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# taz.de -- Folgen des Brexits: Straffer Verhandlungsplan
> Was ändert sich, nachdem am Freitag um Mitternacht Großbritannien aus der
> EU ausscheidet? Ein Überblick.
Bild: Fischerei ist ein strittiges Thema – da helfen auch die vielen Fähnche…
Brüssel, London, Dublin taz | Zunächst herrscht „Business aus usual“.
Möglich macht dies die im Austrittsvertrag vereinbarte Übergangsphase, in
der alle bestehenden Regeln einfach weitergelten. Sie läuft bis zum Ende
des Jahres 2020 und sorgt dafür, dass Bürger und Unternehmen den Brexit
kaum spüren werden. Für Touristen ändert sich zunächst ebenso wenig wie für
Geschäftsleute oder [1][Studenten].
[2][Für die Öffentlichkeit ist der Brexit] damit erledigt, zumindest bis
Jahresende. Lediglich die 73 britischen Europaabgeordneten und ihre
Mitarbeiter*Innen dürfen jetzt ihre Koffer packen, ebenso die britischen
Richter*Innen im Europäischen Gerichtshof. Die britische Fahne am
EU-Parlament darf im Museum verstauben.
Rechtsprofessorin Catherine Barnard von der Denkfabrik „UK in a Changing
Europe“ bezeichnet den 31. Januar als „Antiklimax“, entgegen der
psychologischen und politischen Bedeutung des Termins. „Meiner Meinung nach
werden die Brexiteers fragen, warum die Remainer so große Krokodilstränen
über den Brexit vergossen haben. Doch wir befinden uns in einer Situation,
wo vieles, wie es nach dem 1. Januar 2021 weitergehen wird, überhaupt erst
verhandelt werden muss.“
Für die EU-Kommission geht die Arbeit jetzt erst richtig los. Sie wurde von
den 27 verbleibenden EU-Staaten beauftragt, mit London bis zum 31. Dezember
2020 ein Abkommen abzuschließen, das Großbritannien so nah wie möglich bei
der EU hält. Bereits am Montag will die EU-Kommission einen Plan für die
Verhandlungen mit London vorlegen. Danach müssen die 27 EU-Staaten
zustimmen und der Kommission ein formelles Mandat erteilen.
Verhandlungsführer Michel Barnier sagte, er wolle im Dreiwochenrhythmus
vorgehen.
## Barnier will Einigung bis Oktober
Eine Woche Vorbereitung, eine Woche intensive Gespräche mit den Briten,
eine Woche Nachbereitung – bis Oktober soll das so gehen. Für Barnier
stehen die Themen Fischerei, Handel, innere und äußere Sicherheit ganz oben
auf der Liste. Aber auch Dienstleistungen, Reisen und Verkehr werden
wichtig. Die EU wolle „eine enge Partnerschaft schmieden“, sagt
Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Doch dies gelte nur, wenn sich
London an gemeinsame Standards halte. Die britische Regierung von Boris
Johnson hingegen besteht auf dem Recht, sich von EU-Regeln zu entfernen.
„Es wird keine Angleichung geben“, sagte Finanzminister Sajid Javid.
Barniers Ziel ist es, bis zum EU-Gipfel im Oktober eine Einigung mit London
zu erzielen. Das wäre gerade noch rechtzeitig, um den Deal bis Jahresende
zu ratifizieren. Allerdings ist die Zeit zu kurz, um ein umfassendes
Partnerschaftsabkommen auszuarbeiten. In Brüssel hofft man daher, dass die
Übergangsphase doch noch verlängert werden könnte. Bisher hat Johnson das
kategorisch ausgeschlossen. Eine Verlängerung müsste bis Ende Juni auf den
Weg gebracht werden. An einer Verlängerung der Übergangsfrist hat
Großbritannien kein Interesse, weil das Land dann auch 2021 weiter in den
EU-Haushalt einzahlen müsste wie bisher und keine eigenen Handelsverträge
mit Drittländern in Kraft setzen dürfte, obwohl es schon kein EU-Mitglied
mehr ist.
Die britische Regierung hat eigentlich schon mit zahlreichen Ländern
sogenannte „Trade Agreement Continuity“-Vereinbarungen getroffen, die
bestehende EU-Handelsabkommen auf Großbritannien außerhalb der EU
übertragen, etwa mit der Schweiz, Norwegen, Südafrika, Südkorea, Israel,
Marokko oder Kolumbien. Mit Australien, Neuseeland und den USA wurden
Anerkennungsverträge für Berufsabschlüsse unterschrieben.
Das Austrittsabkommen sichert die bestehenden Rechte der 3,2 bis 3,6
Millionen EU-Bürger in Großbritannien und der 1,2 Millionen Briten in der
EU. Sie sollen weiter leben und arbeiten dürfen wie bisher. In
Großbritannien gilt, dass EU-Bürger sich bis zum 31. Dezember 2020 beim
Innenministerium offiziell melden müssen und einen sogenannten „Settled
Status“ beantragen, den jeder nach fünf Jahren Anwesenheit bekommt.
