# taz.de -- Kosten des Klimawandels: Schulden durch Klimakrise | |
> Ein neuer Report warnt: Praktisch unbemerkt rutschen Entwicklungsländer | |
> in die Schuldenfalle. Auch weil Klimaschäden die Budgets sprengen. | |
Bild: Nicht nur eine humanitäre, sondern auch eine finanzielle Katastrophe: Hu… | |
Am 7. September 2004 verwüstete der Hurrikan „Ivan“ die Karibikinsel | |
Grenada. Der Sturm tötete 39 Menschen, zerstörte 90 Prozent der Häuser und | |
der Wälder, er beschädigte Straßen und Schulen – und raubte dem ohnehin | |
armen Land für ein Jahrzehnt die wirtschaftliche Grundlage aus Tourismus | |
und Muskatnuss-Anbau. Der Schaden war doppelt so groß wie die gesamte | |
Wirtschaftsleistung. Für die nächsten Jahre bewegte sich Grenada immer | |
knapp am Staatsbankrott vorbei. | |
„Ivan“ war eine der stärksten und teuersten Wirbelstürme seiner Zeit im | |
Atlantik. Aber sein Schaden beruhte nicht nur auf hohen | |
Windgeschwindigkeiten, die mit einiger Wahrscheinlichkeit auf den | |
Klimawandel zurückgingen. Sie resultierte auch aus der Armut von Grenada | |
und den Wirkungen, die der Sturm auf die Wirtschaft und das Finanzsystem | |
des Landes hatte. Grenada war ein Vorzeichen für eine Entwicklung, die 15 | |
Jahre später zu einem realistischen Szenario geworden ist: dass der | |
Klimawandel besonders verwundbare Länder so schwer treffen kann, dass sich | |
daraus eine neue Schuldenkrise entwickelt. Und dass sich verarmte Länder | |
gegen die Auswirkungen der Klimakrise kaum noch zur Wehr setzen können. | |
Diese Befürchtung wird bei Staaten, Entwicklungsorganisationen, | |
Versicherungen und internationalen Geldgebern wie Weltbank und dem | |
Internationalen Währungsfonds (IWF) immer stärker. Der „Schuldenreport | |
2020“, den die Hilfsorganisationen Misereor und „Erlassjahr“ am kommenden | |
Montag präsentieren, widmet dem Thema ein eigenes Kapitel: „Der Klimawandel | |
und die dadurch immer häufiger auftretenden Katastrophen stellen eine | |
besondere Bedrohung für hoch verschuldete Länder dar“, heißt es in dem | |
Bericht, der der taz vorab vorliegt. „Insbesondere kleine Inselstaaten im | |
Pazifik und in der Karibik sowie die Staaten der Sahelzone sind besonders | |
betroffen.“ | |
Alarmsignale dafür gibt es genug – auch wenn noch viele andere Faktoren | |
eine Rolle spielen können, wenn klimabedingte Desaster dazu beitragen, dass | |
Länder in die Schuldenfalle geraten oder ihr nicht entkommen: Als Mosambik | |
im Frühjahr 2019 durch die [1][Wirbelstürme „Idai“ und „Kenneth“] ver… | |
wurde, sackte das Wachstum von geplanten 3,3 auf 2,7 Prozent ab. Mosambik | |
kam aus seinem Status „praktisch bankrott“ nicht heraus, meldete die | |
Ratingagentur Fitch. | |
Die Weltbank zeigt sich alarmiert. In einem umfangreichen Bericht | |
[2][„Global Waves of Debt“] vom Dezember 2019 warnt sie, in den Schwellen- | |
und Entwicklungsländern türme sich der „größte, schnellste und umfassends… | |
Anstieg der Verschuldung“ auf, der einen historischen Höchststand von 170 | |
Prozent der Wirtschaftsleistung dieser Länder ausmache. | |
Schon 2017 hatte die Weltbank geschrieben, Extremwetter und die | |
Verschiebung der Jahreszeiten durch den Klimawandel könnten Schäden von | |
weltweit bis zu 500 Milliarden US-Dollar verursachen. Besonders bedroht: | |
Schwellen- und Entwicklungsländer, weil sie verwundbarer sind, weniger | |
Zugang zu Hilfen, Investitionen und Kapital haben. Im Szenario einer | |
Erderwärmung um 3 Grad – worauf die derzeitigen Trends hinauslaufen – | |
rechnen Experten mit einem Verlust von 10 Prozent der globalen | |
Wirtschaftskraft schon bis 2030. | |
## Doppelschlag gegen arme Länder | |
Die Vorzeichen einer neuen Schuldenkrise mehren sich: Weil die Zinsen in | |
den Industriestaaten niedrig sind, sucht das Kapital dringend | |
Anlagemöglichkeiten. Der Bedarf an Infrastruktur in den Schwellen- und | |
Entwicklungsländern ist riesig, die Märkte sind offen, und mit China ist | |
ein ganz neuer Kreditgeber auf dem Markt. Kommen plötzlich „externe | |
Schocks“ wie etwa klimabedingte Stürme, Dürren oder Überschwemmungen hinzu, | |
kann die Falle zuschnappen. Davor zumindest warnt der „Schuldenreport“: | |
Länder wie Pakistan oder Kenia investierten ihre knappen Staatsmittel zu | |
wenig in angepassten lokalen Klimaschutz und zu sehr in technische | |
Großprojekte wie neue Kraftwerke. Die Kredite dafür könnten schnell in eine | |
„Verschuldungsspirale“ eskalieren. | |
Der Klimawandel werde dadurch zu einem „Doppelschlag“ gegen die armen | |
