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# taz.de -- Regierungsbildung in Kosovo: Ein Mann der Widerworte
> In den 90er Jahren kämpfte Albin Kurti für Kosovos Unabhängigkeit. Bald
> könnte er als neuer Regierungschef einen radikalen Wandel anstoßen.
Bild: Nach dem fulminanten Wahlsieg: Albin Kurti bei einer Kundgebung in Prisht…
SARAJEVO taz | Drei Monate [1][nach der Parlamentswahl in Kosovo] und dem
fulminanten Sieg der linken, sozialdemokratischen Partei Vetëvendosje,
verhandelt der Vorsitzende Albin Kurti noch immer mit der konservativen
Demokratische Liga Kosovos (LDK) über eine künftige Regierung.
Zum Ministerpräsidenten wurde Kurti schon benannt – jetzt hat er nur noch
wenig Zeit, [2][die Koalitionsverhandlungen zu einem Ende zu führen]. Am
Montag will er sich und seine Regierungspläne einer Abstimmung im Parlament
stellen, wenn nötig auch ohne Einigung mit der LDK.
Die Zeit drängt also, denn eigentlich gibt es für beide Parteien kein
Zurück mehr. Zu viele Hoffnungen sind mit der Konstitution dieser Koalition
verbunden. Mit ihr würde die Herrschaft jener Parteien beendet werden, die
aus der Kosovo-Befreiungsorganisation UÇK hervorgegangen sind, die in den
1990er-Jahren mit paramilitärischen Mitteln für eine Unabhängigkeit Kosovos
von Serbien kämpfte. Nur deren Ex-Anführer Hashim Thaçi würde dann als
Präsident des Kosovo im Amt bleiben.
Der in Prishtina aufgewachsene Albin Kurti ist schon in den 1990ern als
Studentenführer und linker Menschenrechtsaktivist mit einer klaren
politischen Vision angetreten: Er wollte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit
im Kosovo durchzusetzen, als es noch unter serbischer Herrschaft stand.
## Kurti bleibt für viele radikal
Kurti engagierte sich gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung, gegen den
Ethno-Nationalismus und Totalitarismus aller Seiten. Bis heute hat er seine
Position nicht geändert. Er spricht sich vehement gegen Korruption und
Vetternwirtschaft aus, die in der Gesellschaft Kosovos seit der osmanischen
Zeit verankert sind.
Dabei finden ihn manche Kosovaren sogar ein bisschen unheimlich. Dass er
als Vorsitzender der stärksten Partei und Mitglied des Parlaments ganz
bescheiden weiterhin in seiner kleinen Studentenwohnung lebt, ist für
manche unbegreiflich. Er sei ein Robespierre und kein Danton, witzelten vor
ein paar Jahren kosovarische Intellektuelle mit einer Mischung aus
Bewunderung und Verwunderung. Für viele Kosovaren ist Kurti bis heute zu
radikal.
Kurti organisierte seit 1996 friedliche Demonstrationen gegen die serbische
Unterdrückung im Land mit Tausenden von Studenten – und das vor den
Gewehrläufen der damaligen serbischen Polizei und Armee.
Während die paramilitärische UÇK ab 1998 die Waffen erhoben hatte und mit
einem Befreiungskrieg Kosovo in die Unabhängigkeit von Serbien führen
wollte, hielt Kurti an seiner friedlichen Protestkultur fest. Das änderte
sich auch nicht, als er 1998 im Büro des legendären kosovo-albanischen
Widerstandskämpfers Adem Demaçi zu arbeiten begann. Demaçi hatte fast 30
Jahre in serbischen Gefängnissen zugebracht und wurde als Symbol des
Widerstands der mehrheitlichen albanischen Bevölkerung Kosovos politischer
Sprecher der UÇK.
Kurz nachdem die Nato mit Luftangriffen auf Serbien in den Kosovokrieg im
März 1999 eingriff, wurde Kurti verhaftet und in einem Schauprozess zu 15
Jahren Gefängnis verurteilt. „Dieses Gericht hat nichts mit Wahrheit und
Recht zu tun“, erklärte er damals. Nach dem Sturz des serbischen
Ministerpräsidenten Slobodan Milošević wurde er von der neuen Regierung
Serbiens unter Zoran Đinđić freigelassen und kehrte nach Prishtina zurück.
