# taz.de -- Filmemacher über den Geist von 1967: „Geburtsstunde des anderen … | |
> Das erste Film-In in Hamburg feiert nach 50 Jahren ein drei Tage langes | |
> Revival. Ein Gespräch über den Geist von 1967 und was davon übrig ist. | |
Bild: Drei Tage, großer Effekt: Christian Bau und Maike Mia Höhne mit einem B… | |
taz: 1967 hat in Hamburg eine Handvoll Filmbegeisterter 72 Stunden lang | |
Filme geschaut. Warum ist das so wichtig, das Sie das 50 Jahre später | |
feiern wollen? | |
Maike Mia Höhne: Weil es die Geburtsstunde des anderen Kinos in dieser | |
Stadt ist. Aus der Aktion heraus hat sich sehr schnell die „Filmemacher | |
Kooperative“ entwickelt. Diese hat die erste Filmschau veranstaltet. Wir | |
wollten aber auch schauen, was in den letzten 50 Jahren in Hamburg passiert | |
ist. Was gab es danach für Entwicklungen und was waren das für Filmemacher, | |
die damals dabei waren? Dabei haben sich total spannende Linien ergeben. | |
Welche? | |
Höhne: Die Hochschule für bildende Künste hat später ihre Professuren so | |
besetzt, dass dieses experimentelle und radikale Kino vermittelt wurde. | |
Gerd Roscher, Helke Sanders und Rüdiger Neumann haben jahrzehntelang | |
Studenten mit dieser Idee des anderen Kinos infiltriert. Und Fatih Akin | |
macht auch darum jetzt solche Filme, weil er Professoren hatte, die immer | |
gesagt haben: Du kannst ruhig Mainstream machen, aber denk immer auch über | |
die Perspektive nach. Oliver Hirschpiegel hat in den 80er-Jahren mit | |
Videoinstallationen gearbeitet und heute macht er großes Unterhaltungskino. | |
Uns war es wichtig zu zeigen, wie viel diese drei kurzen Tage im Jahr 1967 | |
angestoßen haben. | |
Dieses Hamburger Film-In war ja eine eher sportliche als filmische | |
Veranstaltung – es lief 72 Stunden ohne Unterbrechung. Beim 2. Film-In | |
lassen Sie die Filme zwar über drei Tage laufen, Sie sparen sich aber die | |
Nächte. Warum? | |
Höhne: Wir haben auch darüber gesprochen und dann entschieden, dass wir in | |
unserem Alter das Ding dann doch um 2 Uhr Nachts beenden wollen. Damals | |
hatten alle ja auch noch keine Kinder und Familie. Es soll ja auch keine | |
Kopie sein, sondern nur den Geist von dem weitertragen, was Werner | |
Grassmann und andere damals gemacht haben. | |
Herr Bau, Sie waren ja damals mit dabei, woran erinnern Sie sich? | |
Christian Bau: Das mit den 72 Stunden stimmt insofern nicht, weil der | |
Projektor öfters durchbrannte und man keine Ersatzteile hatte. Dann wurde | |
er gewartet, viel geraucht und viel Bier und Rotwein getrunken. Für mich | |
war das erstaunlichste die gleichzeitigen Projektionen von verschiedenen | |
Filmen. Das waren ja ganz frühe Multimedia-Geschichten. | |
Werden jetzt die gleichen Filme gezeigt, die auch damals im Programm waren? | |
Bau: Nein. Damals war ja die Idee, dass jeder einen Film mitbrachte und der | |
wurde dann auch gezeigt. Da liefen Wochenschauen, Pornofilme, | |
Wahlwerbespots und weiß der Teufel was. Aber den richtigen Underground, den | |
gab es ja noch gar nicht. Außerdem weiß man heute gar nicht mehr so genau, | |
welche Filme da im Einzelnen gelaufen sind. | |
Nach welchen Kriterien haben Sie die Filme ausgewählt? | |
Bau: Für uns ist dieses Jubiläum auch ein Geschenk an Werner Grassmann. Der | |
ist jetzt am Samstag gerade 91 Jahre alt geworden und er wird am | |
Freitagabend auch dabei sein. Wir widmen ihm diesen ersten Abend und zeigen | |
Filme aus der Zeit, aber wir machen ja nicht nur eine Rückschau, sondern | |
wollen auch unsere Leidenschaft für diese Art von Kino propagieren. Wir | |
wollen die Augen dafür öffnen, was für interessante Filme es aus Hamburg | |
gibt. So werden auch ganz neue Filme gezeigt, wie „Streetscapes“ von Heinz | |
Emigholz, der auf der diesjährigen Berlinale seine Premiere hatte. Die sind | |
aus dem Geist von 1967 heraus entstanden, weil Kritik und Kunst bei ihnen | |
zusammengehen. | |
Irgendwie war das erste Film-In aber auch ein Coup, der veranstaltet wurde, | |
damit die Presse darüber schreibt. | |
Bau: Das war die Idee von Werner Grassmann. Aber der hat immer schon | |
weitergedacht und den merkantilen Aspekt einer Aktion gesehen. Deswegen hat | |
er dann ja auch das Kino Abaton gebaut. | |
Höhne: Ohne diesen Mann, sein großes Herz und seine Visionen davon, dass | |
die Menschen ein engagiertes, anderes Kino brauchen, hätte es diese | |
Entwicklung in Hamburg nie gegeben. Er war ja schon immer zehn Jahre älter | |
als die anderen und konnte zulassen, dass da so Verrückte um ihn herum | |
gekrabbelt sind. | |
Welche Visionen hatte er noch? | |
Bau: Für die erste Hamburger Filmschau im Februar 1968 suchte Grassmann | |
wieder nach einer tollen Geschichte für die Presse. Er hat dann eine | |
Delegation von drei Leuten in einem Volvo nach Grenoble geschickt, wo | |
gerade die olympischen Winterspiele eröffnet wurden. Einer von denen lief | |
zum olympischen Feuer und steckte sich daran eine Zigarette an. | |
Nicht ohne Konsequenzen. | |
Er wurde zwar festgenommen, kam aber bald wieder frei: Dann fuhren die drei | |
mit der Glut von der brennenden Zigarette zurück nach Hamburg, wo daran | |
eine Fackel entzündet wurde, mit der das geklaute olympische Feuer zum Kino | |
gebracht wird. Davon gibt es einen 16-Milimeter-Film, den wir als Vorfilm | |
bei allen Vorführungen zeigen. | |
Sie selber nennen ihre Programmauswahl extrem subjektiv. Inwiefern? | |
Bau: Wir haben endlos darüber diskutiert, welche Filme wir zeigen und | |
welche wir weglassen. Es fehlen ganz viele Namen und ganz viele Filme. Wir | |
haben uns dann nur für die Filme entschieden, in denen etwas | |
durchschimmert. Wo man etwa bei einer frühen Arbeit schon spüren konnte, | |
was später kommen würde. Und wir meinen, bei diesem Kondensat wird etwas | |
sichtbar. | |
2. Hamburger Film-In: 29. 9. bis 1. 10. im B-Movie, Brigitttenstraße 5 | |
27 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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