| # taz.de -- Vorwahlen bei den US-Demokraten: Falscher Feminismus | |
| > Bernie Sanders gilt als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat der | |
| > Demokraten. Hillary Clinton wirft dem linken Politiker Sexismus vor. | |
| Bild: Bernie Sanders lässt sich von seiner parteiinternen Kritikerin Clinton n… | |
| „Niemand mag ihn, niemand will mit ihm zusammenarbeiten, er hat nichts | |
| hingekriegt“, sagt Hillary Clinton über Bernie Sanders. Der Satz stammt aus | |
| der [1][Dokumentarserie „Hillary“]. Das Magazin Hollywood Reporter | |
| veröffentlichte ihn in einem Interview mit Clinton noch vor Anlaufen der | |
| Serie, kurz vor Beginn der demokratischen Vorwahlen. | |
| Als Teil des demokratischen Establishments hält Clinton wenig von einem | |
| Kandidaten, der sich selbst als demokratischen Sozialisten bezeichnet, der | |
| für alle Amerikaner eine kostenlose Gesundheitsversorgung einführen möchte, | |
| der verspricht, Vermögende stärker zu besteuern und einen landesweiten | |
| Mindestlohn von 15 Dollar einzuführen. | |
| Nach seinem Herzinfarkt im Herbst schrieben manche Sanders schon ab. Jetzt | |
| liegt er laut Umfragen in den ersten beiden Bundesstaaten, in denen die | |
| Demokraten wählen, Iowa und New Hampshire, noch vor Ex-Vizepräsident Joe | |
| Biden. Kein anderer demokratischer Kandidat hat so viele Einzelspenden | |
| gesammelt wie Sanders. Geld von Konzernen lehnt er ab. Stattdessen sollen | |
| bereits 5 Millionen Personen für ihn gespendet haben. | |
| Als sie selbst noch Präsidentin werden wollte, führte Clinton eine | |
| Kampagne, die vor allem Minderheiten und Frauen adressierte. Kritiker | |
| warfen ihr vor, der Fokus auf Identität sei ein Ablenkungsmanöver, um nicht | |
| über Soziales zu sprechen. Jetzt wirft Clinton dem Kandidaten Sanders, der | |
| über Soziales spricht, Frauenfeindlichkeit vor. Das macht sie, indem sie | |
| von „Bernie Bros“ und den „unerbittlichen Attacken gegenüber ihren Gegne… | |
| insbesondere Frauen“, spricht. Sanders erlaube diese nicht nur, er | |
| unterstütze sie. | |
| Clinton vergleicht Sanders sogar mit Trump: „Ich denke, die Menschen | |
| sollten (…) sich nicht blind stellen oder beleidigendes, angreifendes und | |
| erniedrigendes Verhalten belohnen, das wir von der aktuellen Regierung | |
| kennen.“ | |
| ## Bei jungen Frauen und Hispanics besonders beliebt | |
| Das Phänomen ist nicht neu. Das erste Mal sei ihm „Bernie Bro“ im Oktober | |
| 2015 in einem Artikel von Robinson Meyer im Magazin The Atlantic | |
| untergekommen, schrieb der [2][Journalist Glenn Greenwald schon im Januar | |
| 2016]. In seiner Analyse „Das Bernie-Bros-Narrativ: Eine billige | |
| Kampagnentaktik, die sich als Journalismus und sozialer Aktivismus | |
| maskiert“, kritisiert Greenwald die von Medien verbreitete Annahme, | |
| frauenfeindliche Verhaltensweisen seien ein Spezifikum von | |
| Sanders-Unterstützern. | |
| Ziel sei, Clinton gegen jede Kritik zu immunisieren und von „politischen | |
| Einstellungen, der Finanzierung und Geschichte Clintons abzulenken und die | |
| Aufmerksamkeit auf anonyme und isolierte Netznutzer zu lenken, die von sich | |
| behaupten, sie seien Sanders-Unterstützer“. | |
| Vier Jahre später, im Wahlkampf 2020, erlebt das Narrativ „Bernie Bros“ | |
| eine Renaissance. [3][„Bernie Bros sind laut, stolz und toxisch für die | |
| Sanders-Kampagne“], titelt Daily Beast und NBC News überschreibt mit | |
| „[4][Trumps MAGA-Unterstützer] und die Bernie Bros auf Twitter haben diese | |
| hässliche Taktik gemeinsam“. Auch die New York Times veröffentlichte | |
| vergangene Woche einen Longread mit dem Titel [5][„Bernie Sanders und seine | |
| Internet-Armee“]. | |
| Das Narrativ der „Bernie Bros“ beruhe allein auf „anekdotischer Evidenz�… | |
| schreibt [6][Julie Hollar vom Medien-Monitoring-Verband „Fairness & | |
| Accuracy in Reporting“.] Sie kritisiert außerdem, dass Zeitungen wie die | |
| Washington Post Meinungstexte von Mitarbeitern des demokratischen | |
| Thinktanks „Third Way“ veröffentlichten – einer Organisation, die auf ih… | |
| Website vor dem „politisch toxischen Hintergrund und den Ideen“ des Bernie | |
| Sanders warnt. | |
| Das Medienphänomen „Bernie Bro“ ist gerade in der unhinterfragten Vagheit | |
| seiner Behauptungen effektiv. Es suggeriert, dass die Anhängerschaft von | |
| Sanders vor allem aus jungen, weißen Männern bestehe. [7][Aktuelle | |
| Umfragen] zeigen dagegen, dass Sanders bei weiblichen Befragten unter 30 | |
| Jahren mehr Unterstützerinnen hat als Unterstützer unter gleichaltrigen | |
| Männern und unter Hispanics mehr als unter Weißen. Das Narrativ ist aber so | |
