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# taz.de -- Demonstrationen gegen die FDP: „Schämt Euch!“
> Tausende protestieren in Berlin, Erfurt, Jena und anderswo gegen die
> Allianz von AfD, FDP und CDU in Thüringen.
Bild: Demonstrant*innen am Mittwoch vor der Thüringischen Staatskanzlei in Erf…
Berlin/Erfurt/Jena taz | Kurz vor 18 Uhr stehen am Mittwoch ein paar
hundert DemonstrantInnen auf dem Gehweg gegenüber der FDP-Zentrale in
Berlin und rufen: „Wer hat uns verraten? Freie Demokraten!“ Es wehen
Parteifahnen in Rot, Rot und Grün, aber vor allem AntifaschistInnen sind
hier.
„Lieber mit Faschisten regieren, als nicht regieren“, ist in FDP-Gelb auf
einem Schild zu lesen. Andere Plakate machen historische Bezüge, auf einem
steht: „Hindenburg hätte FDP gewählt“. Das Schild hält Levi Penell. Der
19-Jährige sagt, er sei fassungslos, dass sich die FDP von der AfD
unterstützen lasse: „Es gab ja vorher Mutmaßungen, aber das hätte ich nie
gedacht.“
Nach [1][der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer
Ministerpräsidenten] kam am Nachmittag kurzfristig der Aufruf zur Demo in
Berlin-Mitte. Über Twitter und andere Netzwerke riefen nicht Parteien,
sondern vor allem Einzelpersonen und soziale Bewegungen auf. Ein
Veranstalter ist auf der Straße nicht erkennbar – voll ist es vor der
FDP-Zentrale trotzdem.
Zwischendurch gibt es eine Rangelei mit der Polizei. Die will die
Demonstration [2][eigentlich auf den Bürgersteig begrenzen, aber die
TeilnehmerInnen sind einfach zu viele]. Die Beamten geben auf und sperren
die Straße für den Verkehr.
Später am Abend [3][sind viele Menschen dazugekommen], die man vor dem
heutigen Tag vielleicht als bürgerlich bezeichnet hätte, wenn der Begriff
nicht seine Würde verloren hätte. Es ist jetzt so eng auf der Straße, dass
man kaum vor oder zurück kommt. 2.000 Menschen stehen schätzungsweise vor
der Parteizentrale und rufen: „Der FDP kannst du nicht trauen, vorne Gelb
und hinten braun!“ Und immer wieder: „Schämt Euch! Schämt Euch!“
## Die Fenster bleiben zu
Überhören kann man die Demo in der FDP-Zentrale sicherlich nicht. Aber die
Lichter bleiben aus, die Fenster geschlossen. Irgendwann l[4][euchten
DemonstrantInnen mit Taschenlampen die Fassade ab]: Liberalismus, noch
jemand zuhause? Ein Demonstrant malt sich aus, was passieren könnte: „Stell
dir vor, Lindner tritt gleich ans Fenster und sagt: ‚Ich freue mich ihnen
mitteilen zu können, dass ihr Rücktrittsgesuch …‘“
Man kann sich an diesem Abend nicht vorstellen, dass die FDP diese Wut, die
sich vor der Parteizentrale Luft macht, so einfach abschütteln kann, dass
sie abperlt an Christian Lindner. So viele Menschen wie heute, sagt einer,
hätten die Liberalen wohl noch nie auf die Straße gebracht: „Alter, hier
sind so viele Menschen, das hätte ich nicht gedacht.“
Und das nicht nur in Berlin: Deutschlandweit demonstrieren am Mittwochabend
Tausende Menschen gegen die Wahl Kemmerichs zum neuen Thüringer
Ministerpräsidenten. Proteste gibt es neben der Hauptstadt unter anderem in
München, Hamburg, Köln und Leipzig – und natürlich in Thüringen selbst.
## „Still mein MP“
In Erfurt sammeln sich schon am Nachmittag mehrere Hundert DemonstrantInnen
vor dem Landtag, unter ihnen auch Abgeordnete von Linken, SPD und Grünen.
Am Abend waren es dann um die Tausend. [5][Die DemonstrantInnen halten
Plakate mit Aufschriften wie] „Betrug am Wähler“ und „Stoppt AfD“ hoch,
auch ein Foto von Ramelow mit der Aufschrift „Still mein MP“ ist dabei.
Dazu Pfiffe, Buhrufe und viele „Alle zusammen gegen den Faschismus“-Rufe.
