# taz.de -- Verbotene Lautstärke von Motorrädern: „Da halten Sie sich die O… | |
> In einigen Fällen wird Motorradlärm als viermal so laut empfunden wie | |
> zulässig. Das zeigen Messergebnisse, die die taz exklusiv einsehen | |
> konnte. | |
Bild: Kaum zu überhören | |
Berlin taz | Manche Motorräder und sogenannte Sportwagen sind einer Studie | |
des Umweltbundesamts zufolge viel lauter als bisher angenommen. Wenn sie | |
provokativ gefahren werden – also mit besonders hohen Motordrehzahlen –, | |
werden sie als etwa 4-mal so laut wahrgenommen wie der gesetzliche | |
Grenzwert. Das zeigen lang erwartete Messergebnisse, die die taz exklusiv | |
einsehen konnte. | |
Umfragen zufolge fühlen sich etwa [1][drei Viertel der Bevölkerung] durch | |
Straßenverkehrslärm gestört oder belästigt, also in ihrer Lebensqualität | |
eingeschränkt. Dabei können chronische Lärmbelastungen | |
Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfälle verursachen, warnt das | |
bundeseigene Robert-Koch-Institut. Dennoch bauen BMW und andere Konzerne | |
Motorräder oder Autos so, dass sie lauter sind als zum Fahren nötig. Der | |
Grund: Gerade männliche Kunden finden es schön, wenn die Fahrzeuge einen | |
kräftigen „Sound“ haben. Legal ist das, weil der Schallpegel für die | |
Zulassung nur in „zahmen“ Situationen wie bei niedrigen Drehzahlen und | |
Geschwindigkeiten von 50 Kilometern pro Stunde gemessen wird. | |
Ein Beispiel ist das Motorrad [2][BMW R NineT Urban G/S]. Im Lärmtest für | |
die Typzulassung nach EU-Recht kam das Modell laut Umweltbundesamt bei 50 | |
Kilometern pro Stunde in 7,5 Meter Entfernung auf rund 74 Dezibel. 77 | |
Dezibel waren für diesen Typ erlaubt. Als der von der Behörde beauftragte | |
Testfahrer aber absichtlich hochtourig fuhr, um richtig Krach zu | |
verursachen, maß das Amt gleich 99 Dezibel. | |
Eine Zunahme von 10 Dezibel entspricht ungefähr einer Verdopplung der | |
empfundenen Lautstärke. „Ein Fahrzeug mit dem gemessenen Wert verursacht | |
einen Geräuschpegel wie rund 160 Fahrzeuge mit 77 Dezibel“, erläutert | |
Michael Jäcker-Cüppers, Vorsitzender des Arbeitsrings Lärm der Deutschen | |
Gesellschaft für Akustik. Ein anderer Experte sagt: „Das ist richtig laut. | |
Da halten Sie sich die Ohren zu. Wenn so ein Ding um die Ecke kommt, | |
erschrecken Sie sich.“ | |
## Auch Autos betroffen | |
Die ebenfalls vom Umweltbundesamt getestete Kawasaki Ninja ZX-10R KRT kam | |
sogar auf 102 Dezibel. Wenn sie im offiziellen Zulassungsverfahren gemessen | |
wird, war sie nur rund 76 Dezibel laut, also etwa in Höhe des Grenzwerts. | |
Auch die Harley Davidson Softail Heritage Classic lag bei den „Worst | |
Case“-Fahrten weit über dem in den offiziellen Testfahrten erlaubten Limit. | |
Das trifft nicht nur bei den drei getesteten Motorrädern zu, sondern auch | |
bei den drei untersuchten Autos. Das Audi TT RS Coupé etwa verursachte bei | |
der provokativen Fahrt einen Geräuschpegel von 102 Dezibel. In der | |
Zulassungsprüfung sind nur rund 76 Dezibel zulässig. | |
Der Audi lässt sich per Schalter vom Fahrer in einen „Sportmodus“ | |
versetzen. Dann öffnet sich eine Klappe im Auspuff, sodass die Geräusche | |
aus dem Motor weniger stark gedämpft entweichen. Die Messwerte bestätigen | |
nun, dass damit tatsächlich der Lärmpegel zunehmen kann, was Autolobbyisten | |
gern anders darstellen. Der Audi verursachte im Sportmodus einen Lärmpegel | |
von 97 Dezibel – bei nur 50 Kilometern pro Stunde wie im Zulassungstest | |
verlangt. „Der war wirklich brüllend laut, als die Klappe aufging“, sagt | |
einer, der bei den Fahrten des Umweltbundesamts dabei war. | |
Das ist nach Rechtsauffassung der Zulassungsbehörden völlig legal, da der | |
Audi nach einer alten Regelung getestet wurde, für die der Sportmodus nicht | |
genutzt werden muss. Das Fahrzeug wurde gemäß der von der EU übernommenen | |
UN-Norm ECE R51.02 nur im leiseren Modus überprüft. Erst die neue Norm | |
R51.03 fordert, Fahrzeuge in allen Betriebszuständen zu messen. Doch die | |
Hersteller dürfen sich laut Kraftfahrt-Bundesamt immer noch für die alte | |
Norm entscheiden, falls es sich um einen bereits bestehenden Fahrzeugtyp | |
handelt. Bei der Frage, was ein bereits bestehender Typ ist, haben die | |
Unternehmen einen großen Ermessensspielraum. Zudem werden noch viele Jahre | |
lang Millionen Fahrzeuge auf den Straßen sein, die nach der alten Norm | |
zugelassen worden sind. | |
Die Untersuchung des Umweltbundesamtes bestätigt das Ergebnis von Tests | |
