| # taz.de -- Parlamentswahl in Peru: „Wir haben eine Bildungskrise“ | |
| > Peru wählt am Sonntag. Der frühere Unirektor Salomón Lerner beklagt | |
| > gewinnorientierte Privatunis und Politiker, die zu wenig über Bildung | |
| > reden. | |
| Bild: Große Plakate in der peruanischen Hauptstadt Peru werben für die Parlam… | |
| taz: Herr Lerner, in Peru stehen am Sonntag außerplanmäßig Neuwahlen an. | |
| Spielen Bildungsthemen im Wahlkampf überhaupt eine Rolle? | |
| Salomón Lerner: In Peru haben wir seit Jahrzehnten eine Bildungskrise. Die | |
| spielt im aktuellen Wahlkampf aber so gut wie keine Rolle. [1][Die wenigen | |
| Statements zur Bildungspolitik] drehen sich um die Qualität der | |
| Universitäten. Die Kandidaten der Linken und des politischen Zentrums loben | |
| die Fortschritte des Universitätsgesetzes, das das Studium an peruanischen | |
| Hochschulen verbessern soll. Aus dem Lager des Fujimorismo, das von der | |
| Partei Fuerza Popular vertreten wird, und der sozialdemokratischen Apra | |
| kommt hingegen Widerstand. Sie plädieren für den Erhalt der Universitäten, | |
| die in spätestens zwei Jahren schließen müssen, weil ihre Qualität nicht | |
| stimmt. | |
| Wie kommt es, dass in Peru eine ganze Reihe von Universitäten nicht einmal | |
| minimale Qualitätsstandards erfüllen? | |
| Das ist ein Relikt, das wir dem Ex-Diktator Alberto Fujimori zu verdanken | |
| haben. Der Vater von Keiko Fujimori, der Parteivorsitzenden von Fuerza | |
| Popular, hat zwischen 1990 und 2000 viele Bereiche privatisiert und auch | |
| den Bildungssektor für private Universitäten geöffnet. So wurde ein Netz | |
| von Privatuniversitäten geschaffen, die Gewinne erwirtschaften sollen und | |
| kaum einen bildungspolitischen Anspruch verfolgen. Mitte der 1990er Jahre | |
| hatte Peru noch rund 40 Universitäten, heute sind es mehr als 140. Einige | |
| davon mit extrem miesen Standards, wo zum Teil sogar universitäre Titel | |
| käuflich zu erwerben sind. Das ist die traurige Realität. | |
| Gibt es keine Kontrolle vonseiten der Regierung? | |
| In der Theorie schon, in der Praxis hat die omnipräsente Korruption aber | |
| vieles ermöglicht, was eigentlich nicht möglich sein sollte. Ich gehöre | |
| einer Ethik-Kommission an, die bei Auswüchsen einschreiten kann, und im | |
| Falle eines Rektors einer Universität haben wir das auch getan. César Acuña | |
| heißt er, er betreibt gleich drei Universitäten; hat in seiner | |
| Abschlussarbeit geschummelt, offen kopiert und das auch noch öffentlich | |
| zugegeben. Das sagt viel über das intellektuelle Niveau an einigen dieser | |
| Privatunis aus. Noch schlimmer ist vielleicht: Dieser Mann ist gleichzeitig | |
| Vorsitzender der derzeit stärksten politischen Partei Perus, der Allianz | |
| für den Fortschritt. Diese Partei tritt mit dem Slogan an: „Peru aus | |
| Überzeugung“. Von einem Programm weiß ich nichts, und Investitionen in die | |
| Bildung spielen da sicherlich keine Rolle. | |
| Hat die Gründung dieser Privatuniversitäten zu einer elitären | |
| Bildungsstruktur wie etwa in Kolumbien geführt? | |
| In Peru ist die Struktur anders: Hier gibt es zwei Typen von | |
| Privatuniversitäten. Jene, die ihr Angebot auf die Ober- und obere | |
| Mittelschicht zugeschnitten haben und hohe Standards garantieren wie die | |
| Päpstliche katholische Universität Perus (PUCP), die Universität Cayetano | |
| Heredia, die Universität des Pazifiks oder die Universität von Lima. Der | |
| zweite Typ von Privatuniversität hat hingegen die mittlere Mittel- und die | |
| Unterschicht im Visier, und dort sind die Qualitätsstandards niedriger und | |
| nicht immer liegen alle Lizenzen vor. Diese Universitäten arbeiten meist | |
