern weiterhin darauf setzen, dass
Ramelow noch einmal antritt. Um ihm dann im dritten Wahlgang durch
Enthaltung die Wahl zum Ministerpräsidenten zu ermöglichen. Danach könne
man ja, so das Angebot, pragmatisch zusammenarbeiten. Oder auch nicht. Der
Schein – also die Beschlusslage der Bundes-CDU, keine Bündnisse mit AfD
oder Linkspartei einzugehen – bliebe gewahrt. Und man wäre um Neuwahlen
vorerst herumgekommen.
Doch das will die Linkspartei nicht. Sie ist von ihrem Ultimatum „Ramelow
oder Neuwahlen“ abgerückt und hat einen gangbaren Ausweg aus dem Thüringer
Dilemma angeboten. Die CDU befördert das in eine missliche Situation: Wie
will sie erklären, warum sie ihre eigene Politikerin nicht mittragen kann?
Am Dienstag ab 13.30 Uhr wird weiter verhandelt.
Aber warum sollte Lieberknecht das tun? Warum sollte die Frau, die ab 2004
vier Jahre lang Fraktionsvorsitzende und ab 2009 fünf Jahre
Landesvorsitzende und Ministerpräsidentin war, ihre Partei in eine
Situation hineinmanövrieren, aus der diese allen Umfragen nach geschwächt
hervorgehen wird?
Ganz einfach. Weil sie, [8][anders als ihr Nachfolger Mike Mohring], eine
aufrichtige Demokratin ist. Die Wahl von Thomas Kemmerich von Gnaden der
AfD, die ohne die Stimmen ihrer CDU nicht möglich gewesen wäre, habe sie
erschüttert, [9][hatte sie in der der taz am Wochenende bekannt]. Sie habe
[10][Weimarer Verhältnisse] lange für unmöglich gehalten, aber nun sei sie
in Sorge.
Wenn Lieberknecht sich auf die Führung einer Übergangsregierung einlässt,
dann wird sie das nicht tun, weil sie Ramelow oder der Linken einen
Gefallen tun will. Sondern um zu zeigen, dass die demokratische Mehrheit im
Landtag jenseits der AfD gemeinsam zu Lösungen fähig ist. Dass die
demokratischen Institutionen trotz Kratzern weiterhin intakt und
arbeitsfähig sind.
Sie würde ihren Namen und ihre Autorität hergeben, um den Schaden an der
Demokratie, den CDU und FDP durch Rückgratlosigkeit und Machtgier mit
verursacht haben, zu beheben. Einen höheren Dienst kann sie ihrem Land und
auch ihrer Partei nicht erweisen.
18 Feb 2020
## LINKS
[1] /Ramelows-Vorschlag-fuer-Thueringen/!5664927
[2] /FDP-stellt-Thueringer-Ministerpraesident/!5658263
[3] /Hennig-Wellsow-ueber-das-Thueringer-Chaos/!5662494
[4] /Bodo-Ramelow-ueber-Bahn-Tarifkonflikt/!5208126
[5] /Kommentar-Bahn-Schlichtung/!5373749
[6] /Demos-in-Erfurt-und-Dresden/!5663832
[7] /Ist-Bjoern-Hoecke-ein-Faschist/!5662526
[8] /Rueckzug-von-Mike-Mohring/!5663787
[9] /Die-Ost-CDU-und-ihre-Anfaenge/!5660292
[10] /Skandalwahl-in-Thueringen/!5662209
## AUTOREN
Anna Lehmann
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