## Gegen den Nationalismus
Das Land wurde damals von der UN-Mission in Kosovo Unmik verwaltet, die
zwar Wahlen zuließ, aber der damaligen Regierung unter Hashim Thaçi die
politischen Entscheidungen diktierte. Kurti stellte sich wieder radikal
dagegen. Er gründete die Bewegung Vetëvendosje – „Selbstbestimmung“ –…
prangerte die Unfähigkeit und Korruption der UN-Mission an.
Als 2004 allerdings orthodoxe Kirchen brannten, distanzierte sich Kurti: Er
wollte keine Konfrontation auf nationalistischer Grundlage. Schon damals
sah er die Serben und andere Minderheiten im Kosovo als gleichberechtigte
Staatsbürger.
Nach seinem Universitätsabschluss im Bereich Computertechnologie führte er
2006 eine Demonstration in die Konfrontation mit der Unmik, weil der Status
des Kosovo sieben Jahre nach dem Krieg weiterhin unklar blieb. Kurti trat
für die Unabhängigkeit des Landes von Serbien ein.
„Keine Verhandlungen, Selbstbestimmung“ sprühten die Demonstranten auf eine
Wand des UN-Gebäudes in Prishtina. Sie forderten ein Referendum über den
Status des Landes. UN-Mitarbeiter wurden mit Farbbeuteln beworfen, die
UN-Polizei verhaftete Hunderte Demonstranten.
## Ein Nationalist und Kommunist?
Die Konfrontation spitzte sich weiter zu, als die rumänische UN-Polizei im
Februar 2007 mit metallummantelten Gummigeschossen in die Menge schoss,
zwei Demonstranten tötete und 80 weitere verletzte. Kurti wurde abermals
verhaftet und zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. „Wer die Demokratie
hier implementieren will, muss sich erst einmal selbst an rechtsstaatliche
Prinzipien halten“, erklärte er damals gegenüber der taz.
Zu dieser Zeit konnte der Weg in die Unabhängigkeit nicht mehr gestoppt
werden. Am 17. Februar 2008 erklärte sich Kosovo zu einem unabhängigen
Staat, der bisher von 110 Staaten anerkannt wird – jedoch nicht von
Serbien, das Kosovo nach wie vor als Teil des eigenen Staatsgebietes
betrachtet.
Nach der Unabhängigkeit wandelte Kurti seine Bewegung Vetëvendosje in eine
Partei um und nahm an den ersten Wahlen teil. Er prangerte nicht nur die
Korruption der herrschenden UÇK-Parteien an. Angesichts ihrer Kenntnisse
über die Korruption der regierenden UÇK-Elite, versuchten die
internationalen Mächte diese zu erpressen, um Zugeständnisse Kosovos
gegenüber Serbien zu erreichen, erklärte Kurti.
So wurde er von Hashim Thaçi und den ausländischen Mächten zum Hauptfeind
erklärt und diffamiert, einmal als albanischer Nationalist, der die
Vereinigung mit Albanien wolle, dann wieder als Kommunist.
## Kampf gegen Korruption
Trotzdem gewann Kurtis Partei nach und nach an Stimmen und Einfluss, etwa
den Bürgermeisterposten in der Hauptstadt Prishtina. Bei den Wahlen am 6.
Oktober 2019 wurde Vetëvendosje mit 29 von 120 errungenen Sitzen im
Parlament stärkste Partei. Derzeit laufen Koalitionsgespräche mit der LDK,
die 28 Sitze erhielt.
Der 45-Jährige erteilte währenddessen allen Plänen, [3][Kosovo entlang
ethnischer Linien zu teilen] – wie von ausländischen Diplomaten der USA und
Russlands vorgeschlagen – gemeinsam mit der Mehrheit der
Parlamentsabgeordneten bereits eine klare Absage. Er kündigte außerdem
weitreichende Reformen für Kosovo an. Der Kampf gegen die Korruption stehe
an erster Stelle. Das Budget solle überprüft werden, die Schulen und
Universitäten reformiert und die Wirtschaft angekurbelt werden, erstmals
auch mit grüner Technologie.
Der serbischen Minderheit in Kosovo versprach Kurti in seinen letzten
Ansprachen weitgehende Kooperation und Integration. Er forderte von
Serbien, geraubte Kulturgüter zurückzugeben und den Verbleib nach wie vor
vermisster Albaner aufzuklären, die während des Krieges nach Serbien
verschleppt worden sind.
2 Feb 2020
## LINKS
[1] /Parlament-im-Kosovo-aufgeloest/!5620334
[2] /Publizist-ueber-Zukunft-des-Kosovo/!5654578
[3] /Grenzaenderungen-auf-dem-West-Balkan/!5532869
## AUTOREN
Erich Rathfelder
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