Der DGB hat zu der Kundgebung aufgerufen. Am späten Nachmittag verlagert
sich der Protestzug in die Innenstadt.
Während sich in der Staatskanzlei dessen bisheriger Chef Benjanim-Immanuel
Hoff (Linkspartei) bereits von den MitarbeiterInnen verabschiedet, sammeln
sich vor der Tür die DemonstrantInnen. „Ich bin beeindruckt, wie viel Leute
spontan hierher gekommen sind und laut werden“, sagt Melanie, eine junge
Gewerkschafterin mit Mütze, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen
will.
„Ich musste einfach herkommen“, sagt die Demonstrantin Janine Meier, die
hinter einem Kinderwagen steht. „Ich bin entsetzt. Ich habe es nicht für
möglich gehalten, dass Kemmerich sich von den Rechtsextremisten an die
Macht wählen lässt. Für den Mann haben doch gerade fünf Prozent der
Thüringer gestimmt.“
Dann soll eine Menschenkette um die Staatskanzlei gebildet werden. „Der“,
gemeint ist der neue Ministerpräsident, „soll merken, dass er nicht an uns
vorbei kommt“, ruft einer aus dem Lautsprecherwagen. Der Song „Schrei nach
Liebe“ von den Ärzten dröhnt aus den Boxen, das „Arschloch“ im Refrain …
kräftig mitgegrölt.
[6][Innerhalb weniger Minuten ist die Kette geschlossen], die Leute stehen
dicht an dicht. Mehre Hundert dürften es sein. „Not my (Minister)President“
und „Lieber mit Faschisten regieren als gar nicht regieren“ sind beliebte
Parolen auf den hochgehaltenen Schildern.
Irgendwann kommt Linkspartei-Mann Hoff aus der Staatskanzlei und
wiederholt, mit welchen Worten er sich bei Kemmerich verabschiedet habe,
historische Parallele inklusive: „Sie müssen damit leben, ein
Ministerpräsident von Gnaden derjenigen zu sein, die Liberale, die
Bürgerliche, die Linke und Millionen weitere in Buchenwald und anderswo
ermordet haben“, sagt Hoff. Später stellt er einen Mitschnitt unter
#Neuwahlen und #niewieder auf Twitter.
## Protest auch in der Uni-Stadt
Auch in Jena gibt es zu diesem Zeitpunkt Proteste. In der Thüringer
Universitätsstadt folgen 2.000 überwiegend junge Menschen einem Aufruf von
Linken, Grünen, Jusos und weiteren Organisationen. Über eine improvisierte
Lautsprecheranlage am Holzmarkt protestierten RednerInnen gegen das
Zusammengehen von FDP, CDU und AfD, das zu Kemmerichs Wahl führte.
Wiederholt wird dabei die AfD als faschistische Partei bezeichnet und wegen
ihrer völkischen Haltungen attackiert. Der CDU und der FDP werfen die
RednerInnen Verantwortungslosigkeit vor. VertreterInnen der Grünen fordern
wie zuvor schon ihre Landtagsfraktion Kemmerich zum sofortigen Rücktritt
auf. „Lieber mit Nazis regieren als gar nicht regieren“, heißt es auf
spöttischen Schildern auch hier.
Sowohl auf der improvisierten Rednertreppe als auch unter den
DemonstrantInnen wird immer wieder die Überzeugung geäußert, dass ein
solcher Wahlausgang absehbar gewesen sei. Ein Mitglied des
Studierendenrates der Jenaer Universität kündigt an, das Gremium wolle
seine Illoylität gegenüber dem Ministerpräsidenten erklären. Vereinzelt
sind sogar Rufe nach einem Generalstreik zu hören. Im Gespräch plädieren
DemonstrantInnen für Neuwahlen. Ansonsten, sagt einer von ihnen, „haben wir
hier die Komplettkatastrophe“.
5 Feb 2020
## LINKS
[1] /FDP-stellt-Thueringer-Ministerpraesident/!5658263
[2] https://twitter.com/kerstenau/status/1225105151440179201
[3] https://twitter.com/kerstenau/status/1225118833066881024
[4] https://twitter.com/kerstenau/status/1225109864927649792
[5] https://twitter.com/SabineamOrde/status/1225109684492931077
[6] https://twitter.com/DIEZEIT/status/1225114551399657474
## AUTOREN
Kersten Augustin
Sabine am Orde
Michael Bartsch
## TAGS
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