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# taz.de -- Medien und Wahlkämpfe in den USA: Wahlen nach Zahlen
> Zahlen lügen nicht. Darum waren sich beinahe alle sicher, Hillary Clinton
> würde die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten werden.
Bild: Noch während der Wahlkampfdebatten sah Clinton wie die sichere Gewinneri…
Die Stimmung war ausgelassen in den Kneipen in der liberalen Hauptstadt
Washington, an jenem frühen Abend des 8. November 2016. Der Vorsprung bei
den Umfragewerten war knapp, doch Clinton würde gewinnen. Die Augen der
Gäste waren auf die Fernseher gerichtet, es wurde stiller. Nach und nach
gingen die Bundesstaaten an Donald Trump: Kentucky, Georgia, West Virginia
gehen an den Republikaner, klar. Doch dann gewinnt er Florida, einen
wichtigen Swing-State. Michigan. Ohio.
Einen Tag zuvor hatte die New York Times eine Analyse veröffentlicht, die
Hillary Clinton eine 85-prozentige Chance bescheinigte, Präsidentin zu
werden. 85 Prozent. Das klingt nach annähernder Sicherheit. Aber wer
Wahrscheinlichkeiten und Umfragen besser versteht, als es offenbar die
meisten Journalisten damals taten, hätte davon nicht überzeugt sein dürfen.
Dazu gleich mehr.
Irgendwann in der Nacht des 9. November war dann klar: Donald Trump wird
Präsident der Vereinigten Staaten. Die Straßen New Yorks füllten sich mit
Protestierenden, vor dem Weißen Haus kam es zu einer Schlägerei. Und im
Nachgang stellte sich die Frage: Warum lagen die Umfragen alle falsch?
„Es gab definitiv einen Moment des Kassensturzes“, erklärt Ariel
Edwards-Levy. Sie ist Reporterin bei der US-Onlinezeitung Huffington Post
und beschäftigt sich mit Meinungsforschung. „Der befasste sich zum einen
ganz grundsätzlich damit, was in den Umfragen schiefgelaufen war, aber
auch, was das Vertrauen der Gesellschaft in die Branche betraf.“
## Falsche Sicherheit
Es sind die sogenannten „Pferderennen“-Umfragen, bei denen auf die
Nachkommastelle genau festgestellt werden soll, wer mehr Unterstützung bei
den Wählern hat. Wer die besseren Chancen auf das Amt des Präsidenten hat.
Die American Association for Public Opinion Research hat im Nachgang zur
Wahl 2016 eine Untersuchung in Auftrag gegeben – um sich auf Fehlersuche zu
machen. Andrew Mercer arbeitet für das Pew Research Center, eines der
bekanntesten Meinungsforschungsinstitute in den Vereinigten Staaten, und
kennt die Ergebnisse: „Rückblickend lässt sich sagen, dass die Zahlen
größtenteils korrekt waren. Aber eben in einer Handvoll Bundesstaaten im
Nordwesten und im Mittleren Westen danebenlagen. Und das waren natürlich
Staaten, die einen großen Einfluss auf die Verteilung der Wahlmänner
hatten.“ Eine Handvoll Bundesstaaten, die das Land in falscher Sicherheit
gewiegt haben.
Was bei der Untersuchung ebenfalls rauskam: In den Umfragen 2016 waren
Wähler ohne einen High-School-Abschluss stärker geneigt, für Trump zu
stimmen. Doch diese Wähler sind in den Umfragen häufig unterrepräsentiert,
so auch 2016. Eigentlich müssen Meinungsforscher das bei der Gewichtung der
Antworten berücksichtigen, erklärt Mercer weiter, besonders auf der Ebene
der Bundesstaaten sei das aber nicht ausreichend getan worden.
