| # taz.de -- Marginalisierte Stimmen aus Thüringen: „Wir stehen vor Trümmern… | |
| > Dass FDP und CDU mit der AfD kooperieren, sei fatal – aber nicht | |
| > unerwartet. Das sagen Schwarze, migrantische und jüdische Menschen. | |
| Bild: Demonstrierende vor der Thüringer Staatskanzlei am Mittwochabend | |
| Berlin taz | „Nichts ist wieder in Ordnung“, sagt Konrad Erben von der | |
| Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). Den Jenaer beruhigt es | |
| nicht, dass der durch die Stimmen der AfD frisch gewählte | |
| [1][Ministerpräsident Thüringens Thomas Kemmerich (FDP)] sein Amt nach | |
| knapp 24 Stunden wieder abgeben will. „Wir stehen vor den Trümmern dessen, | |
| was CDU, FDP und AfD angerichtet haben.“ | |
| Thomas Kemmerich war am Mittwoch im Erfurter Landtag im dritten Wahlgang | |
| mit den Stimmen seiner FDP, der CDU und der AfD zum Ministerpräsidenten | |
| gewählt worden. Der Vorsitzende einer Partei, die mit gerade mal 5 Prozent | |
| in den Landtag eingezogen ist, siegte mit einer Stimme Mehrheit über den | |
| bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke). Nach bundesweiten | |
| Protesten, auch aus CDU und FDP, erklärte Kemmerich am | |
| Donnerstagnachmittag, ein Rücktritt sei „unumgänglich“. | |
| „Wir haben es hier zwar mit einer akuten Problematik zu tun – aber eben | |
| auch mit einer chronischen“, sagt Erben. Es gebe in Thüringen eine „rechte | |
| und rassistische Mehrheit“. Diese reiche von der AfD bis hin zu | |
| Konservativen und Liberalen, „die lieber mit rechten Kräften | |
| zusammenarbeiten als mit demokratischen Linken“, sagt Erben. | |
| „Die rassistische Gewalt, die Schwarze und andere von Rassismus betroffene | |
| Menschen erfahren, wird von einer politischen und gesellschaftlichen | |
| Grundstimmung getragen. Und genau die wird von solchen Ereignissen wie dem | |
| im Erfurt Landtag befeuert. Das besorgt mich“, sagt Erben. Gleiches gelte | |
| für Projekte gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus, deren | |
| Finanzierung auf der Kippe stehe. „Da verfolgen AfD, FDP und CDU teils | |
| ähnliche Linien.“ | |
| ## „Politische Ansagen sind nichtig“ | |
| Was ihn erleichtert habe, [2][seien die Proteste], die es bundesweit | |
| spontan am Mittwoch gab. „Aber der historische Schaden ist da.“ Es sei der | |
| AfD gelungen, sich noch weiter zu normalisieren und „eine Brücke zu den | |
| scheinbar demokratischen Parteien zu schlagen“. | |
| Er habe auch Respekt vor denen, die in ihren eigenen Parteien für eine | |
| „klare Abgrenzung nach rechts kämpfen“, sagt Erben. „Ich beobachte aber … | |
| Sorge, dass diese Kämpfe überhaupt geführt werden müssen.“ Das Verhältnis | |
| mancher Parteien zur AfD sei „völlig ungeklärt – und Thüringen hat gezei… | |
| dass es jederzeit kippen kann“, sagt Erben. | |
| „Wir haben es immer geahnt: Wenn es hart auf hart kommt, dann sind alle | |
| politischen Ansagten nichtig“, sagt auch Mamad Mohamad. Er ist | |
| Vorstandsmitglied des Dachverbands Migrantenorganisationen in | |
| Ostdeutschland (DaMOst) und Geschäftsführer der Migrantenorganisationen in | |
| Sachsen-Anhalt. | |
| Die Wahl Kemmerichs mithilfe der AfD habe erneut gezeigt, „dass wir keine | |
| politische Lobby haben, dass unsere Sorgen nicht zählen“, sagt Mohamad. | |
| „Das verunsichert uns als Menschen, die wir hier in Ostdeutschland leben.“ | |
| Menschen mit Migrationshintergrund hätten „täglich mit | |
| Diskrimierungserfahrungen und Alltagsrassismus zu tun, in allen Schichten | |
| und Lebensbereichen, sei es nun Kita, Schule, der Arbeitsmarkt oder der | |
| Sport“, sagt Mohamad. Für die Menschen, die wir vertreten, ist eins | |
| wichtig: Sie müssen sich darauf verlassen können, dass die demokratischen | |
| Kräfte Verantwortung übernehmen. Das haben FDP und CDU hier nicht getan.“ | |
| Auch Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, | |
| ist bestürzt. „Hier hat die AfD tatsächlich den Ministerpräsidenten | |
| bestimmt“, sagt er. Was in Erfurt geschehen ist, sei „schlimm für die | |
| demokratischen Parteien und ein weiterer Schritt hin zur Salonfähigkeit der | |
| AfD“. | |
| Dass dies gerade in Thüringen geschehe, mit Björn Höcke als AfD-Spitze, sei | |
| „fast unglaublich“, sagt Schramm. „Der Rückzug der Demokraten und der | |
| Vormarsch der AfD – das verstärkt die Angst, die viele Mitglieder der | |
| jüdischen Gemeinde ohnehin haben.“ | |
| ## „Auch die CDU hat versagt“ | |
| Nicht nur in Deutschland, auch in Europa und den USA nehme der | |
| Nationalismus zu. „Ob bewusst oder unbewusst – unsere Mitglieder wissen, | |
| dass eine Zunahme des Nationalismus immer mit Problemen für die | |
| Minderheiten verbunden ist.“ Besonders die jungen Leute überlegten nun, ob | |
| es nicht besser sei, nach Israel zu gehen, statt in Deutschland einen | |
| Studien- oder Arbeitsplatz zu suchen. Gerade nach dem [3][antisemitischen | |
| Anschlag in Halle] treffe die Wahl auf eine reale Situation der Angst in | |
| den Gemeinden. | |
| Eine AfD mit Höcke an der Spitze relativiere außerdem die Verbrechen des | |
| Nationalsozialismus. Sie sei keine „Partei der Mitte, sondern ein Schritt | |
| in die Vergangenheit“, sagt Schramm. „Formal mag die Wahl dieses Politikers | |
| einer Fünf-Prozent-Partei ja ordentlich abgelaufen sein“, sagt er. Aus | |
| moralischen Gründen aber hätte Kemmerich die Wahl gar nicht erst annehmen | |
| dürfen. „Aber auch die CDU hat versagt. Sie hätte diese Wahl verhindern | |
| können. Dann wäre das alles nicht nötig gewesen.“ | |
| 6 Feb 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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