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# taz.de -- Verschwinden: Kein Glück in Glückstadt
> "Zwiebelfische", der neue Film des Hamburger Filmemachers Christian Bau,
> handelt von Jimmy Ernst, dem Sohn des surrealistischen Malers Max Ernst.
> Bevor er nach New York emigrierte, war er Lehrling in einer Druckerei in
> Glückstadt.
Bild: Die ehemalige Druckerei Augustin in Glückstadt.
Die Orte verändern sich, wenn die Menschen verschwinden, die sie bevölkert
haben. Das Licht fällt zu den Fenstern der Druckerei herein wie immer, die
Kästen mit den Buchstaben liegen griffbereit in den Schubladen, doch
irgendetwas macht, dass man weiß: die Menschen, die sich in diesen Räumen
aufgehalten haben, werden nicht zurückkommen.
Für seinen neuen Film "Zwiebelfische" hat der Hamburger Filmemacher
Christian Bau die seit vielen Jahren leer stehende Druckerei Augustin in
Glückstadt ausgesucht, denn in diesen Räumen hat sich der Protagonist
seines Films aufgehalten: Jimmy Ernst. Der Sohn aus der ersten Ehe des
surrealistischen Malers Max Ernst mit der jüdischen Kunsthistorikerin und
Journalistin Louise Straus machte bei Augustin eine Setzerlehre. Mit 18
Jahren verschwand Jimmy nach Amerika und kam nie mehr zurück.
"Den Kontinent, auf dem ich 18 Jahre gelebt hatte, bevölkerten nun
Schatten, bloße Silhouetten", schrieb Jimmy Ernst, inzwischen selbst ein
erfolgreicher Künstler, in seiner Autobiografie "A Not-So-Still Life". Er
sei damals auf seine Zukunft vorbereitet worden, "indem ich meine Jugend in
Deutschland im Exil verbrachte".
Als Jimmy Ernst als 15-Jähriger nach Glückstadt kam, waren seine Eltern
bereits jeder für sich vor den Nazis nach Paris geflohen. Die Kunst von Max
Ernst galt als "entartet", Lou Straus war nicht nur Jüdin, sondern auch
politisch verdächtig. Die Jahre in Glückstadt hatte Jimmy Ernst in
schlechter Erinnerung. Als Halbjude sei er besonders gehasst worden, weil
seine Existenz der Beweis war, dass ein Arier Rassenschande begangen hatte,
schrieb er später.
In seinem Film, den er zusammen mit dem Hamburger Künstler Artur Dieckhoff
gedreht hat, fährt Christian Bau in langsamen Kamerafahrten durch die
Druckerei, währen der abwesende Jimmy Ernst als Erzählerstimme zugeschaltet
wird. Zeitzeugen blättern in alten Fotoalben, die Aufmärsche in Glückstadt
zeigen oder Szenen aus der Druckerei, als sie noch bevölkert war. Ältere
Männer, die sich auskennen, treten in die Räume ein und hantieren mit den
Lettern, für die die Druckerei Augustin berühmt war - als eine der wenigen
in Deutschland konnte sie nicht nur mit lateinischen Buchstaben drucken,
sondern auch mit arabischen oder chinesischen Schriftzeichen. Die Augustins
waren national-konservativ und weltoffen zugleich, die anthropologischen
Werke, die sie verlegten, gingen in viele Länder. Dank ihnen war
Glückstadt, das heute nicht mehr als eine Altstadt und den Matjeshering
hat, weit über die deutsche Grenze hinaus bekannt.
Fast 40 Minuten verharrt der Film an diesem vergangenen Ort. Die
klaustrophobische Enge, die sich einstellt, spiegelt die Situation von
Jimmy Ernst, der in Glückstadt nur leben kann, weil die Familie Augustin
ihre Hand über ihm hält. Immer wieder muss er umziehen, bekommt
signalisiert, dass er unerwünscht sei. Als die Situation unhaltbar wird,
verhelfen ihm die Augustins zur Flucht nach New York, wo der Sohn der
Familie, J. J. Augustin, bereits eine Dependance aufgebaut hat. Das
offizielle Signet des Druckhauses in jener Zeit zeigt auf der linken Seite
Glückstadt und auf der rechten die Wolkenkratzer von New York, beide sind
mit einem Regenbogen verbunden.
Beim Anschauen seines Films habe er selber das Gefühl bekommen, dass die
Bilder atmen, sagt Christian Bau, der zur ersten Filmklasse an der
Hamburger Hochschule für bildende Künste gehörte. Seit 30 Jahren macht er
mit seinem Filmkollektiv "Die Thede" Dokumentarfilme, die selten
marktgängig sind, dafür aber um so inspirierter. Immer haben Christian Baus
Filme auch mit ihm selbst zu tun, bei "Zwiebelfische" sind es Bilder von
Max Ernst, die seine Familie besessen hat, vermittelt von der befreundeten
Kunsthändlerin Johanna Ey, die wiederum mit der Mutter von Jimmy Ernst
befreundet war. Die hatte im südfranzösischen Exil, wo sie bis 1944 lebte,
geschrieben, sie wolle auf der Flucht nur drei Dinge mitnehmen: Einen
Gedichtband von Rilke, einen Teelöffel der Familie Augustin und ein
gestricktes Tuch von Johanna Ey.
Für seinen Film hat Christian Bau alte Filmaufnahmen aufgestöbert, die das
französische Dorf Manosque zeigen, in dem Lou Straus die letzten Jahre
lebte, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurde. Vergeblich hatte sie auf
ihre Ausreisepapiere von der amerikanischen Botschaft gewartet. Ihrem Sohn
schrieb sie noch nach New York, sie sei Passagier auf einem Schiff namens
"Optimist".
Vieles bleibt in "Zwiebelfische" ungesagt. Die schwierige Beziehung von
Jimmy Ernst zu seinem berühmten und irgendwie auch immer übermächtigen
Vater wird nur angedeutet, das Schicksal seiner Mutter wird erst an dessen
Ende eingeblendet. Dafür geht es mindestens genauso wie um Jimmy Ernst um
die Druckerei, die Buchstaben, die Zeichen. Immer wieder werden diese
Bilder eingeblendet, das Typografische verselbstständigt sich wie der
Soundtrack, der sich erst beschleunigt, als der Aufbruch ansteht aus der
Heimat, die von New York aus betrachtet zum Exil werden sollte.
Ganz am Ende des Films taucht die Witwe von Jimmy Ernst auf, Dallas Ernst.
Zusammen mit Christian Bau geht sie durch die Berliner Nationalgalerie, wo
gerade Bilder ihres Mannes hängen. In vielen der Bilder tauchten Zeichen
auf, keine Schriftzeichen mehr, aber denen ähnlich. An diesem Punkt
konvergiert die Bildsprache des Films mit der von Jimmy Ernst, der, das
sagt die Witwe auch, lange kein Deutsch mehr habe sprechen wollen. Wenn sie
Filme gesehen hätten, in denen jemand Deutsch sprach, und sie ihn fragte,
was die Leute gesagt hätten, habe ihr Mann geantwortet, das wisse er nicht.
"Zwiebelfische" sind in der Druckersprache die Buchstaben, die verschwunden
sind, weil sie in das falsche Fach einsortiert wurden. Jimmy Ernst ist es
in Glückstadt so ergangen und seiner Mutter Lou Strauss in einem
französischen Bergdorf.
14 Sep 2010
## AUTOREN
Daniel Wiese
Daniel Wiese
## TAGS
Film
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