Länder, schreibt Benedict Libanda, Vorsitzender des Umweltinvestmentfonds | |
Namibia. Wenn Klimaschäden entstehen, müssten Regierungen mehr Geld | |
ausgeben, das anderswo fehlt. Gleichzeitig sinken Wachstum und | |
Staatseinnahmen. Die Bewertungen der Ratingagenturen würden wieder einmal | |
die Industriestaaten bevorteilen, kritisiert Libanda: „Sie bekommen bessere | |
Ratings, weil sie weniger verwundbar sind und mehr Technik und Geld haben, | |
Schocks abzufedern.“ | |
Misereor-Geschäftsführer Pirmin Spiegel warnt vor den Folgen: „Die Staaten | |
verschulden sich weiter und/oder sparen bei den Ärmsten. Damit werden diese | |
immer anfälliger für die Auswirkungen des Klimawandels. Die Gläubiger sind | |
oft Länder im globalen Norden, die maßgeblich zum Klimawandel beitragen, | |
während Arme, die unter den Folgen leiden, am wenigsten dazu beitragen.“ | |
Die Kreditwürdigkeit eines Landes berechnen die Ratingagenturen auch | |
danach, wie groß die Sparguthaben und Vermögen sind, wie häufig | |
Naturkatastrophen passieren, wie viel Häuser in Überschwemmungsgebieten | |
stehen. Für den Südseestaat Fidschi etwa schreibt die Agentur Moody’s: | |
„Wirtschaft und öffentliche Finanzen bleiben hochgradig anfällig gegenüber | |
plötzlichen Klimaereignissen und langfristigen Klimatrends, was | |
Zurückhaltung für die Einstufung bedeutet.“ | |
## Problem erkannt – aber nicht angepackt | |
Das Problem ist auf der UN-Ebene erkannt. Wirklich angepackt wird es nicht. | |
Auf der [3][Klimakonferenz COP25 in Madrid] sorgten die Forderungen der | |
armen Länder nach Kompensation für „Verlust und Schäden“ wieder einmal f… | |
Unruhe und Blockade. Seit fünf Jahren reden die Staaten in einem wolkigen | |
„Warschau-Mechanismus“ darüber, ob und wie neben CO2-Vermeidung und | |
Anpassung an den Klimawandel auch Schäden etwa durch Dürren und | |
Meeresspiegelanstieg ausgeglichen werden sollen. | |
Doch die Industriestaaten blockieren jede grundsätzliche Regelung. Als | |
Hauptverursacher des Klimawandels fürchten sie, von den Verlierern | |
irgendwann auf Schadensersatz verklagt zu werden, wenn sie diese Tür | |
öffnen. | |
Die Sorge ist durchaus berechtigt. Auf 50 Milliarden US-Dollar taxiert eine | |
Allianz aus Klimaschützern und Entwicklungshilfeorganisationen bereits | |
jetzt den jährlichen Bedarf der armen Länder für Klimaschäden. Ab 2030 | |
könne der sogar auf 300 Milliarden Dollar steigen, sagt Sabine Minninger, | |
die die Klimaverhandlungen für die Entwicklungsorganisation „Brot für die | |
Welt“ begleitet. „Schon ab 2020 müssen die verwundbaren Länder wegen der | |
Klimarisiken weltweit etwa 150 Milliarden Dollar zusätzlich an | |
Kapitalkosten für ihre Finanzierung aufbringen“, sagt Minninger. Dagegen | |
stehen bisher 100 Milliarden US-Dollar, die die reichen den armen Ländern | |
ab 2020 jährlich als Klimahilfen allein für Klimaschutz und Anpassung | |
zugesagt haben. | |
## Forderung nach Schuldenmoratorium | |
Einen Ausweg aus der klimabefeuerten Schuldenkrise sehen die | |
Industrieländer am liebsten in der Marktwirtschaft: Mit neuen | |
Versicherungsmodellen wie der „Insuresilience“ wollen sie den Armen in | |
öffentlich-privaten Partnerschaften helfen, sich gegen die Zerstörungen im | |
Klimawandel abzusichern – und der Versicherungswirtschaft zugleich ein | |
neues schwieriges Geschäftsfeld eröffnen. Dafür aber brauchen die Armen | |
zumindest Grundkapital – und die Risiken müssen trotz staatlicher Hilfen | |
beherrschbar sein. Beides trifft im Klimawandel nicht immer zu. | |
Einen grundsätzlich anderen Vorschlag hat Jürgen Kaiser von der Kampagne | |
„Erlassjahr“ in der Karibik entdeckt: Mit einer „Entschuldungsinitiative�… | |
würden Länder ihren Schuldendienst aussetzen, wenn Katastrophen passieren. | |
Das dafür vorgesehene Geld könnte dann für schnelle Notfallhilfe und | |
Wiederaufbau im Land verwendet werden, „es bräuchte allerdings ein | |
zinsfreies Schuldenmoratorium und eine Umschuldung auf ein tragfähiges | |
Maß“, so Kaiser. | |
Bei der Dachorganisation der internationalen Klimainitiativen CAN komme | |
die Idee gut an, sagt Kaiser. Aber entscheiden und bezahlen müssen es die | |
Staaten. | |
24 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Freital-vor-der-Landtagswahl-in-Sachsen/!5614326 | |
[2] https://www.worldbank.org/en/research/publication/waves-of-debt | |
[3] /UN-Klimakonferenz-in-Madrid/!5642986 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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