| # taz.de -- Neurechter Jubel über Thüringen: Das rechte Komplott | |
| > Vom Trubel in Thüringen profitiert bisher nur: die AfD. Mit ihnen jubelt | |
| > die ganze neurechte Szene – und nimmt nach Ramelow neue Gegner ins | |
| > Visier. | |
| Bild: Derzeit gut gelaunt: Björn Höcke (Mitte) und sein Vertrauter Torben Bra… | |
| BERLIN/ERFURT taz | Der Jubel erfolgte prompt. „Patrioten machen Bodo | |
| Ramelow arbeitslos!“, verbreitete das neurechte Netzwerk „Ein Prozent“ | |
| sofort eine Nachricht, als Thüringen am Mittwoch plötzlich einen neuen | |
| Ministerpräsidenten hatte – Thomas Kemmerich, FDP, gewählt mit den Stimmen | |
| der AfD und CDU. Man reagiere nun aus der Opposition heraus, jubilierte das | |
| Netzwerk. Es zeige, „welche Macht die patriotische Bewegung mittlerweile | |
| hat“. | |
| Und „Ein Prozent“ war nicht allein. Seit dem Trick der AfD – die Partei g… | |
| im dritten Wahlgang nicht mehr ihrem Kandidaten, sondern FDP-Mann Kemmerich | |
| alle Stimmen und verhalf ihm so zum Sieg – [1][herrscht in der neurechten | |
| und rechtsextremen Szene Hochstimmung]. Von einer „Sensation“ spricht der | |
| Identitäre Martin Sellner. Der neurechte Vordenker Götz Kubitschek preist | |
| seinen Vertrauten Björn Höcke, Thüringens AfD-Chef: „Das taktische Arsenal | |
| der AfD ist um eine feine Variante reicher.“ Und Philipp Stein, Kopf von | |
| „Ein Prozent“, jubelt über einen „Paradigmenwechsel“. | |
| Der Jubel kommt nicht von ungefähr. Denn all diese neurechten Protagonisten | |
| sind eng mit der AfD verbandelt – und sehen sich als gemeinsames Netzwerk. | |
| Die AfD als parlamentarischer Arm, [2][Kubitscheks Institut für | |
| Staatspolitik als Denkfabrik] sowie „Ein Prozent“ und die Identitären als | |
| außerparlamentarische Kraft. Ihr Ziel: eine Kulturrevolution von rechts. | |
| Mit dem Coup in Thüringen sieht man sich nun einen Schritt vorangekommen – | |
| auch wenn noch offen ist, wie viel der Sieg Kemmerichs ihnen am Ende | |
| tatsächlich nutzt, wenn es nun zu Neuwahlen kommt. | |
| ## „Figur, die König Ramelow matt setzte, mehr nicht“ | |
| Kubitschek preist den Wahlakt jedenfalls als strategischen Schachzug. | |
| Kemmerich sei „die Figur, die König Ramelow matt setzte, mehr nicht, und er | |
| hat sich – so ist das bei Figuren – nicht selbst geführt“, schreibt er a… | |
| seinem Blog. Es sei Höckes AfD gewesen, die Mehrheiten gesucht und den | |
| „Gegner überrumpelt“ hätte. „So konstruktiv-destruktiv wie Höcke hat a… | |
| dieser Partei heraus noch keiner agiert“, so Kubitschek. „Von solchen | |
| Momenten erhofft man sich Wirkung.“ | |
| Nicht anders klingt Philipp Stein, der „Ein Prozent“-Chef. Die AfD-Fraktion | |
| habe das, „was im Vorfeld geplant wurde, in minutiöser Art umgesetzt“. | |
| Statt um eine Regierungsbeteiligung zu „betteln“, habe die AfD selbst | |
| gehandelt. Die Abwahl Ramelows habe „Symbolwirkung“. Dies zeige, wie man | |
| aus der Opposition gestalten könne. | |
| Auch Stein, der mit seinem Netzwerk rechte Protestbewegungen wie Pegida | |
| pusht, ist kein Unbeteiligter. Noch am Abend der Thüringen-Wahl im Oktober | |
| posierte er mit Höcke in einem Video. „Ihr seid die, die uns den Rücken | |
| freihalten“, richtete der AfD-Mann seinen Dank an Stein. [3][Stein selbst | |
| sprach seine Agenda auf einer Pegida-Kundgebung offen aus: Es gehe um einen | |
| „politischen Wandel im Land“]. Bald gebe es hierzulande eine andere | |
| Stimmung. „Und darauf könnt ihr euch freuen.“ | |
| ## Gab es ein geplantes Komplott? | |
| Der Jubel der Neurechten kommt daher erwartet. Wie viel langfristige | |
| Strategie hinter der Wahl Kemmerichs steckt, bleibt indes noch unklar. | |
| Thüringens AfD-Co-Chef Stefan Möller behauptet, seine Partei habe Kemmerich | |
| bewusst „aufs Podium“ gelockt und ihn dann „planmäßig gewählt“. Auch… | |
| Weidel, AfD-Fraktionschefin im Bundestag, spricht vom „Schmieden einer | |
| bürgerlichen Allianz“. Nach dem Wahlgang twitterte sie prompt: „An der AfD | |
| führt kein Weg mehr vorbei!“ | |
| Klar ist, dass Höcke bereits im November einen Brief an Kemmerich schrieb | |
| und eine Zusammenarbeit anbot. Denkbar wären eine „gemeinsam getragene | |
| Expertenregierung“ oder eine von der AfD gestützte Minderheitsregierung. | |
