# taz.de -- Qualitätscheck an peruanischen Unis: Hochschulqualität ungenügend | |
> Ein Drittel der peruanischen Unis müssen schließen, weil sie niedrigste | |
> Qualitätsstandards nicht erfüllen. Wie geht es für die Studierenden | |
> weiter? | |
Bild: Schüler*innen bereiten sich auf die Universität vor. Was die Schließun… | |
BUENOS AIRES taz | Perus Studierende stehen unter Schock. 50 der 145 | |
Universitäten und Hochschulen des Andenstaates müssen in den kommenden zwei | |
Jahren ihren Lehrbetrieb einstellen. Davon betroffen sind rund 220.000 | |
Studierende. Das folgt aus einer Qualitätsüberprüfung aller Hochschulen und | |
Universitäten, deren Ergebnis im Januar bekanntgegeben wurde. | |
Vor sechs Jahren hatte Perus Regierung mit einem Qualitätscheck aller | |
Bildungseinrichtungen im Hochschulbereich begonnen. Damals einigte sich das | |
Parlament auf eine Hochschulreform, deren Kernstück eine qualitative | |
Überprüfung von Lehre, Forschung und Studienbedingungen an den rund 150 | |
Universitäten und Hochschulen des Landes ist. Das Fazit der eigens dafür | |
eingerichteten Aufsichtsbehörde: 50 Bildungseinrichtungen erfüllen | |
[1][nicht einmal die niedrigsten Qualitätsstandards] und müssen schließen. | |
Betroffen sind 47 private Einrichtungen und drei öffentliche Universitäten. | |
Die haben nun zwei Jahre Zeit, um sich selbst abzuwickeln. Behördenchef | |
Oswaldo Zegarra bemühte sich dennoch, das Positive hervorzuheben: 1,3 | |
Millionen Studierende hätten jetzt die Gewissheit, dass ihre | |
Bildungseinrichtung den Qualitätsanforderungen genügt. | |
„Die Lizenzerteilung für alle anderen Einrichtungen gibt den Lernenden die | |
Sicherheit, dass sie ihre Ausbildung an Universitäten mit akademischen | |
Programmen und Praktika machen, die die qualitativen Grundvoraussetzungen | |
erfüllen“, sagte Zegarra. | |
Studierende müssen Konsequenzen tragen | |
Anders sehen es die von den Schließungen betroffenen Studierenden. „Die | |
Studierenden müssen sämtliche Konsequenzen selbst tragen“, beklagt Gabriel | |
de los Angeles, Jurastudent an der Universidad Católica Los Angeles de | |
Chimbote. Dass es für sie keinerlei Absicherung gebe, hätten die Behörde | |
und das Bildungsministerium nie reflektiert. | |
Dabei hatte er noch Glück. Die Uni des Jurastudenten konnte sich durch die | |
Fusion mit einer anderen katholischen Uni vor einer Abwicklung retten. | |
Viele hätten jedoch resigniert und ihr Studium abgebrochen. „Die Aussichten | |
sind finster“, so der 32-Jährige. | |
Seit Jahren steht das akademische Niveau des peruanischen Hochschulsystems | |
in der Kritik. Seit 1996 ist die Hochschulbildung im Andenstaat ein | |
blühendes Geschäftsfeld. Dabei geht es meist um Quantität und nicht um | |
Qualität. | |
Per Dekret setzte der damalige Präsident Alberto Fujimori das „Gesetz zur | |
Förderung von Investitionen im Bildungsbereich“ in Kraft und erlaubte somit | |
die Einrichtung von gemeinnützigen, aber auch von gewinnorientierten | |
privaten Universitäten. Formuliertes Ziel war „die Modernisierung des | |
Bildungssystems und die Ausweitung von Angebot und Nachfrage“. | |
Investor*innen witterten Profite | |
Potenziellen Investor*innen wurden immense Steuervorteile gewährt. Die | |
witterten enorme Profite in dem neuen Feld. Nicht wenige standen bereits in | |
den Startblöcken, gehörten sie doch dem Umfeld oder gar direkt der | |
damaligen Regierungspartei von Alberto Fujimori an. Während es vor 1996 nur | |
rund 50 Universitäten und Hochschulen gab, kamen im Laufe der Jahre rund | |
100 hinzu. Eine wirkliche Qualitätskontrolle fand nicht statt. | |
Kein Geheimnis war auch die herrschende Bereicherungsmentalität vieler | |
verantwortlicher Rektor*innen und vermeintlicher Hochschulgrößen. Die | |
Spitze des Eisbergs war sicherlich der Mercedes-Benz von Luis Cervantes, | |
dem Rektor der Universität Garcilaso de la Vega. Vom Geld der Uni, sprich | |
den Studiengebühren der Studierenden gekauft, aber ausschließlich privat | |
genutzt, deklarierte Cervantes sein Luxusfahrzeug zum Bildungsgut. | |
Im Jahr 2014 kam eine Bildungskommission des Kongresses zu dem Schluss, | |
dass die Ressourcen der Universität Garcilaso de la Vega weitgehend zum | |
Nutzen ihrer Funktionäre zweckentfremdet worden waren. In ihrem | |
Abschlussbericht schätzte die Kommission, dass dem Fiskus allein durch | |
diese Universität in den Jahren 2004 bis 2013 Steuereinnahmen in Höhe von | |
rund 18 Millionen Dollar entgangen waren. | |
Nicht zuletzt der Bericht der Kommission verpasste der Verabschiedung der | |