| stark, dass sich Sanders immer wieder gezwungen sieht, zu zivilem Umgang | |
| aufzurufen. | |
| ## Welchen Schaden nehmen feministische Anliegen? | |
| Dass er dies tut, wird anschließend von Gegnern als Beweis für seinen | |
| Sexismus gelesen. Dass Sexismus ein zu bekämpfendes Übel ist, das alle | |
| politischen Lager betrifft, ist keine Frage. Vielmehr gilt es zu klären, | |
| welchen Schaden feministische Anliegen nehmen, wenn sie zum | |
| machtpolitischen Instrument werden, wie jetzt bei Sanders’ Gegnern. | |
| Clintons vermeintlich antisexistische Intervention war jedenfalls perfekt | |
| getimt. Vor der demokratischen Debatte am 14. Januar war es in den sozialen | |
| Medien zu Auseinandersetzungen zwischen Anhängern von Sanders und Elizabeth | |
| Warren gekommen. Tags zuvor veröffentlichte CNN einen Bericht darüber, dass | |
| Sanders seiner Mitbewerberin bei einem persönlichen Treffen im Jahr 2018 | |
| gesagt habe, dass eine Frau nicht Präsidentin werden könne. Sanders | |
| dementiert das. Warren beharrt auf der Richtigkeit des Berichts. Belege | |
| gibt es keine, es steht Aussage gegen Aussage. Am Ende der Debatte | |
| verweigerte Warren Sanders den Handschlag. | |
| Im Wahlkampf 2016 betonten Unterstützer immer wieder, welchen | |
| emanzipatorischen Fortschritt es bedeute, wenn mit Clinton eine Frau zur | |
| Präsidentin gewählt würde. Repräsentation ist wichtig – aber sie kann nur | |
| Schlagkraft entfalten, wenn sie mit Inhalten gefüllt wird und nicht nur | |
| Parole bleibt. | |
| Nachdem doch der Rassist, Sexist und Chauvinist Trump das Amt übernahm, | |
| erklärten manche Kommentatoren wie der Columbia-Professor Mark Lilla | |
| Clintons Identitätspolitik für schuldig. Dieser habe [8][Weiße ebenso zum | |
| Identitarismus] animiert. So einfältig diese Erklärung ist, so sicher ist | |
| es, dass es der Sache schadet, wenn Feminismus zur Wahlkampfwaffe wird. | |
| Gegen diese Instrumentalisierung sollten sich alle aufrichtigen | |
| Feministinnen und Feministen allein aus dem Grund wehren, dass Frauen | |
| besonders von Armut betroffen sind und hier ein Kandidat bekämpft wird, der | |
| sich die Bekämpfung der Armut zum Ziel setzt. | |
| 3 Feb 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.hollywoodreporter.com/features/hillary-clinton-full-a-fiery-new… | |
| [2] https://theintercept.com/2016/01/31/the-bernie-bros-narrative-a-cheap-false… | |
| [3] https://www.thedailybeast.com/bernie-bros-are-loud-proud-and-toxic-to-berni… | |
| [4] https://www.nbcnews.com/think/opinion/trump-s-maga-supporters-twitter-berni… | |
| [5] https://www.nytimes.com/2020/01/27/us/politics/bernie-sanders-internet-supp… | |
| [6] https://fair.org/home/corporate-media-are-the-real-sanders-attack-machine/ | |
| [7] https://projects.economist.com/democratic-primaries-2020/candidate/bernie-s… | |
| [8] https://www.nytimes.com/2016/11/20/opinion/sunday/the-end-of-identity-liber… | |
| ## AUTOREN | |
| Volkan Ağar | |
| ## TAGS | |
| Bernie Sanders | |
| Hillary Clinton | |
| US-Wahl 2024 | |
| USA | |
| USA | |
| Iowa | |
| USA | |
| US-Demokraten | |
| New York Times | |
| US-Wahl 2024 | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Trump vor dem US-Kongress: Donalds große Ich-Show | |
| Über eine Stunde lang lobt der US-Präsident gut inszeniert seine Erfolge. | |
| Aber den wichtigsten TV-Moment produziert Demokratenchefin Nancy Pelosi. | |
| Vorwahlen in den USA: Was war los in Iowa? | |
| Als erster Vorwahlstaat sollte Iowa für die Demokraten der Anfang sein. | |
| Nach dem Wahlchaos steht der Bundesstaat jetzt wie wie ein Trottel da. | |
| Vorwahlen in den USA: Nicht glaubwürdig | |
| Das Wahlchaos in Iowa ist eine Katastrophe für die Demokraten. StrategInnen | |
| suchen nun verzweifelt nach einem externen Verantwortlichen. | |
| Vorwahlen in den USA: Peinlicher Auftakt | |
| Bei der Abstimmung in Iowa gibt es keinen Sieger bei den Demokraten. | |
| Angeblich seien Qualitätskontrollen an der Verzögerung schuld. | |
| Präsidentschaftswahl in den USA: No, they can’t | |
| In den USA wird im November ein neuer Präsident gewählt. Und die Demokraten | |
| vergeigen es jetzt schon – wie gut für Donald Trump. | |
| „New York Times“ und die Wahl: Mut zur Ambivalenz | |
| Die „New York Times“ bricht mit ihrer Tradition. Sie unterstützt dieses | |
| Jahr gleich zwei demokratische Präsidentschaftskandidatinnen. | |
| Medien und Wahlkämpfe in den USA: Wahlen nach Zahlen | |
| Zahlen lügen nicht. Darum waren sich beinahe alle sicher, Hillary Clinton | |
| würde die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten werden. |