anderer Institutionen, dass manche Motorräder und Fahrzeuge lauter sind als | |
der Grenzwert, wenn sie etwas anders gefahren werden als im amtlichen | |
Zulassungstest. Neu ist, wie hoch die Abweichungen sind. Die kompletten | |
Testergebnisse will das Umweltbundesamt offiziell Ende des Jahres | |
veröffentlichen. | |
Die Hersteller schieben die Schuld an dem Lärm auf ihre Kunden. „Die | |
Geräuschemission wird a priori durch den Fahrer bestimmt“, sagte | |
Hans-Martin Gerhard, Fachreferent Technische Vorschriften für | |
Verkehrsgeräusche der Porsche AG, vor Kurzem bei einer Berliner Tagung des | |
Umweltbundesamtes zum Thema. „Man kann mit jedem Fahrzeug andere | |
belästigen.“ | |
Ein Experte verglich das mit der Argumentation der US-Waffenlobby NRA. „Die | |
sagen bei ihren Schnellfeuerwaffen auch immer: Nicht die Waffe ist schuld, | |
sondern der Benutzer.“ Aber die Hersteller würden es eben ermöglichen, dass | |
die Fahrer dermaßen hohe Lautstärken verursachen können. „Man stellt | |
Fahrzeuge her, die nicht den Sinn des Transports erfüllen, sondern diese | |
Möglichkeiten explizit bieten und auch so beworben werden.“ | |
## Gesundheitsrisiko Lärm | |
Dabei sind die Folgen von Straßenverkehrslärm gravierend. Ein Lärmpegel | |
von 65 Dezibel ganztägig außen an der Hausfassade erhöhe das Risiko einer | |
Erkrankung der Herzkranzgefäße, die beispielsweise zu einem Herzinfarkt | |
führen kann, um 10 Prozent, sagte Umweltpsychologin Jördis Wothge vom | |
Umweltbundesamt auf der Tagung. Sie beruft sich auf Berechnungskurven der | |
Weltgesundheitsorganisation. Dem fraglichen Pegel seien in Deutschland | |
täglich mehr als 2,5 Millionen Menschen ausgesetzt. Andere Studien zeigten | |
einen Zusammenhang zum Beispiel mit Depressionen. | |
„Uns wird die Gesundheit genommen und wir werden enteignet“, klagte Bärbel | |
Lehmann von der Interessengemeinschaft Müglitztal bei der Tagung. Lehmann | |
wohnt an einer Straße nahe Dresden, die Motorradfahrer als Rennstrecke | |
nutzen. Die Häuser der Anwohner seien wegen der Lärmbelastung fast | |
unverkäuflich, so Lehmann. Es sei normal, dass alle eineinhalb Minuten | |
Motorräder mit mehr als 78 Dezibel an ihrem Haus vorbeifahren. „Wenn andere | |
sich auf Wochenende und Sonnenschein freuen, sagen wir: Herrgott, lass es | |
regnen!“, rief Lehmann. Nur schlechtes Wetter halte die „Biker“ auf. Das | |
Müglitztal ist kein Einzelfall: Mehrere Referenten verwiesen auf die | |
[3][Karte der taz] mit Protesten gegen Lärm von Motorrädern und unnötig | |
lauten Autos in Deutschland. Sie enthält bereits etwa 300 Orte. | |
Die EU müsse endlich einen Grenzwert von 80 Dezibel für Autos und | |
Krafträder festlegen, der bei allen Geschwindigkeiten und Umdrehungszahlen | |
gilt, forderte Holger Siegel, Sprecher des Arbeitskreises Motorradlärm beim | |
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, in einem auf der Tagung | |
gezeigten Video. Dann könnten die Hersteller Autos und Motorräder nicht | |
mehr so bauen, dass sie nur bei den im Zulassungstest relevanten | |
Bedingungen leise genug sind. Der Baden-Württemberger fährt selber | |
Motorrad. Er ist also nicht gegen jegliche Motorräder oder Autos, sondern | |
nur gegen unnötig laute. | |
## Mutwillige Lärmspitzen | |
Bei Porsche beißt Siegel mit seiner Forderung aber auf Granit. „80 Dezibel | |
entspricht etwa 90 bis 100 km/h Abrollgeräusch bei Reifen, die heute | |
durchaus gebräuchlich sind“, sagte Konzernlobbyist Gerhard. Soll heißen: 80 | |
Dezibel seien illusorisch niedrig, weil sie allein schon durch die Reifen | |
verursacht würden. | |
Motorräder würden nahezu keine Abrollgeräusche verursachen, kontert | |
Umweltschützer Siegel. Bei Autos lasse sich dieser Faktor durch schmalere | |
Reifen zudem deutlich reduzieren. „Das Problem, das die Bürger haben, sind | |
nicht die Abrollgeräusche, sondern die mutwillig erzeugten Lärmspitzen“, | |
ergänzte Siegel. Das „unnötig-krawallige Lärmen“ überlagere das Geräus… | |
durch die Reifen bei Weitem. | |
Kennen Sie Orte, wo es Proteste gegen unnötigen Motorrad- und Autolärm | |
gibt, die auf unserer Karte fehlen? Dann schicken Sie bitte Ort, Straße, | |
Postleitzahl und Quelle (zum Beispiel Link zu einem Medienartikel) an | |
[email protected]. | |
22 Jul 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/umweltbewusstsein-in-deutschla… | |
[2] https://www.bmw-motorrad.de/de/models/heritage/rnineturbangs.html | |
[3] /kfzlaerm | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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