# taz.de -- Hamburger Programmkino Abaton: „Wer isst schon zu Hause Popcorn?�… | |
> Familie Grassmann betreibt seit rund 50 Jahren das Abaton in Hamburg. Ein | |
> Gespräch über die Anfänge des Programmkinos und eine Zukunft trotz | |
> Netflix. | |
Bild: Felix und Werner Grassmann (rechts) vor dem Eingang des Abaton | |
taz am wochenende: Werner Grassmann, Sie haben 1970 das Abaton in Hamburg | |
eröffnet und gelten damit als Begründer des Programmkinos in Deutschland. | |
Warum haben Sie Ihr eigenes Kino gegründet? | |
Werner Grassmann: Weil ich musste. Ich bin ja gelernter Regisseur. Mitte | |
der 60er Jahre habe ich mit anderen Filmemachern die Hamburger Filmcoop | |
gegründet. Leider haben wir keine Kinos gefunden, die unsere Filme zeigen | |
wollten. Dann haben wir selbst eins gemacht. Das war vielleicht ein | |
bisschen naiv. | |
Naiv? Das Kino war doch von Beginn an eine Hamburger Institution. | |
Werner Grassmann: Wir waren gut vernetzt in der Hamburger Kulturszene, aber | |
Geld fehlte trotzdem. Ich musste das ganze Inventar irgendwo gebraucht | |
zusammenkaufen. Die Sitze waren unbequem, und der Fußboden – ach, es war | |
alles sehr primitiv. Bevor der erste Film gezeigt wurde, stand das Kino | |
mehrfach vor dem Aus. | |
Sie haben es trotzdem durchgezogen. | |
Werner Grassmann: Kennen Sie diesen Spruch von Fassbinder? Der wurde | |
gefragt, was das Wichtigste bei einem Film sei: Schauspieler? Plot? Geld? | |
Alles falsch, hat Fassbinder gesagt. Das Wichtigste sei: fertig werden. So | |
habe ich das auch mit dem Kino gehalten. Aber ich musste sehr viel | |
improvisieren. Die große halbrunde Couch im Foyer, auf der Dennis Hopper | |
einige Nächte verbracht hat, habe ich damals für zehn Mark einem Puff | |
abgekauft. Den Bezug haben wir natürlich erneuert. | |
Felix Grassmann, Sie sind heute Geschäftsführer des Abaton. Wie haben Sie | |
diese schwierige Anfangszeit wahrgenommen? | |
Felix Grassmann: Ich war vier Jahre alt, als mein Vater das Abaton | |
gegründet hat. Natürlich haben wir in der Familie mitbekommen, dass die | |
Sache nicht so rund lief. Das war nicht leicht. Der Kinobetrieb geht bis | |
tief in die Nacht, während das Familienleben eher tagsüber stattfindet. | |
Sie sind quasi im Abaton aufgewachsen. Hatten Sie überhaupt eine andere | |
Wahl, als in der Film- beziehungsweise Kinobranche zu landen? | |
Felix Grassmann: Das hat sich natürlich aufgedrängt. Die Leidenschaft hat | |
sich von meinem Vater übertragen. Ich habe im Abaton mehrere | |
Kindergeburtstage gefeiert, obwohl es zu der Zeit noch gar keine | |
Kinderfilme gab. Wir haben die Filme dann oft nicht verstanden, Spaß hatten | |
wir trotzdem. | |
Sie waren lange in der Filmproduktion tätig. Nun sind Sie seit knapp einem | |
Jahr für die Auswahl der Filme im Abaton verantwortlich. Was hat Sie am | |
meisten überrascht? | |
Felix Grassmann: Dass die Neugier auf kleine, unbekannte deutsche Filme so | |
gering ist. Da haben wir es nicht geschafft, die Leute wachzurütteln. Das | |
ist natürlich unser Ziel: dass die Filme, die wir gut finden, auch | |
wirtschaftlich erfolgreich sind. | |
Kann man das planen? | |
Felix Grassmann: Zu einem gewissen Grad, ja. Wir gucken nach guten Filmen, | |
die gleichzeitig die Zutaten für ein großes Publikum haben. So hatten wir | |
zum Beispiel im letzten Jahr mit „Joker“ einen ganz großartigen Film, der | |
uns den besten Oktober seit über zehn Jahren beschert hat. Das gibt uns | |
genug Luft für andere Filme, die nicht so gut an der Kasse funktionieren. | |
