| # taz.de -- Regierungskrise in Thüringen: Der nächste Coup von Erfurt | |
| > Wieder wird Thüringens CDU von einer anderen Partei überrascht: Ramelow | |
| > schlägt seine Vorgängerin Christine Lieberknecht vor. | |
| Bild: Zwei Frauen an der CDU-Spitze: Christine Lieberknecht (links) und Angela … | |
| Erfurt/Berlin taz | „Respekt!“, „Ein echter Coup!“, „Das hat Größe!… | |
| Twitter wurde der Vorschlag des Thüringer Linken Bodo Ramelow statt seiner | |
| zunächst seine Vorgängerin, die CDU-Frau Christine Lieberknecht zur | |
| Thüringer Ministerpräsidentin zu wählen, noch in der Nacht von Montag zu | |
| Dienstag ausgiebig bejubelt. Ein Linker schlägt eine CDU-Frau als | |
| Landeschefin vor, wenn auch nur übergangsweise. Das hat es noch nie | |
| gegeben. Politiker von Grünen, SPD und Linken spendeten Beifall. | |
| Und die Thüringer CDU? Äh ja. „Haben wir mit Interesse aufgenommen“, teil… | |
| der Noch-Vorsitzende Mike Mohring gegen Mittag in einem dürren Statement | |
| aus der CDU-Fraktionssitzung mit. | |
| Die Christdemokraten habe ihre Sitzung unterbrochen. Später am Tag wird der | |
| Grund bekannt: Mohring und der CDU-Landesvize Mario Voigt, der als Mohrings | |
| Nachfolger im Gespräch ist, fahren gemeinsam zu einem Treffen mit | |
| Lieberknecht. | |
| Ein für halb zwei am Dienstag angesetztes Treffen zwischen den Fraktionen | |
| von CDU, Linken, SPD und Grünen wird auf Bitten der Christdemokraten auf | |
| den späten Abend verschoben. | |
| ## Häme von der AfD | |
| Weil vor dem „Bernhard-Vogel-Saal“ im Thüringer Landtag, dem Sitzungssaal | |
| der CDU, zunächst nichts passiert, nutzt der Parlamentarische | |
| Geschäftsführer der AfD, Stefan Möller, die Gunst der Stunde, platziert | |
| sich vor den Mikrofonen und sagt: „Sie haben sicherlich Fragen.“ Viele sind | |
| es nicht. Doch Möller kann seine Häme über die CDU ergießen. Diese müsse | |
| überlegen, ob sie mit Neuwahlen „Selbstmord begehen will“. | |
| Seit zwei Wochen herrscht in Thüringen Chaos: Es gibt keine Minister, auch | |
| der Platz des Ministerpräsidenten im Bundesrat blieb am Freitag leer. | |
| Verantwortlich für diese Zustände ist maßgeblich auch die CDU. | |
| Am Mittwoch vor zwei Wochen [1][wählte sie den FDP-Politiker Thomas | |
| Kemmerich], Vorsitzender der kleinsten Fraktion im Landtag, mit zum | |
| Ministerpräsidenten. Und zwar in dem vollen Bewusstsein, dass Kemmerich nur | |
| mit den Stimmen der rechtsextremen AfD gegen Bodo Ramelow gewinnen kann. | |
| Und so kam es dann auch. | |
| Das Thüringer Dammbruch erschütterte die Republik und riss nicht nur | |
| Kemmerich mit sich, sondern auch die Berliner CDU-Parteivorsitzende | |
| Annegret Kramp-Karrenbauer und Mohring selbst. Einen Plan, wie sie wieder | |
| auf die Füße kommt, hat die CDU seither nicht. Nur eines will sie jetzt | |
| vermeiden: Neuwahlen in Thüringen. | |
| ## Mohring lehnt ab | |
| Als Grund schiebt sie zunächst die AfD vor. „Wir glauben, dass das | |
| Wichtigste ist, dass am Ende eines Prozesses nicht die AfD stärker werden | |
| kann, als sie jetzt schon ist“, so CDU-Landesvize Mario Voigt am | |
| Montagabend. Doch wie andere CDU-Abgeordnete müsste Voigt um seinen Platz | |
| im Landtag zittern. Den aktuellen Umfragen zufolge würde sich seine | |
| Fraktion fast halbieren. | |
| Doch genau diese Kröte sieht der Plan des in harten | |
| Tarifauseinandersetzungen geschulten [2][einstigen Gewerkschaftssekretärs | |
