# taz.de -- Kinogründer Werner Grassmann: "3-D hat ja viel mit Zirkus zu tun" | |
> Vor 40 Jahren gründete Werner Grassmann mit dem Abaton in Hamburg eines | |
> der ersten Programmkinos in Deutschland. Nun hat er eine Autobiografie | |
> geschrieben. Ein Interview über die Zukunft des Kinos, die Macht der | |
> digitalen Technik und das gute alte Zelluloid. | |
Bild: Der digitale 3-D-Film wird sich behaupten, weil man das zu Hause nicht ge… | |
taz: Herr Grassmann, Sie haben mit dem Abaton eines der ersten deutschen | |
Programmkinos gegründet. Wie sieht die Zukunft des Kinos aus? | |
Werner Grassmann: Das Kino verändert sich laufend, alle zwei Jahre beginnt | |
oder endet etwas. Im Augenblick ändert es sich in Richtung 3-D-Kino. Das | |
kommt für das Abaton nicht infrage, aber für die großen Multiplexe ist das | |
die Rettung vorm Untergang. 3-D hat ja viel mit Zirkus zu tun, insofern | |
kann man von einer Rückkehr zu den Anfängen des Kinos sprechen, die ja im | |
Jahrmarkt liegen. Das Kino hat viele Facetten, es gibt die Multiplexe, die | |
Programmkinos, die Filmkunsttheater, die Kommunalen Kinos. Das Publikum ist | |
heute sehr stark aufgeteilt, die Kids kommen nicht zu uns, und unsere | |
intellektuell anspruchsvolleren Zuschauer gehen kaum ins Cinemaxx. Das sind | |
zwei verschiedene Welten. | |
War das Publikum immer schon so wenig risikobereit? | |
Das war ein fließender Übergang. In der Anfangszeit des Abatons in den | |
frühen 70er Jahren ging man sowieso kaum ins Kino. Es gab Schnulzen und | |
Western, eine Art aufs Kino übertragene Groschenroman-Kultur, das hat sich | |
durch die Erfindung des Programmkinos verändert, das zu einem Ort der | |
Entdeckungen und des sozialen Austauschs wurde. In den frühen 80ern ging | |
diese Entwicklung durch das Aufkommen von Videokassetten zurück, vor allem | |
die Kids sahen Filme nun bevorzugt zu Hause, was sich heute durch die DVD | |
und das Internet noch erheblich verstärkt hat. Kino ist nicht mehr der | |
bevorzugte Ort des Filmeschauens, man kann sie überall sehen, sogar auf dem | |
Lokus mit dem Handy. | |
Wer kommt denn heute noch ins Abaton? | |
Das Durchschnittsalter unseres Publikums ist in den letzten Jahren deutlich | |
gestiegen, die Studenten haben nämlich gar keine Zeit mehr, ins Kino zu | |
gehen. Es gibt heute einfach zu viel Angebote auf dem Markt der | |
Zerstreuungen, und Filme können sie ganz gezielt zu Hause gucken. Gemeinsam | |
mit den Filmen ist der Geschmack des Publikums angepasster geworden, heute | |
kommt keiner mehr ins Kino, um von der Revolution zu träumen oder | |
aggressive Filme zu sehen. Agitatorische Filme wie "Themroc" gibt es ja | |
heute gar nicht mehr. Dieser Mangel an Wut wundert mich manchmal, wie | |
überhaupt die Tatsache, dass keine Banken gestürmt und Schaufenster | |
eingeschlagen werden. Die Leute nehmen heute alles hin. | |
Aber es gibt doch viele radikale Filme heutzutage, die digitale | |
Filmproduktion hat zu einem weltweiten Boom geführt. Warum finden diese | |
Filme ihren Weg nicht mehr ins Abaton? | |
Es stimmt leider, dass das Abaton kein sehr experimentierfreudiger Ort ist, | |
was auch daran liegt, dass wir mittlerweile ein großer Apparat mit 20 | |
Festangestellten sind, die am Monatsende ihr Geld haben wollen. Einerseits | |
bedaure ich das, andererseits kommt auch niemand, wenn wir mal einen | |
ungewöhnlichen Film zeigen. Wenn man das ein halbes Jahr lang macht, ist | |
man pleite. Es gibt noch die Filme, aber nicht mehr das Publikum dafür. | |
Ihr Buch lässt sich aber auch als schöner Beweis für die Gegenthese lesen: | |
dass man sich ein Publikum mit Engagement, Witz und Durchhaltevermögen erst | |
schaffen muss. | |
Da ist was dran. Aber inzwischen bin ich 40 Jahre älter und das Abaton | |
steht unter kommerziellen Zwängen, denen auch ich zu gehorchen habe. Sonst | |
ist das schnell vorbei hier. Ich bin ganz froh, dass wir statt kubanischer | |
Revolutionsfilme wochenlang Fatih Akins "Soul Kitchen" gezeigt haben, der | |
unserer Kinokasse sehr gut getan hat. | |
Wie wird die Kinosituation in zehn Jahren aussehen? | |
Der digitale 3-D-Film wird sich behaupten, weil man das zu Hause nicht | |
geboten bekommt. Allerdings wird auch die Attraktion dieser Filme und damit | |
die Zahl der Zuschauer wieder zurückgehen, es wird weniger Multiplexe | |
geben. Die anderen Kinos, auch wir, werden große finanzielle Probleme | |
kriegen, weil wir alle früher oder später digitalisieren müssen. Die | |