Werner Grassmann: Bei der Erfindung des Abaton habe ich unterschieden | |
zwischen Brotfilmen und Abaton-Filmen. Das wurde durchaus kritisiert, aber | |
da habe ich gesagt: Die Kommerzfilme müsst ihr ertragen. Die finanzieren | |
die filmkulturelle Arbeit, die wir hier leisten. | |
Felix Grassmann: Ich finde, das klingt ein wenig despektierlich. Man sieht | |
an „Joker“, dass beides zusammenfallen kann. Typisch für das Abaton war | |
unsere Entscheidung, auch noch den ersten Film des Regisseurs zu zeigen: | |
Todd Phillips hat 1993 einen Dokumentarfilm über den Punkmusiker GG Allin | |
gemacht. Bei diesem Film hatten wir nur eine Handvoll Besucher, bei „Joker“ | |
über 12.000. In dieser Spanne bewegen wir uns. | |
Wie schafft es ein Film bei Ihnen ins Programm? Haben Sie bestimmte | |
Kriterien? | |
Felix Grassmann: Gefühl. Ganz einfach. | |
Das müssen Sie erklären. | |
Felix Grassmann: Stanley Kubrick hat mal gesagt: You have to be | |
interesting. Das ist es im Grunde. Ein guter Film sollte mich nicht auf | |
ausgetretenen Pfaden sicher zum Happy End führen. Ich will etwas Neues | |
entdecken, ich will mich überraschen lassen. | |
Das heißt, wenn Sie einen Krimi sehen und vorher schon wissen, wer der | |
Mörder ist, hat der Film eher schlechte Chancen, bei Ihnen zu laufen? | |
Felix Grassmann: Nicht zwangsläufig, aber ich finde zum Beispiel „Tatort“ | |
wahnsinnig langweilig. Da gibt es am Anfang eine Leiche, und am Ende sitzt | |
der Mörder im Knast. Der Plot ist vorhersehbar, selbst wenn man vorher | |
nicht weiß, wer der Mörder ist. Da bleibt wenig Restwert, den ich mit in | |
mein Leben nehmen kann und der mich bereichert. | |
Werner Grassmann: Erfahrung ist auch wichtig bei der Filmauswahl. Wenn man | |
in seinem Leben ein paar Tausend Filme gesehen hat, dann sortiert sich das | |
schon innerlich etwas. Dann weiß man, was funktionieren kann. | |
Wie unterscheidet sich das Kinomachen von damals vom Kinomachen heute? | |
Werner Grassmann: Vieles ist durch die Digitalisierung heute einfacher. Es | |
gab anfangs nicht so viele Kopien von den Filmen. Da kam dann der | |
35-mm-Film teils erst am Tag der Vorstellung an. Das waren 30 Kilo. Den | |
Film mussten wir am Bahnhof abholen, und nachts musste er schon wieder | |
unterwegs sein, weil er tags darauf woanders gezeigt werden sollte. | |
Felix Grassmann: Damals war es sehr schwierig, die Filme überhaupt sehen zu | |
können und an die Kopien zu kommen. Heute bekommen wir die Filme ohne | |
Schwierigkeiten, das Problem ist nun die Auswahl: Letztes Jahr sind weit | |
über 700 Filme ins Kino gekommen. | |
Werner Grassmann: Als wir angefangen haben, hatten die Verleiher 80 Filme | |
im Angebot. Das war wiederum zu wenig, weil das Meiste eben Kommerzfilme | |
waren. | |
Felix Grassmann: Einerseits ist es großartig, dass es so viele Filme gibt, | |
aber es macht die Auswahl natürlich schwierig. Rein aus physischen Gründen: | |
700 Filme im Jahr durchgucken – das tue ich natürlich auch nicht, weil | |
bestimmte Filme für uns nicht infrage kommen. Aber im Schnitt schaue ich | |
schon ein bis zwei Filme am Tag. | |
Ich habe mir bei Ihnen gestern „Simha“ angesehen, einen Dokumentarfilm über | |
einen jüdischen Musikethnologen. Im anschließenden Gespräch mit dem | |
Regisseur gab es aus dem Publikum eine einzige Frage: ob es den Film auch | |
als DVD gebe. Wurde früher mehr diskutiert im Kino? | |
Werner Grassmann: Ich denke, das lag in diesem Fall an dem sehr speziellen | |
Thema: ein Musikethnologe, der afrikanische Musiktraditionen erforscht. Da | |
