# taz.de -- Experte über Lärm: „Das nervt Sie, das nervt mich“ | |
> Lautstärke ist gar nicht das Entscheidende, sagt der Hamburger | |
> Lärmforscher Christian Popp. Ein Gespräch über Dauerstress und Dezibel. | |
Bild: Höllernlärm: Biker bei der Rückfahrt vom Hamburger Motorradgottesdienst | |
taz: Herr Popp, was ist Lärm? | |
Christian Popp: Kurz gesagt: [1][unerwünschter Schall]. Jedes Geräusch, das | |
ich nicht mag, durch das ich gestört bin, das der Gesundheit schadet. | |
Lärm hat gar nichts mit Lautstärke zu tun? | |
Doch. Aber schon, wenn am Nebentisch zufällig Ihr Name fällt, müssen Sie | |
unwillkürlich zuhören. Ihre Kommunikation ist unterbrochen, Sie sind | |
gestört. Der [2][Schallpegel] selbst macht nur etwa 20 Prozent der | |
Lärmbelästigung aus. | |
Was bedingt den Rest? | |
Zum Beispiel Ihre persönliche Befindlichkeit, Ihr Gesundheitszustand, Ihr | |
Verhältnis zum Verursacher. Die Einschätzung, ob das Geräusch vermeidbar | |
ist. Die Geräuschqualität. | |
Wenn Kreide über eine Tafel quietscht, ist das unangenehmer als ein | |
rauschender Bach. | |
Besonders lästig finde ich eine schnelle Bandsäge, die einen hohen Pfeifton | |
erzeugt. Wir sagen, das Geräusch ist „tonhaltig“. Hochfrequente Geräusche | |
gehen gut ins Hirn. Das nervt Sie, das nervt mich. Deshalb wird Geräuschen | |
mit einer solchen Tonhaltigkeit in Lärmgutachten ein Malus zugeschlagen. | |
Wofür sonst gibt es so einen Zuschlag? | |
Für „Impulshaltigkeit“. Wenn ein Geräusch ganz schnell ansteigt und wieder | |
abschwillt, zum Beispiel beim Knall einer Pistole. So was kostet uns | |
Aufmerksamkeit. Und Aufmerksamkeit an der falschen Stelle ist das Problem. | |
Wenn sich Menschen im Büro über ein Thema unterhalten, das mich | |
interessiert, kann ich mich schlechter auf meine Arbeit konzentrieren. | |
Genau. Deshalb gibt es bei Geräuschen auch für „Informationshaltigkeit“ | |
einen Zuschlag. Wenn ihr Name am Nebentisch fällt, oder wenn sich die | |
Kollegen unterhalten, registriert Ihr Hirn Informationen, die es für | |
wichtig hält. Das muss nicht nur Sprache sein. Stellen Sie sich vor, Sie | |
arbeiten in einer Autowerkstatt und haben gelernt, Fahrzeugtypen am | |
Geräusch zu unterscheiden. Jedes Auto das vorbeikommt, wird sie ablenken. | |
Wie berechnen Sie die Zuschläge? | |
Natürlich ist das subjektiv. Das machen Gutachter aus Erfahrung. Aber es | |
sind ja nur Zuschläge. Wenn wir Lärm quantifizieren wollen, ist der | |
[3][objektive Schalldruckpegel] schon das Erste, auf das wir schauen. | |
Da fällt dann immer ganz selbstverständlich der Begriff „Dezibel“. Was sa… | |
der uns eigentlich? | |
Das ist die Einheit für den Schalldruck. Schalldruck ist das, was | |
physikalisch auf unser Trommelfell wirkt. | |
Erklären Sie! | |
Den Bereich, in dem wir Geräusche wahrnehmen, begrenzen wir von oben und | |
unten. Unten ist die Hörschwelle. Dort, wo Sie mit gesunden, jungen Ohren | |
gerade so ein Geräusch wahrnehmen können. Oben ist die Schmerzschwelle, da | |
ist der Schalldruck zehn Billionen mal größer als an der Hörschwelle, da | |
tut es physisch weh. | |
Und wo kommen die Dezibel ins Spiel? | |
Wir können uns die zehn Billionen Schritte zwischen Hörschwelle und | |
Schmerzschwelle ja gar nicht vorstellen. Deshalb hat man gesagt, wir | |
schreiben die zehn Billionen als Zehnerpotenz: 10 hoch 13. Wir nehmen nur | |
die Hochzahlen und nennen diese Einheit dann Bel. Die Skala die sich | |
ergibt, ist natürlich logarithmisch. | |
Oje, Mathematik. | |
Einfacher gesagt: Wir zählen Nullen. Zehn Billionen – das ist eine Eins mit | |
13 Nullen. Fertig ist die Lärmskala: 0 Bel an der Hörschwelle, 13 Bel an | |
der Schmerzgrenze. Der Lärmwirkungsforschung war das aber ein bisschen zu | |
grob. Die hat dann gesagt, lass uns Zehntel-Bel nehmen. Sprich: | |
[4][Dezibel]. Die Spanne in der wir uns akustisch bewegen geht also von 0 | |
bis 130 Dezibel. Und eine Veränderung um 10 Dezibel bedeutet in etwa eine | |
Verdoppelung der wahrgenommenen Lautstärke. | |
Neben der Einheit Dezibel sieht man auch immer wieder die Einheit dB(A). | |
Was hat es damit auf sich? | |
