# taz.de -- Abaton-Programmchef über Abschied: „Ich glaube an die Kraft des … | |
> Vor über 30 Jahren startete Matthias Elwardt als Kartenabreißer im Abaton | |
> Kino. Zum Ende des Jahres wird der langjährige Programmchef gehen. | |
Bild: Wird in der Hamburger Kinolandschaft fehlen: Matthias Elwardt | |
Herr Elwardt, Sie kamen früh zur Leinwand und waren schon als Schüler in | |
der Film-AG. Haben Sie jemals überlegt, etwas anderes zu machen? | |
Matthias Elwardt: Lustigerweise ja. Ich bin damals drei Jahre | |
Schülersprecher gewesen. Und parallel dazu hatte ich einen Lehrer im | |
Mathe-Leistungskurs, das war so ein frischer 68er. Der hat mit mir zusammen | |
die AG gemacht. Es gab dann zum Beispiel ein Polanski-Festival. „Ekel“ und | |
„Rosemary's Baby“, für Schüler eigentlich nicht wirklich geeignet. So hat | |
mich Kino interessiert, aber genau so hat mich auch die Schule | |
interessiert. Wir haben mit dem Abi-Zeugnis eine offizielle Warnung vom | |
Kultusministerium Schleswig-Holstein bekommen. Da stand drin, wir sollten | |
nicht Lehrer werden, weil es zu viele Lehrer gibt. Deshalb bin ich das nie | |
geworden. Ich hätte mir Mathe und Geschichte als Lehrer vorstellen können. | |
Sie haben im Studium anschließend selbst Filme gedreht. | |
Ich hatte einen Kurzfilm, der lief bei dem Vorläufer des Hamburger | |
Kurzfilmfestivals. Ich habe aber gemerkt, dass ich immer nur | |
Kunsthandwerker geblieben wäre. Beim Schnitt dachte ich irgendwann – ich | |
muss nicht Filmemacher werden. | |
Im Abaton sind Sie dann ab Mitte der 80er-Jahre zwar nicht vom | |
Tellerwäscher zum Millionär, aber doch vom Kartenabreißer zum | |
Geschäftsführer und Programmchef mit 27 Jahren aufgestiegen. | |
Ich habe das große Privileg gehabt, dass ich als Student einen Job bekommen | |
habe. Angefangen habe ich am 20. Februar 1986, als „Ganz Unten“ von Günter | |
Wallraff anlief. Der damaligen Programmchefin Hella Reuters habe ich etwas | |
später die Idee des „Bloomsday“ nähergebracht. Den habe ich 1988 gestarte… | |
also vor dreißig Jahren. | |
Den „Bloomsday“ gibt es im Abaton jedes Jahr am 16. Juni zum Gedenken an | |
den Tag der Handlung in James Joyces Roman „Ulysses“. Die Hauptfigur | |
Leopold Bloom ist Namensgeber. Sie zeigen die Verfilmung und es gibt | |
begleitende Lesungen sowie das „Bloomslunch“ mit Gorgonzola-Sandwich und | |
Rotwein. Wie sieht es dieses Jahr aus? | |
Das ist schwierig. Ab Anfang Juni wird das Foyer umgebaut und dafür leider | |
auch der 35mm-Projektor geopfert. Finde ich sehr schade, aber das ist nicht | |
meine Entscheidung. Die einzige „Bloomsday“-Kopie auf 35mm, die es gibt, | |
liegt bei uns im Keller. Die kann man dann nicht mehr zeigen. Jetzt muss | |
ich mal schauen, ob wir das etwas vorziehen. Digital gibt es nur die | |
englische Fassung, das ist bei Joyce natürlich nicht so einfach. | |
Aktuell machen Netflix und andere digitale Anbieter den Kinos Konkurrenz, | |
indem sie Filme exklusiv produzieren. Wie erleben Sie diesen Umbruch? | |
Wir haben im Augenblick genug Filme, ich sehe da keinen Mangel. Das ist | |
dann einfach so. Netflix ist auch eigentlich ein amerikanischer | |
Serienabspieler. Da sind deutsche und europäische Geschichten ja reine | |
Feigenblätter. Netflix hat Adam Sandler unter Vertrag – so what? | |
Adam Sandler bringen Sie eher nicht. | |
Nein, die Filme laufen bei uns sowieso nicht. Ich glaube, dass es ein | |
Publikum gibt, das den kulturellen und sozialen Ort Kino wahrnimmt und | |
genießt. Wir haben in Hamburg annähernd 50 Prozent Singles. Das Kino ist | |
ein wichtiger Ort zum Treffen, Verabreden und Kennenlernen. | |
Netflix macht Ihnen also keine Sorgen? | |
Nein, ich glaube an die Kraft und die Vielfalt des Kinos. | |
Vor Kurzem wurde bekannt, dass Sie nach fast 30 Jahren als Programmchef zum | |
Ende des Jahres das Abaton verlassen werden. Weshalb gehen Sie? | |
Eigentlich habe ich nicht so Lust, darüber viel zu erzählen. Die Familie | |
Grassmann hat mir meinen Geschäftsführervertrag gekündigt, weil die Söhne | |
es selber machen wollen. Ganz einfach. Die gerichtlichen | |
Auseinandersetzungen über den Kinomietvertrag sind über mehrere Jahre | |
gegangen. Was soll ich da mehr zu sagen? | |
Werden Sie dem Abaton denn in einer Form verbunden bleiben? | |
Nein, das ist eine klare Trennung. Ich führe Gespräche und gucke einfach | |
mal, was ich 2019 mache. Das muss nicht zwangsläufig in Hamburg sein, das | |
kann Kino sein, muss es aber nicht. Ich bin da offen und optimistisch. | |
Meine Tochter studiert und mein Sohn geht auf das Abi zu. Meine Freundin | |
würde auch an andere Orte mitkommen, da bin ich also nicht gebunden. | |
Ihre Nachfolger, Philip und Felix Grassmann, wollen das Abaton in Zukunft | |
„digitaler“ gestalten. Hat das Abaton hier Nachholbedarf? | |
Ich glaube, es geht darum, dass sie zum Beispiel den Newsletter in anderer | |
Form verschicken wollen. Im Digitalen passiert ja immer mal was, aber das | |
bezieht sich jetzt nicht auf die Kinovorführung oder so. Dass es neue | |
Software gibt, um den Newsletter zu verschicken oder diesen auch zu | |
individualisieren – ja, das kann man machen. | |
An welche Erlebnisse erinnern Sie sich gerne zurück? | |
Viele Regisseure bezeichnen das Abaton als ihr Wohnzimmer, da gibt es sehr | |
oft Verbindungen bis zum allerersten Film. Den ersten Kurzfilm von Fatih | |
Akin habe ich im regulären Programm als Vorfilm gezeigt. Von Fatih haben | |
wir alles gezeigt, der ist zu allen Veranstaltungen auch gekommen. Bei | |
„Kurz und Schmerzlos“ habe ich ihn eingeladen, im Anschluss einen Film | |
seiner Wahl zu zeigen. Ich habe „Scarface“ vorgeschlagen, das ist ja der | |
Kultfilm bei „Kurz und Schmerzlos“. Fatih hat den dann vorgestellt und ich | |
gucke in den Saal und sehe am Montagabend 200 – ich sage mal in | |
Anführungsstrichen – Altonaer Türken. Als ich den Film mit ihnen gesehen | |
habe, wurde mir klar, dass „Scarface“ eine Migrationsgeschichte erzählt. | |
3 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Leif Gütschow | |
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