„Außerdem gab es in den letzten Wochen eine Verschiebung der Stimmung
zugunsten Trumps. Die Antworten richtig gewichten, das haben viele
Meinungsforscher jetzt angepasst. Aber wenn Menschen kurz vor der Wahl ihre
Meinung ändern oder sich überhaupt erst entscheiden, kann man das nicht
wirklich beeinflussen.“ Mercer warnt, man müsse bei Umfragen auch auf den
Erheber schauen: „Wer hat die Umfrage durchgeführt? Handelt es sich um eine
neutrale Quelle, die kein Interesse am Ergebnis hat, und gibt es
Informationen über die Methode? Auf solche Dinge muss man achten.“
Die Nachrichtenagentur Associated Press hat ihren Leitfaden für den Umgang
mit Umfragewerten überarbeitet: „In der Hitze der Kampagne sind sie häufig
berauschend für Journalisten und für Politiker. Aber die Wahl 2016 war eine
Erinnerung daran, dass Umfragen nicht perfekt sind“, erklärt David Scott,
Chef der AP-Meinungsforschung, in einer Pressemitteilung. Es wurden die
aktuellsten Erkenntnisse aus der Wissenschaft eingearbeitet und die
Methodik angepasst. Ebenso sei es wichtig, dass Journalisten kritische
Konsumenten von Umfragewerten seien.
Der Schock ging nicht spurlos an der US-Bevölkerung vorbei: Im März 2017
kam bei einer Umfrage heraus, dass ein Großteil der US-Amerikaner Umfragen
nicht trauen, lediglich 37 Prozent der registrierten Wähler hatten „sehr
viel“ oder „solides“ Vertrauen in Meinungsumfragen. Trotzdem ist das
Vertrauen unter Demokraten in die Befragungen größer als das der
Republikaner.
Bei allen Problemen mit Umfragen gäbe jedoch keine gute Alternative, sagt
Meinungsexpertin Edwards-Levy: „Es ist ein fundamentales Prinzip in einer
Demokratie, dass es wichtig ist, was die Bürger denken. Und um das
herauszufinden, sind Meinungsumfragen bisher die beste Methode.“ So könne
man Politiker zur Verantwortung ziehen und den Puls des Landes erfühlen.
Genau das ist Edwards-Levys Spezialgebiet: Sie berichtet über die
öffentliche Meinung zu einzelnen Themen, wie dem Abtreibungsgesetz in
Alabama oder dem Bericht des Sonderermittlers Mueller. Ein Problem, das sie
sieht: „Befragungen werden eben unter anderem für Themen genutzt, für die
sie nicht wirklich geeignet sind. Man darf nicht vergessen: Sie sind immer
nur eine Momentaufnahme, mit einem gewissen Fehlerquotienten.“
## Verzerrte Wahrnehmung
Was ist also mit den 85 Prozent der New York Times? Nun, die
Wahrscheinlichkeit, beim russischen Roulette zu gewinnen, liegt etwa
genauso hoch, wenn im Revolver eine von sechs Kammern mit einer Kugel
bestückt ist. Das klingt recht sicher, doch es bleibt eine
Restwahrscheinlichkeit von 15 Prozent, dass man verliert. Die Analyse der
New York Times war nicht falsch. Aber eine 85-prozentige Wahrscheinlichkeit
zu gewinnen, heißt auch immer: Es gibt eine 15-prozentige
Wahrscheinlichkeit, dass die anderen gewinnen. Und so wurde die Darstellung
der Zeitung verzerrt wahrgenommen.
„Wenn man also Umfragen benutzt, um vorherzusagen, wer die Wahl nächstes
Jahr gewinnt, und nicht die nötigen Warnungen mitgibt, kann das sehr
schnell irreführend sein“, sagt Edwards-Levy. Schon jetzt sieht man auf CNN
und in anderen US-Medien erste Umfragen, welche Kandidaten der Demokraten
eine Chance gegen Trump haben – wie sie abschneiden gegen den Amtsinhaber,
dabei ist es noch weit mehr als ein Jahr, ehe tatsächlich gewählt wird.
13 Aug 2019
## AUTOREN
Lara Wiedeking
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