Verleiher werden uns nämlich eines nicht allzu fernen Tages keine | |
35mm-Kopien mehr liefern. Entweder nimmt man dann ihre Festplatten oder | |
kriegt gar nichts mehr. Kinos, die nicht auf die digitale Technik | |
umstellen, werden keine neuen Filme mehr abspielen können. Der Markt wird | |
sich ganz von allein bereinigen, es sei denn, die Verleihfirmen werden per | |
Gesetz verpflichtet, von jedem Film auch eine 35mm-Kopie zur Verfügung zu | |
stellen. Das wird aber so teuer sein, dass sich die Politik nicht | |
durchsetzen wird. | |
Hat das Abaton schon umgestellt? | |
Nein, das wird auch nicht so bald passieren, denn die Technik ist viel zu | |
teuer und bringt dem Kino keinen finanziellen Vorteil. So eine digitale | |
Projektionsmaschine kostet zwischen 40.000 und 80.000 Euro und hat eine | |
Lebensdauer von ungefähr fünf Jahren. Unser ältester 35mm-Projektor ist | |
hingegen von 1953, und der schnurrt immer noch. Man kann sich also leicht | |
ausmalen, dass die Investitionskosten für diese Technik für kleine Kinos | |
gar nicht lohnen. Sie lassen sich nicht in Form erhöhter Eintrittspreise an | |
die Zuschauer weitergeben, die haben davon nämlich keinen visuellen | |
Mehrwert, Bild und Geschichte sind dieselben. Wie sagte Steven Spielberg: | |
"Die Leute wollen im Kino Geschichten sehen und keine Pixel." | |
Welche Mittel haben kleine Kinos, sich gegen diese digitale | |
Marktbereinigung zu wehren? | |
Sie haben weder politische noch ökonomische Druckmittel. Den Verleihern | |
bringt die neue Technik enorme Kosteneinsparungen. Sie müssen nicht mehr | |
Zelluloid-Kopien ziehen, die zwischen 1.000 und 3.000 Euro kosten, und | |
statt schwerer Filmkopien, deren Versand rund 80 Euro kostet, müssen sie in | |
Zukunft nur noch für 1,45 Euro kleine Festplatten versenden. Auf denen | |
befindet sich der Film, es gibt dann Codes, mit denen er freigeschaltet | |
wird und damit er nicht unbefugt kopiert werden kann. Die Einzigen, die für | |
diesen technologischen Wandel bezahlen müssen, sind die Kinos, und die | |
haben nichts davon. | |
Können Sie sich nicht organisieren und die Verleiher bestreiken? | |
Die brauchen uns als Abspielstätten für Filme doch gar nicht mehr. Das Geld | |
verdienen sie eh im Fernsehen und durch die DVD-Verwertung. Außerdem gibt | |
es immer Streikbrecher. | |
Gibt es trotz aller Digitalisierung und dem Rückzug ins Private nicht auch | |
eine wiedererwachende Sehnsucht nach dem Kommunalen und nicht ganz | |
Perfekten? | |
Ich könnte mir vorstellen, dass kleinere Kinos - wie in Hamburg das B-Movie | |
und das Lichtmess - die Tradition des guten alten Zelluloid-Kinos in die | |
Zukunft retten werden. Ein sinnliches und haptisches Kino, bei dem der Ton | |
knistert, der Film mal reißt und bei dem die Aktenden nicht genau passen. | |
Das wird ein nostalgisches Gefühl wie bei der Fahrt einer uralten | |
Straßenbahn sein, an der alles klappert und quietscht. Ich weiß aber nicht, | |
ob ein etabliertes Kino wie das Abaton diesen Sprung zurück in die Zukunft | |
schaffen wird. | |
Warum schießen nicht überall neue Kinos aus dem Boden, Guerilla- und | |
Piraten-Kinos in Garagen und Kellern, die mit DVD-Player und Beamer zeigen, | |
worauf sie Lust haben? | |
Das frage ich mich auch. Das wird vielleicht ein weiterer Weg in die | |
Zukunft sein. Ein sehr gutes Beispiel für den Trend zurück zum gemeinsamen | |
Gucken nicht immer perfekter Bilder sind all die Fernseher und Leinwände in | |
Gaststätten, die Fußball zeigen. Vielleicht kommt ja bald jemand auf die | |
Idee, in seiner Kneipe einige der außergewöhnlichen Filmen zu zeigen, die | |
es mittlerweile überall auf DVD gibt. Oder die Werke von Filmstudenten, die | |
an ihren Unis krude, aufregende Filme drehen, die man nirgends sehen kann. | |
Kommen junge Kinogründer und fragen Sie um Rat? | |
Selten. Es ist ja auch ganz einfach, ein Kino zu machen. Man braucht einen | |
Projektor, man braucht Stühle, und man braucht Genehmigungen vom Finanzamt | |
und Bauamt. Das kann man in meinem Buch alles nachlesen. Die wichtigsten | |
Gaben eines Kinobetreibers sind Improvisationstalent und | |
Durchhaltevermögen. Das hat Rainer Werner Fassbinder auch über das | |
Filmemachen gesagt: Das Wichtigste sind nicht die Schauspieler, das Buch, | |
die Vision oder die Finanzierung, sondern: fertig werden. Durchhalten. Zu | |
Ende bringen. | |
30 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Volker Hummel | |
## TAGS | |
Programmkino | |
Film | |
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