2.756.100 haben dies bis Ende 2019 getan. Diese Regelung gilt auch für
EU-Bürger, die erst nach dem formellen EU-Austritt nach Großbritannien
ziehen.
Erst nach Ende der Übergangszeit kann die britische Regierung ihre
versprochene neue Einwanderungspolitik mit einem für EU- und
Nicht-EU-Bürger gleichermaßen geltenden Punktesystem und einem
Mindesteinkommen einführen; Details dazu sind noch in der Diskussion. Für
Kurzaufenthalte wird wie bisher kein Visum notwendig sein. Ab 2021 sollen
jedoch Personalausweise nicht mehr zur Einreise berechtigen, ein Reisepass
wird erforderlich sein.
## Finanzen aushandeln
Ein wesentlicher Teil des Brexit beinhaltet die zukünftigen finanziellen
Beiträge Großbritanniens – bislang der zweitgrößte Nettozahler der EU nach
Deutschland. Die sogenannte Austrittsrechnung in Höhe von etwa 40
Milliarden Euro (33 Mrd. Pfund) wird ab jetzt fällig und zieht sich über
viele Jahre hin. Im Agrarbereich, dem größten Ausgabenposten der EU, werden
die Auszahlungen der gemeinsamen Agrarpolitik ab Februar aber aus der
britischen Staatskasse fließen, nicht aus der EU.
Zunächst ändert sich an der Zahlungsstruktur in den nächsten Jahren der
laufenden Legislaturperiode im Interesse der Stabilität zwar nichts,
derweilen laufen jedoch Anstrengungen zu einer grundsätzlichen Reform der
Agrarpolitik.
Großbritannien will in Zukunft Landbetriebe eher für das bezahlen, was sie
für die Umwelt tun, statt für ihre reine Größe, wie es bei der EU das
Hauptkriterium ist. Viele Naturschutzgruppen sowie die Bauerngewerkschaft
NFU fordern, dass in der künftigen britischen Agrarpolitik höhere Standards
verankert werden als in der EU. Laut Landwirtschaftsministerium soll das
gesamte System auch weniger bürokratisch werden.
Ein weiterer wichtiger Bereich für die Handelsgespräche wird die Fischerei
sein – ein wichtiges Kampagnenthema der Brexiteers: Bisher sind die
britischen Gewässer, die größten der EU, für alle EU-Fangflotten offen,
aber mit dem Ende der Brexit-Übergangsphase ist damit Schluss und mögliche
Zugänge und Quoten werden eigens ausgehandelt werden müssen, so die
Position der britischen Regierung.
## Streitthema Nordirland
Ein möglicher Stolperstein könnte das [3][größte Streitthema der bisherigen
Brexit-Gespräche sein: Nordirland]. Hier wurde erst im vergangenen Oktober
ein Kompromiss gefunden, mit dem Brüssel und London leben konnten – nicht
aber Nordirlands größte Partei, die protestantische Democratic Unionist
Party (DUP). Sie stimmte deswegen bei der finalen Abstimmung im britischen
Parlament letzte Woche gegen den Deal, was aber aufgrund der großen
konservativen Mehrheit folgenlos blieb.
Premierminister Boris Johnson hat mehrfach versichert, die neue Einigung
bedeute keine zusätzlichen Kontrollen in Nordirlands Häfen und Flughäfen
für Waren aus Großbritannien, wie es die DUP fürchtet. Diese Kontrollen
seien unabdingbar, widersprach Michel Barnier Anfang der Woche in Belfast.
Stephen Kelly, der Geschäftsführer des nordirischen Industrieverbands,
sagte, die Unternehmen seien verwirrt: „Irgendwann in diesem Jahr werden
die beiden Positionen kollidieren, und man wird sich entscheiden müssen.“
Falls alles schiefgeht, bereitet man sich in der Republik Irland auf
erhebliche Störungen des Handels mit Großbritannien vor. In einem
vertraulichen Memorandum, das dem Kabinett am Mittwoch vorgelegt wurde,
heißt es, man müsse sich im besten Fall auf eine Schrumpfung der
Wirtschaftsleistung um 3 bis 4 Prozent bis 2030 gefasst machen. Sollte es
aber bis Jahresende nicht zu einem umfassenden Freihandelsabkommen zwischen
dem Vereinigten Königreich und der EU kommen, werde der Rückgang auf 7
Prozent steigen. Unabhängig vom Ergebnis der Verhandlungen müsse die
Regierung Maßnahmen für Kontrollen in den irischen Häfen und Flughäfen
vorbereiten.
31 Jan 2020
## LINKS
[1] /Brexit-Sorgen-an-britischen-Unis/!5657133
[2] /Pro-und-Contra-zum-EU-Austritt/!5660950
[3] /Brexit-Streit-um-Nordirland/!5629210
## AUTOREN
Eric Bonse
Daniel Zylbersztajn
Ralf Sotscheck
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