# taz.de -- Trump vor dem US-Kongress: Donalds große Ich-Show | |
> Über eine Stunde lang lobt der US-Präsident gut inszeniert seine Erfolge. | |
> Aber den wichtigsten TV-Moment produziert Demokratenchefin Nancy Pelosi. | |
Bild: Nancy Pelosi zerreißt das Manuskript von Trumps Rede | |
BERLIN taz | Diesen Fernsehmoment wollte Donald Trump eigentlich ganz für | |
sich haben. Aber es kam anders. Als Trump in der Nacht zum Mittwoch mit den | |
Worten „Das Beste kommt erst noch“ und der üblichen Schlussformel, Gott | |
möge Amerika segnen, seine jährliche Rede zur Lage der Nation beendete, | |
stand hinter ihm die demokratische Chefin des Repräsententanhauses, Nancy | |
Pelosi – und zerriss demonstrativ das Redemanuskript. Über die politische | |
Lage der Nation sagt das mehr aus als Trumps 78 Minuten lange Rede zuvor. | |
Trump sprach vor Senator*innen und Abgeordneten im Repräsentantenhaus. Im | |
gleichen Saal hatte vor gut sieben Wochen die demokratische Mehrheit | |
beschlossen, ihn wegen [1][Amtsmissbrauch und Behinderung des Kongresses | |
anzuklagen] und dem Senat nahezulegen, ihn aus dem Amt zu entfernen. | |
Weniger als 24 Stunden vor der Schlussabstimmung im Senat, die am Mittwoch | |
mit einem Freispruch enden wird, erwähnte Trump das Verfahren mit keinem | |
Wort. | |
Aber die Spannung und Spaltung war spürbar. Als Trump den Saal betrat, | |
verweigerte er Pelosi den Handschlag. Die verzichtete daraufhin auf die | |
übliche Begrüßungsformel, es sei ihr Privileg und Ehre, den Präsidenten der | |
Vereinigten Staaten vorzustellen, sondern sagte nur: „Mitglieder des | |
Kongresses: Der Präsident der Vereinigten Staaten.“ Frostiger geht nicht. | |
Zehn demokratische Abgeordnete, darunter die New Yorker Linke Alexandra | |
Ocasio-Cortez, boykottierten die Rede. Pelosi und viele andere | |
Parlamentarierinnen waren weiß gekleidet – zur Feier von 100 Jahren | |
Frauenwahlrecht. Mindestens einer, der Abgeordnete Tim Ryan aus Ohio, | |
verließ den Saal nach einer knappen Stunde und schrieb auf Twitter: „Ich | |
habe genug. Das ist wie Profi-Wrestling, alles Fake.“ | |
In einem Wahljahr ist diese Rede für jeden Präsidenten, der die Wiederwahl | |
anstrebt, ein wichtiger Auftakt. Anders als die vielen Reden, die er auf | |
Wahlveranstaltungen halten wird, wird die „State of the Union“ von allen | |
wichtigen Sendern live übertragen. Das Publikum ist breiter als die eigene | |
Basis, man kann sich „präsidentiell“ geben und dennoch Wahlkampf betreiben. | |
Als Trump den Saal betrat und sich zum Rednerpult bewegte, stimmten die | |
Republikaner den Sprechchor „4 more years! 4 more years!“ an – vier weite… | |
Jahre. | |
## Eisiges Schweigen der Opposition | |
Trump nutzte die Gelegenheit in Perfektion. Er zeichnete unter dem | |
Schlagwort des „great American comeback“ ein Bild seiner Errungenschaften | |
der ersten drei Amtsjahre. In Kurzfassung: Die Wirtschaft brummt, die | |
Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie nie, das Militär stärker als je, die | |
Armut ist zurückgegangen, die USA sind wieder respektiert in der Welt, die | |
Zahl der Drogentoten ist am Sinken, die illegale Einwanderung ist | |
zurückgedrängt, mit den neuen Handelsabkommen kehren die Investitionen | |
zurück. Kurz: Die USA sind unter Trump im grandiosesten Aufwärtstrend aller | |
Zeiten. Und: „Anders als so viele vor mir halte ich meine Versprechen.“ | |
Untypisch für ihn: In keinem einzigen Moment wich er vom Redemanuskript ab. | |
Meist schaute er in den Teleprompter zu seiner Linken – denn da sitzen in | |
den Reihen vor ihm die Republikaner*innen. Für sie war die Rede eine | |