Unser Gehör reagiert auf unterschiedliche Tonhöhen unterschiedlich | |
empfindlich. Erinnern Sie sich an das Testbild im Fernsehen? Da gab es | |
diesen Ton dazu. Der liegt genau in dem Frequenzbereich, in dem unser Ohr | |
besonders sensibel ist. Dort, wo sich auch die menschlichen Stimmen | |
bewegen. Damit wir sehr tiefe oder sehr hohe Frequenzen genauso deutlich | |
wahrnehmen, braucht es höhere Schalldrücke. Das berücksichtigt die | |
[5][A-Bewertung der Dezibel-Skala]. | |
Ab welcher Dezibel-Zahl sprechen Sie von Lärm? | |
Wenn Sie schlafen, sollte der mittlere Pegel etwa bei 30 Dezibel liegen – | |
ohne größere Ausschläge. Dann ist die Situation ruhig. Wenn Sie sich beim | |
Abendessen entspannt über den Tisch unterhalten, haben Sie einen Pegel von | |
etwa 60, 65 Dezibel. Ein Geräusch, das circa 10 Dezibel darunter liegt, | |
stört die Kommunikation noch nicht allzu sehr. Ein Kühlschranksummen oder | |
die Spülmaschine. Wenn Sie mit dem Störgeräusch aber in die Nähe des | |
Sprechpegels kommen, wird es anstrengend. Dann verstehen Sie nicht mehr | |
alle Silben. | |
Bei 60 Dezibel fängt also Lärm an? | |
Wir sagen seit Langem: Es ist gesundheitsschädlich, wenn tagsüber permanent | |
etwa [6][65 Dezibel] von außen auf ein Wohngebäude wirken und nachts 55 | |
Dezibel. Ich habe Angela Merkel betreut, als sie noch Umweltministerin war. | |
Damals schon haben wir gesagt, wir brauchen diese Grenzwerte. Aber unsere | |
Obergerichte setzen die bis heute fünf Dezibel höher an. | |
Hören die nicht auf Sachverständige? | |
Wenn Forscher eine Studie schreiben, dann steht halt hinten drin: Wir haben | |
zwar dieses und jenes Ergebnis, aber es besteht weiter Forschungsbedarf. | |
Klar, die leben ja auch von der Forschung. | |
Sie leben vom Lärmschutz. | |
Wir sind Gutachter, wir brauchen klare Limits. Die gibt es für | |
Freizeitanlagen, Häfen, Baustellen, Industrie. Überall, wo man die | |
Privatwirtschaft in die Pflicht nehmen kann. Aber beim Straßenverkehr ist, | |
abgesehen von Neubaustrecken, alles unverbindlich. Das wäre ja eine | |
hoheitliche Aufgabe, den leiser zu bekommen. Der Bund hat bei der | |
Gesetzgebung schon geschaut, dass er sich selbst nicht zu hart rannimmt. | |
Kann man sich an Lärm gewöhnen? | |
Nein. Man kann aber Strategien entwickeln. Sie können Stoßlüften, statt das | |
Fenster zu kippen. Manche können sich auch einfach sehr gut konzentrieren. | |
Ich habe einen Informatiker in der Firma, der könnte mitten im | |
Fußballstadion sitzen, das würde ihn nicht jucken. Das scheint dann zwar, | |
als sei er immun gegen Lärm – aber spätestens nachts ist für uns alle | |
Schluss. Da reagiert das autonome Nervensystem. | |
Was passiert da? | |
Stellen Sie sich vor, Sie wohnen an einer lauten Straße und haben nachts | |
das Fenster gekippt. Vielleicht schlafen Sie durch, trotzdem fühlen Sie | |
sich morgens wie gerädert. Das liegt daran, dass Sie nicht richtig in die | |
Tiefschlafphasen gekommen sind. Sie waren permanent halb wach. Ein | |
dauerhaft zu hoher Geräuschpegel hat die gleiche Wirkung wie zu viel | |
Rotwein am Abend. Auf Dauer steigt ihr Blutdruck. Sie kriegen Stress. Ihr | |
Herzinfarktrisko steigt. | |
Ist Lärm wirklich so schlimm? | |
Die [7][WHO sagt]: Lärm ist nach der Luftverschmutzung der zweitgrößte | |
Umweltfaktor, wenn es um die Vergrößerung der Krankheitslast geht. | |
Mehr zur subjektiven Lärmbelastung lesen Sie in der taz am Wochenende oder | |
[8][hier]. | |
24 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bmu.de/themen/luft-laerm-verkehr/laermschutz/laermschutz-im-ueb… | |
[2] https://www.spektrum.de/lexikon/physik/schallpegel/12806 | |
[3] https://www.umweltbundesamt.at/umweltschutz/laerm/schalldruckpegel | |
[4] https://www.elektronik-kompendium.de/sites/grd/0304011.htm | |
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Frequenzbewertung | |
[6] https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/verkehrslaerm/strassenv… | |
[7] https://www.who.int/sustainable-development/transport/health-risks/noise/en/ | |
[8] /Unser-eKiosk/!114771/ | |
## AUTOREN | |
Thilo Adam | |
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