| Auch nachdem Kemmerich seinen Antritt als Ministerpräsidentenkandidat | |
| kundtat, kursierte im Landtag schnell, [4][dass die AfD nicht ihren | |
| Kandidaten, den parteilosen Dorfbürgermeister Christoph Kindervater, wählen | |
| könnte, sondern den FDP-Mann]. Als der tatsächlich gewählt war, brandete | |
| nur bei einer Fraktion Jubel auf: der AfD. | |
| In der ersten Reihe neben Höcke saß da Torben Braga, Geschäftsführer der | |
| AfD-Fraktion, ein Burschenschaftler. Er ist es nun, den Stein als | |
| „Strategen“ hinter dem Wahltrick bezeichnet. Beide sind gut bekannt, waren | |
| Sprecher des Dachverbands „Deutsche Burschenschaft“, in der sich auch | |
| rechtsextreme Verbände tummeln. | |
| Braga gibt sich am Donnerstag wortkarg. Auch er nennt den Wahlsieg | |
| Kemmerichs einen „Erfolg“ für die AfD. Warum ihn Stein als Stratege | |
| dahinter bezeichne, wisse er nicht, sagt Braga der taz. Dieser sei aber | |
| „ein kluger Mann“. Auch wie die AfD den Wahltag vorbereitete, will Braga | |
| nicht verraten. Nur so viel: „Es gab keine Absprachen mit anderen | |
| Parteien.“ | |
| Die Euphorie über den Raumgewinn der Neurechten dämpft Braga indes, | |
| womöglich vorgeblich. Was dieser Wahltag für den „vorparlamentarischen | |
| Raum“ bedeute, würden die nächsten Wochen zeigen. Es gehe ja bisher nur um | |
| eine Ministerpräsidentenwahl. „Was soll da folgen?“ | |
| ## Höcke will Geschichte geschrieben haben | |
| Björn Höcke selbst beklagt am Donnerstag vorerst nur den Protest nach | |
| Kemmerichs Wahl: die „Belagerung“ des Landtags, eine Kanzlerin, die „wie … | |
| Untanen redet“ und „brennende Autos“. Gemeint ist ein nächtlicher | |
| Brandanschlag auf zwei Autos von Burschenschaftlern in Jena. | |
| Am Vortag aber frohlockte auch er, dass seine Partei die „taktische Karte | |
| gespielt“ und „ein kleines Stück Geschichte geschrieben“ habe. „Noch s… | |
| wir nicht stark genug, einen eigenen Ministerpräsidenten zu wählen.“ Aber | |
| man sei stark genug, „rote Ministerpräsidenten“ abzulösen. „Darauf kön… | |
| wir alle stolz sein.“ | |
| Klar ist: Innerparteilich sind Höcke und sein radikaler „Flügel“ nun | |
| nochmals gestärkt – und auch innerhalb der neurechten Bewegung. Man sei | |
| „stolz“ auf die Thüringer Parteifreunde, jubelte denn auch der „Flügel�… | |
| Diese hätten „Idealismus gepaart mit taktischem Geschick bewiesen“. Für d… | |
| AfD ist dieser Machtgewinn indes auch nicht ohne Gefahr: [5][Denn der | |
| Verfassungsschutz führt den „Flügel“ derzeit als extremistischen | |
| Verdachtsfall]. Gewinnt dieser weiter an Einfluss, könnte das bald auch der | |
| Gesamtpartei drohen. | |
| Noch aber beherrscht die Neurechten die Euphorie. Und dass Ramelow nun weg | |
| ist, reicht ihnen nicht. Philipp Stein machte sofort ein neues Ziel aus: | |
| Mit dem Ende von Rot-Rot-Grün sei es nun möglich, auch deren | |
| „Klüngelnetzwerke“ aufzulösen. Stein benannte sogleich einen Adressaten, | |
| gegen den sein Netzwerk seit Monaten schießt: den Rechtsextremismusexperten | |
| Matthias Quent und dessen Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. | |
| Mit dessen Förderung „kann und muss jetzt Schluss sein“. | |
| ## „Die Neurechten wollen eine kulturelle Hegemonie“ | |
| Für Quent kommt das nicht überraschend. „Es geht den Neurechten um eine | |
| kulturelle Hegemonie. Sie wollen das Vertrauen in die Demokratie und | |
| Zivilgesellschaft zerstören.“ Nach ihrem „Geländegewinn“ würden sie nun | |
| diejenigen unter Druck setzen, die diese Strategie offenlegen. „Das trifft | |
| auch die Kirchen oder kritische Unternehmer.“ Umso wichtiger sei der | |
| Protest, der sich nun landesweit für die Demokratie erhebe, so Quent. „Das | |
| ist ein ganz wichtiges Zeichen.“ | |
| Dass es nun womöglich zu Neuwahlen kommt, beunruhigt die Neurechten noch | |
| nicht. AfD-Mann Braga sagt, man wäre dafür gewesen, dem neugewählten | |
| Ministerpräsidenten Kemmerich eine Chance zu geben. Und eine Neuwahl würde | |
| wohl nichts an den Mehrheitsverhältnissen ändern. Käme es aber doch dazu, | |
| verweist Braga auf die Umfragen: „Wir wären da nicht gerade die Verlierer.“ | |
| 6 Feb 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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