informiert sich das Publikum zunächst. Bei vielen anderen Filmen finden | |
Diskussionen statt – und das sehr lebhaft. | |
Felix Grassmann: Früher wurden Regisseure häufiger angegriffen für die | |
künstlerischen Entscheidungen, die sie getroffen hatten. Das passiert heute | |
eher selten. | |
Werner Grassmann: Das Kino ist familiärer geworden. Die Leute wollen im | |
Abaton nicht nur einen Film sehen, sondern auch andere Menschen treffen. | |
Ich stehe oft am Einlass, und ich finde es schön, dass die Leute mich | |
kennen. Das ist wie im Dorf. Da ist die Apothekerin, da ist der Bäcker. Die | |
empfinden das als … „Heimat“ – ist vielleicht ein bisschen viel, aber d… | |
Kino gehört irgendwie zu ihnen und zu diesem Viertel. | |
Aber verliert das Kino nicht an politischer Bedeutung, wenn es allzu | |
heimelig wird? Themen, über die es sich zu streiten lohnt, gibt es derzeit | |
ja genug. | |
Felix Grassmann: Wir haben Diskussionsformate eingeführt, die abseits von | |
Filmveranstaltungen der Auseinandersetzung dienen. Wir wollen Themen | |
setzen, die wir für wichtig halten. Manchmal transportieren das Filme | |
besser, manchmal funktioniert das eher über Gesprächsformate. Für uns ist | |
wichtig, dass das Kino ein Forum der ästhetischen und gesellschaftlichen | |
Reflexion ist. Das ist etwas, was ich bei Streamingportalen so traurig | |
finde. Die arbeiten mit Algorithmen, die den Menschen das präsentieren, was | |
sie sowieso schon gut finden. | |
Jetzt haben Sie den Elefanten im Raum selbst angesprochen. Fürchten Sie die | |
Konkurrenz von Netflix & Co.? | |
Felix Grassmann: Man muss erst mal abwarten, wie sich der Markt der | |
Streamingportale entwickelt und wie sich die Anbieter zu den Kinos | |
positionieren. Es gibt bislang nur ein Portal, das auf Konfrontationskurs | |
geht, und das ist Netflix. Amazon hält sich an das Auswertungsfenster, | |
sprich: daran, dass neue Filme eine bestimmte Zeit lang exklusiv im Kino zu | |
sehen sind. Warner und Disney werden das auch tun, weil sie aus ihren | |
Erfahrungen als Filmverleiher wissen, dass man im Kino viel Geld verdienen | |
kann. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass das Kino auch in Zukunft seinen | |
Platz haben wird. | |
Haben Sie ein Netflix-Abo? | |
Werner Grassmann: Nein. | |
Felix Grassmann: Ja, aber ich werde es wahrscheinlich bald kündigen, weil | |
ich dort tatsächlich nur eine Handvoll Filme gucke im Jahr. Ich habe | |
natürlich „The Irishman“ geguckt, ich habe natürlich „Roma“ und „Ma… | |
Story“ gesehen. Also im Grunde alle Filme, die diese Diskussion, | |
Streamingportal gegen Kino, befeuert haben. | |
Das sind alles großartige Filme. Fiel Ihnen die Entscheidung schwer, | |
beispielsweise „The Irishman“ nicht zu zeigen? | |
Felix Grassmann: Klar, das sind alles tolle Filme, die hätten im Kino | |
wunderbar funktioniert, aber die Konditionen, die Netflix aufruft, sind für | |
uns inakzeptabel. Um unsere Infrastruktur aufrechterhalten zu können, | |
brauchen wir einen Film nicht nur eine oder zwei Wochen exklusiv. Wir | |
brauchen den mindestens ein halbes Jahr. | |
Netflix verlangt von den Kinos im Vergleich zu den großen Studios nur rund | |
die Hälfte der Gebühren. Das klingt doch erst mal ganz fair. | |
Felix Grassmann: Aber das ist eine Milchmädchenrechnung. Natürlich haben | |
einige Kinos mit „The Irishman“ Geld gemacht, aber nur weil dieser Film | |
extrem im medialen Fokus stand. Wenn irgendwann alle Filme nach ein oder | |
zwei Wochen verfügbar sind, dann steht das Kino in direkter Konkurrenz zu | |