| gewinnorientiert, Qualitätsstandards haben nicht immer Priorität. Diese | |
| Bildungseinrichtungen haben vom neuen Universitätsgesetz einiges zu | |
| befürchten. | |
| Der aktuelle Präsident Martín Vizcarra hat in seiner Zeit als Gouverneur | |
| der Provinz Moquegua viel Geld in das Bildungssystem investiert. Wie ist | |
| sein Ruf als Bildungspolitiker auf nationaler Ebene? | |
| Moquegua ist das eine, Peru das andere. In Lima schert sich leider niemand | |
| um die Bildung der Menschen aus den armen Bevölkerungsschichten. Das ist | |
| das Allerletzte, was die Politik interessiert, auch nicht die Regierung. | |
| Nun werden Sie fragen: warum, und auch diese Antwort ist leider | |
| erschütternd: weil es Geld kostet. Zudem stellen sich die Ergebnisse | |
| solcher Investitionen erst auf lange Sicht ein. Politiker agieren aber aus | |
| der Perspektive einer Legislaturperiode, und das ist in Peru nicht anders. | |
| Viele Politiker verfolgen auch ihre persönlichen Interessen, und da sind | |
| wir [2][beim Thema der Korruption], die in Peru wirklich alles | |
| überschattet. | |
| Auch im Bildungssektor? | |
| Ja, bestes Beispiel ist die Entlassung von Bildungsminister Jaime Saavedra | |
| Ende 2016 auf Betreiben der Abgeordneten der rechtskonservativen Partei | |
| Fuerza Popular. Den Vorwand lieferten Korruptionsvorwürfe, die nie richtig | |
| bewiesen wurden. Mit Saavedra haben wir einen Fachmann verloren, der | |
| Reformen eingeleitet hatte, die sich begannen positiv bemerkbar zu machen. | |
| Heute arbeitet er für die Weltbank. | |
| Welche Erfolge meinen Sie? | |
| Er hat an zwei Punkten angesetzt: die Ausbildung der Lehrer und deren | |
| Bezahlung. Saavedra hat sich bemüht, die Ausbildung der Lehrer zu | |
| verbessern und sich für höhere Gehälter engagiert, und das hat durchaus | |
| Erfolge gezeitigt. Mit seiner Entlassung ist aber die Kontinuität dieser | |
| Reformen in Frage gestellt – grundsätzlich sind das aber wichtige | |
| Stellschrauben, um im Bildungssektor wirklich etwas zu bewirken. Da sind | |
| sich alle Experten einig. Früher waren die Lehrer in Peru angesehen, heute | |
| gelten Studenten der Pädagogik als universitäre Resterampe. Wer in anderen | |
| Fakultäten nichts werden kann, wird Lehrer. Das muss sich ändern. | |
| Ein klassisches Dilemma ist die Unterfinanzierung der Bildung in Peru. | |
| Sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts hat die Regierung einmal als | |
| Zielvorgabe ausgeschrieben. Wie sieht die Realität aus? | |
| Lange pendelten die Ausgaben zwischen zwei und drei Prozent. Mittlerweile | |
| liegen wir bei fast vier Prozent. Das ist positiv, aber nicht ausreichend. | |
| Das belegen die Pisa-Tests in Lateinamerika, wo wir auf den hinteren Rängen | |
| liegen. | |
| Welche Reformen sind aus Ihrer Sicht nötig? | |
| An erster Stelle ist das offizielle Bekenntnis nötig, dass Bildung ein | |
| Grundrecht – und deren Gewährleistung eine Pflicht ist. Ohne diese | |
| Grundlage sind alle Reformen zum Scheitern verurteilt. An zweiter Stelle | |
| müssen die Verantwortlichen einsehen, dass sich Gewinnorientierung und | |
| Qualitätssteigerung ausschließen. Alle Reformbemühungen sollten zudem | |
| Dozenten wie Lehrer in das Zentrum der Reformen stellen. Sie besser | |
| auszubilden ist essenziell, denn sie sollen schließlich unsere Jugend zu | |
| kritischen Bürgern formen – dazu müssen sie sich nicht nur ihrer Rolle | |
| bewusst sein, sondern sie auch ausfüllen können. Dafür müssen Sie auch | |
| entsprechend bezahlt werden. | |
| 25 Jan 2020 | |
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| Knut Henkel | |
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