| Ramelow] vor. Im Gegenzug dafür, dass die Linke eine CDU-Politikerin zur | |
| Ministerpräsidentin wählt, müsste die CDU Neuwahlen zustimmen. Und zwar, so | |
| stellt es die Thüringer Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow klar: bevor | |
| (!) Lieberknecht gewählt würde. Nur unter dieser Bedingung hat ihre | |
| Fraktion am Dienstag dem Vorschlag einstimmig zugestimmt. | |
| Der Auflösung des Landtags müssen 60 der 90 Abgeordneten zustimmen. | |
| Rot-Rot-Grün, die zusammen 42 Abgeordnete stellen, braucht dafür also die | |
| Stimmen der 21 CDUler. Um kurz nach vier ist die Sitzung der CDU-Fraktion | |
| beendet, Mohring und Voigt geben kurze Statements ab. Gegen Lieberknecht | |
| haben sie nichts. | |
| Doch den Rest von Ramelows Vorschlag lehnen sie ab. Dieser, so Mohring, | |
| greife zu kurz. Die CDU wolle eine „voll arbeitsfähige technische | |
| Regierung“. Diese soll aus von Linke, CDU, SPD, Grünen und FDP | |
| parteiübergreifend berufenen Experten bestehen. „Danach kann dann alles | |
| Weitere, auch Neuwahlen, folgen“, so Mohring. Dies sei einhellige Position | |
| der CDU. | |
| ## Auch Grüne überrumpelt | |
| Die erste Reaktion der Linken: Geht gar nicht. „Das ist kein ernst zu | |
| nehmendes Angebot, sondern der weitere Versuch Ramelow zu delegitimieren | |
| und Neuwahlen zu verhindern“, so der stellvertretende Landesvorsitzende | |
| Steffen Dittes. | |
| Ramelows Vorschlag sieht vor, dass die 61-jährige Lieberknecht, nachdem der | |
| Landtag sich aufgelöst hat, für etwa 70 Tage mit „einem Justizminister, mit | |
| einer Finanzministerin und einem Chef der Staatskanzlei eine „technische | |
| Regierung“ bilden soll, bis ein ein neuer Landtag gewählt ist. | |
| SPD und Grüne weiß Ramelow hinter sich. Obwohl auch die Grünen von Ramelows | |
| Manöver überrumpelt wurden. Der Fraktionsvorsitzende Dirk Adams hatte 90 | |
| Minuten vor dem geplanten Vierertreffen mit Linken, SPD und CDU am | |
| Montagabend davon erfahren. „Wir waren schon überrascht“, so Adams. | |
| Inzwischen haben sich die Grünen genauso wie die SPD beraten. Man sehe den | |
| Vorschlag Ramelows als einen guten Weg, um aus der Krise herauszukommen, | |
| sagt Adams. Denn: „Wir brauchen dringend stabilere Verhältnisse.“ Das habe | |
| Priorität. Auch Neuwahlen würde seine Partei nicht im Wege stehen. Aber | |
| wie schnell die kämen, sei nicht so wichtig. | |
| ## Nächste Runde im Thüringer Machtpoker | |
| Neuwahlen wären für die Grünen nicht ohne Risiko. [3][Umfragen sehen sie | |
| derzeit knapp über der Fünfprozenthürde]. Die Grünen selbst sehen sich | |
| derzeit als Vermittler zwischen der Linken, die Tempo macht, und der CDU, | |
| die auf die Bremse tritt. | |
| Am Dienstagabend nach Redaktionsschluss begann eine neue Verhandlungsrunde | |
| im Thüringer Machtpoker. Stand zu Beginn: Ein Patt. Doch erst wenn sich | |
| alle Parteien auf ein gemeinsames Paket einigen können, stünde Lieberknecht | |
| zur Verfügung. Wenn nicht, dann nicht. | |
| 18 Feb 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ministerpraesidentenwahl-in-Thueringen/!5662080/ | |
| [2] /Landtagswahl-in-Thueringen/!5629070/ | |
| [3] http://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/thueringen.htm | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
| Anna Lehmann | |
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