den Streaminganbietern. Da kann das Kino nur verlieren, weil dann ziemlich | |
schnell der Vergleich Abogebühr gegen Kinokarte und nicht mehr das | |
ästhetische Erlebnis im Vordergrund steht. Ich finde es leichtsinnig, für | |
den kurzfristigen Profit bewährte Strukturen wie das Auswertungsfenster | |
aufs Spiel zu setzen. | |
Unterschätzen Sie da nicht Ihr eigenes Publikum? Sie haben die Vorteile des | |
Kinos ja eben selbst gepriesen. | |
Felix Grassmann: Natürlich wissen die Leute, was sie am Abaton haben. Es | |
macht aber einen Unterschied, ob sie einmal im Monat zu uns kommen oder | |
einmal im halben Jahr. Und da ist das Auswertungsfenster ein ganz | |
entscheidender Faktor. | |
Ich habe nicht das Gefühl, dass ich seltener ins Kino gehe, seitdem ich ein | |
Netflix-Abo habe. Im Gegenteil: Ich gehe wieder bewusster ins Kino. | |
Felix Grassmann: Die Entscheidung, sich einen Film im Kino anzugucken, ist | |
immer schon eine bewusste gewesen. Das ist vor allem ein Kampf um Zeit. Es | |
gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Leute, die Streaming-Abos haben, auch | |
viel und gern ins Kino gehen. Aber man kann sich ausrechnen, dass sich die | |
über 500 neuen Serien der Streaminganbieter auf die Kinobesuche auswirken | |
werden. | |
Was können Sie dem entgegensetzen? | |
Felix Grassmann: Wir arbeiten gegen die Beliebigkeit an. Die Entscheidung | |
für bestimmte Filme haben wir schon getroffen. Unser Publikum kann sich | |
darauf verlassen, dass die Filme, die hier laufen, interessant sind. Das | |
wird nicht jeden Geschmack treffen, aber interessant sind sie immer. | |
Wenn ich einen schlechten Film im Kino sehe, ärgere ich mich aber schon | |
über die 10 Euro Eintritt. | |
Felix Grassmann: Aber Sie ziehen trotzdem einen Mehrwert daraus, weil Sie | |
den Film in Gänze gesehen und sich damit auseinandergesetzt haben. | |
Werner Grassmann: Deswegen ist das Gespräch nach dem Film so wichtig, weil | |
Sie über das, was Sie gesehen haben, nachdenken. Insofern ist das Kino auch | |
ein lebendiger Ort der Stadtgesellschaft. Fernsehen und Netflix blubbern so | |
dahin. Ins Kino gehen, das ist ein richtiges Ereignis. Das schmückt den | |
ganzen Tag. | |
Nun sind die meisten Kinos keine Programmkinos, sondern spielen fast | |
ausschließlich Brotfilme, wie Sie es nennen. Wird da wirklich mehr | |
reflektiert als bei Netflix? | |
Felix Grassmann: Ja, denn auch da ist das eine bewusste Entscheidung, ins | |
Kino zu gehen. Das Ziel dieser Streamingportale ist es, die unbewussten | |
Seiten der Entscheidung anzusprechen und einen Automatismus des | |
unaufhörlichen Konsumierens auszulösen. | |
Werner Grassmann: Es gibt keine Feindschaft zwischen Programmkinos und | |
sogenannten Multiplexen. Das sind alles eigene Sektionen im kulturellen | |
Leben, und die können sich untereinander nicht bekämpfen. | |
Ich kenne einige Programmkinos, die diesen Unterschied schon sehr | |
kultivieren. Da wird dann zum Beispiel kein Popcorn mehr verkauft, weil das | |
schon als Konsumfetischismus verstanden wird. | |
Felix Grassmann: Also bei uns gibt es Popcorn. | |
Werner Grassmann: Finanziell ist das unglaublich wichtig. Wir nagen jetzt | |
nicht am Hungertuch. Aber wir können eigentlich keine Rücklagen bilden. | |
Wenn demnächst ein Projektor zusammenbricht, dann müssen wir eben in die | |
Popcornkasse greifen. | |
Felix Grassmann: Und zur Wahrheit gehört auch: Kinder lieben Popcorn. Wir | |
haben jeden Tag einen Kinderfilm. Wer würde einem Kind diesen Glücksmoment | |