Fitnessübung in Kniebeugen: Jeden zweiten Satz bejubelten sie mit Standing | |
Ovations. Die Demokrat*innen hingegen verfolgten die Rede größtenteils | |
sitzend mit eisigem Schweigen, mitunter mit Kopfschütteln, selten mit | |
Buhrufen. | |
Als Trump behauptete, er setze sich für niedrigere Medikamentenpreise ein, | |
reagierten sie mit dem Sprechchor „H.R. 3, H.R. 3!“ – das Kürzel für ein | |
vom Repräsentantenhaus im vergangenen Jahr beschlossenes Gesetz zur | |
Deckelung der Arzneimittelpreise, das seither im republikanisch geführten | |
Senat verschimmelt. | |
Zum ersten Mal zum Aufstehen und Applaus genötigt sahen sich die | |
Demokrat*innen, als Trump Juan Guaidó aus Venezuela im Saal willkommen | |
hieß, der sich vor gut einem Jahr selbst zum „Übergangspräsidenten“ erkl… | |
hatte. Trump begrüßte ihn als „Mr. President“, sagte ihm die volle | |
Unterstützung zu und unterstrich: „Sozialismus zerstört Nationen, Freiheit | |
vereint die Seele.“ | |
## Absage an Umbau des Gesundheitswesens | |
Nicht nur diese Passage war klar auf den demokratischen Vorwahlkampf | |
gemünzt, bei dem Senator Bernie Sanders als „demokratischer Sozialist“ | |
antritt. Zu den Plänen einer staatlichen Krankenversicherung, die nicht nur | |
von Sanders vorangetrieben werden, sondern unter Demokrat*innen immer mehr | |
Anhänger’innen finden, rief Trump: „Für alle, die zu Hause zusehen: Wir | |
werden den Sozialismus niemals das amerikanische Gesundheitssystem | |
zerstören lassen!“ Standing Ovations bei den Republikaner*innen. | |
Trump hat für alle etwas dabei. Für die Schwarzen die Justizreform und die | |
niedrige Arbeitslosigkeit. Für die christliche Rechte die Verteidigung | |
ungeborenen Lebens, ein paar Sätze zum Verbot von Spätabtreibungen und dem | |
zu verteidigenden Recht auf Gebete an öffentlichen Schulen. Für alle | |
Konservativen präsentierte Trump die Erfolgsmeldung, wie viele | |
Bundesrichter er schon ernannt hat, „und da sind noch viele in der | |
Pipeline“. | |
Fürs Gemüt, und weil da auch die Demokrat*innen klatschen müssen, eine | |
Militärfamilie, die ganz im TV-Show-Format – Überraschung! – vor laufender | |
Kamera wiedervereinigt wird. Und die höchste zivile Ehrenmedaille, live | |
überreicht von First Lady Melania Trump, ausgerechnet für Rush Limbaugh, | |
den Urvater des konservativen Talk Radios. Dem hat Trump tatsächlich viel | |
zu verdanken: Ohne Limbaugh und alle, die dann folgten, wäre die rechte | |
Parallelwelt, die schließlich Trump hervorbrachte, vermutlich nicht | |
entstanden. | |
Für die Waffennarren gibt Trump erneut die Versicherung, solange er | |
Präsident sei, werde er das aus dem zweiten Verfassungszusatz abgeleitete | |
Recht zum Waffentragen verteidigen. In diesem Moment wird es, im Fernsehen | |
nicht zu sehen, unruhig auf der Galerie. Fred Guttenberg, Vater der beim | |
Parkland-Massaker im Februar 2018 getöteten 14-jährigen Schülerin Jaime, | |
hält es nicht mehr auf dem Sitz, er protestiert lautstark, wird aus dem | |
Saal geworfen. Nancy Pelosi hatte ihn eingeladen. | |
Kurz nach Ende der Rede trafen [2][die ersten Zahlen des verkorksten | |
demokratischen Vorwahlprozesses in Iowa] ein – dort hat Pete Buttigieg vor | |
Bernie Sanders und Elizabeth Warren gewonnen, Ex-Vizepräsident Joe Biden | |
landet nur auf dem vierten Platz. Sicher eine Überraschung – aber Trump hat | |
eines klargemacht: Wer ihn schlagen will, muss seiner Erfolgsstory eine | |
gute Erzählung entgegensetzen. Wer auch immer auf demokratischer Seite | |
tatsächlich kandidieren wird, sollte die Aufgabe nicht zu leicht nehmen. | |
5 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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