verweigern? Und es gibt ja auch noch Erwachsene, die Kinder geblieben sind. | |
Werner Grassmann: Es ist ja auch nicht so ein Massenverbrauch an Popcorn. | |
Wir stellen das selber her. Es ist eine schöne Kleinigkeit, ein | |
zusätzlicher Genuss, den man im Kino anbietet. Wer isst schon zu Hause | |
Popcorn? Das schmeckt ja nicht. | |
Vor einer Woche wurden die Oscars vergeben, kommende Woche startet die | |
Berlinale. Spielen Filmpreise für das Abaton eine Rolle? | |
Werner Grassmann: Ich halte von Preisen überhaupt nichts. Ich habe meine | |
eigene Wertschätzung. Und ich bilde mir ein, dass die Leute wissen, wenn | |
ein Film im Abaton läuft, dann ist das so, als wenn er auf der Berlinale | |
einen Preis bekommen hätte. Das stimmt natürlich nicht, aber schön wäre es. | |
Felix Grassmann: Es spielt indirekt schon eine Rolle. Die Verleiher, deren | |
Filme im Oscar-Rennen sind, bringen diese alle im Januar raus. Das ist | |
schade. Wir würden sie alle gern zeigen, aber das können wir nicht, weil | |
wir nur drei Leinwände haben. „Little Women“ konnten wir aus Platzgründen | |
erst ab der zweiten Woche zeigen. „1917“ konnten wir gar nicht zeigen. | |
Die Filmbranche ist immer noch männlich dominiert. Den Oscar für die Beste | |
Regie hat erst einmal eine Frau erhalten. Ich habe mal in Ihr Programm | |
geschaut. Sie haben ein fast ausgeglichenes Verhältnis von Männern und | |
Frauen als Regisseuren. Ist das Absicht? | |
Felix Grassmann: Wir achten natürlich darauf, von wem die Filme sind. Aber | |
wenn am Ende ein ausgeglichenes Verhältnis dabei herauskommt, ist das auch | |
ein Stück Zufall. Das kann sich von Monat zu Monat verschieben, weil wir ja | |
nur das ins Programm nehmen können, was die Verleiher uns anbieten. | |
Aber Sie haben eine große Auswahl, wie Sie selbst gesagt haben. | |
Felix Grassmann: Ja, wir legen auch großen Wert darauf, dass Regisseurinnen | |
ins Programm kommen. „Little Women“ von Greta Gerwig ist zum Beispiel ein | |
ganz wichtiger Film, der sich auch mit Geschlechterrollen im Kulturbetrieb | |
auseinandersetzt. | |
Werner Grassmann: Früher gab’s diese Differenz zwischen männlich und | |
weiblich ja nicht. | |
Weil die Filme eh alle von Männern waren. | |
Werner Grassmann: Wir haben schon immer Wert darauf gelegt, Filme von | |
Frauen zu zeigen: Margarethe von Trotta, Ula Stöckl, Helma Sanders-Brahms | |
oder auch Ulrike Ottinger. | |
Felix Grassmann: Wir freuen uns deswegen auch sehr, dass Ulrike Ottinger | |
ihren neuen Film „Paris Calligrammes“ hier präsentieren wird. | |
Das Abaton wird im Oktober 50 Jahre alt. Wie sind Sie, Werner Grassmann, | |
damals eigentlich auf den Namen gekommen? | |
Werner Grassmann: Ich wollte kein Geld für Werbung ausgeben. Damals waren | |
Zeitungsanzeigen noch sehr wichtig für Kinos, und die standen da nun mal | |
alphabetisch drin. Ich wollte ganz oben stehen, das erste Kino sein, das | |
einem ins Auge springt. Das Kino musste also mit „A“ beginnen, dann gern | |
ein „b“ und dann wieder ein „a“. Dann haben wir ein bisschen probiert u… | |
sind am Ende auf Abaton gekommen. | |
Felix Grassmann: Die viel schönere und poetischere Erklärung ist natürlich, | |
dass sich „Abaton“ aus dem Griechischen herleitet. Es ist ein Ort, an dem | |
Priester Zwiesprache mit Gott halten. Einen ähnlichen Raum haben wir hier | |
gestaltet. Ein ausgewähltes Publikum kann hier für wenig Geld Zwiesprache | |
mit einem göttlichen Produkt halten: dem Film. | |
15 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Daniel Böldt | |
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