Hochschulreform im Kongress den entscheidenden Kick. „Rein technisch | |
gesehen gibt es damit grundlegende Vorgaben für die Infrastruktur und das | |
Lehrangebot, die alle Unis erfüllen müssen“, sagt Marco Apaza, Vorsitzender | |
der Studierendenvereinigung Federación de Estudiantes de Perú (FEP). „Wenn | |
Universitäten die Grundbedingungen nicht erfüllen, müssen sie eben | |
geschlossen werden.“ | |
Uni bleibt Geschäftsmodell | |
Anfangs hätten die Studierenden noch bei der Reform mitgewirkt. „Wir alle | |
wollten, dass die akademische Qualität verbessert wird und sich damit auch | |
die Chancen erhöhen, über eine gute Studienausbildung zu verfügen“, so der | |
FEP-Vorsitzende. | |
Doch die Studierenden wurden schnell enttäuscht. Die Reform änderte nichts | |
daran, dass Bildung weiterhin ein Geschäft ist. Und die jetzt lizenzierten | |
Privaten dürfen auch weiter Gewinne machen, während der Staat den | |
öffentlichen Unis jedes Jahr weniger Mittel zur Verfügung stellt. „Die | |
220.000 betroffenen Studierenden sind die alleinigen Leidtragenden dieser | |
Reform“, so Apaza. | |
Zu ihnen gehört Jurastudentin Yanire Ponce de Léon von der Universidad Inca | |
Garcilaso de la Vega. „Ich verliere zwei Jahre“, sagt die 29-Jährige. „V… | |
den 40 Scheinen, die ich bisher gemacht habe, werden mir vielleicht 30 | |
anerkannt. Aber ich habe wenigstens noch das Glück, dass ich an einer | |
anderen Universität weiterstudieren kann.“ | |
Doch das wird teuer. „Allein alle Unterlagen von der alten Uni zu bekommen | |
ist nicht billig, dann kommen die Gebühren für die Anerkennung an der neuen | |
Uni hinzu“, sagt sie. Viele ihrer rund 16.700 Kommiliton*innen hat es | |
jedoch weitaus härter getroffen. „Es gibt hier Studiengänge, die es an | |
keiner anderen Uni gibt.“ Wechseln ist nicht möglich. | |
Ein anderes Problem plagt César Isaías Vera Obando, der ebenfalls Jura | |
studiert und kurz vor seinem Abschluss steht. Bereits mehrfach hat sich der | |
28-Jährige nach einer Arbeitsstelle umgeschaut. Doch nun steht seine | |
Universidad Andina Néstor Cáceres Velásquez mit ihren 28.000 Studierenden | |
vor dem Aus. „Was ist mein Abschluss jetzt noch wert?“, fragt er. „Ich ha… | |
an einer Uni studiert, die die Qualitätsstandards nicht erfüllt.“ Auf ein | |
erfolgreiches Bewerbungsgespräch macht er sich wenig Hoffnung. | |
Dennoch hat sich bisher kaum größerer Protest geregt. Stattdessen machten | |
die Eigentümer*innen von Hochschulen noch kurz vor Bekanntgabe der | |
Ergebnisse Druck. Einige von ihnen sitzen im Parlament oder haben dort ihre | |
Stellvertreter*innen. | |
Mit Staatspräsident Martín Vizcarra war im vergangenen November ein | |
hartnäckiger Verfechter der Reform vom Parlament des Amtes enthoben worden. | |
Zwar ging es der Mehrzahl der Abgeordneten um die eigene Straffreiheit – | |
gegen zahlreiche Parlamentarier*innen wird wegen Korruption, | |
Bereicherung und Vetternwirtschaft ermittelt. Aber einigen wäre ein | |
Reformstopp nach Vizcarras Absetzung sehr entgegengekommen. | |
Das Paradebeispiel dafür ist José Luna Gálvez, Geschäftsmann, Politiker und | |
Eigentümer der Universidad Privada Telesup mit rund 20.000 eingeschrieben | |
Studierenden. Schon im Mai 2019 hatte die Aufsichtsbehörde seiner Telesup | |
die Lizenz entzogen. Doch die Privatuni weigert sich beharrlich, der | |
Schließungsanordnung nachzukommen. | |
Unibesitzer im Parlament | |
Sechzehn Jahre lang saß Gálvez als Abgeordneter im Kongress. Im Jahr 2018 | |
gründete er mit Podemos Perú seine eigene Partei. Bei den letzten | |
Kongresswahlen errang sie zwar nur 8,4 Prozent der Stimmen, stellt damit | |
aber 11 Mandatsträger im Kongress. Die stimmten im November geschlossen für | |
die Amtsenthebung des Präsidenten Martín Vizcarra. | |
Amtsnachfolger Manuel Merino machte mit Ántero Flores-Aráoz einen Anwalt | |
zum Ministerpräsidenten, der in enger Verbindung zu Unibesitzer Gálvez | |
steht. Flores-Aráoz hatte die Telesup bei einem Gerichtsverfahren gegen die | |
Aufsichtsbehörde vertreten. Doch Gálvez’ Glück währte nicht lange: Die | |
Regierung von Präsident Manuel Merino hielt sich nur fünf Tage im Amt. Mit | |
Francisco Sagasti wurde ein Reformunterstützer [2][als Staatspräsident | |
vereidigt]. | |
Behördenchef Oswaldo Zegarra räumte nun zumindest ein, dass „es in diesem | |
fast sechsjährigen Prozess überhaupt nicht angenehm ist, den fortgesetzten | |
Betrieb von Universitäten zu verbieten mit all den Folgen für die | |
Studenten“. Für den Studierendenverband FEP ist das Kapitel Hochschulreform | |
noch lange nicht zu Ende. | |
„Die Reform bürdet den Studierenden alles auf: Kosten, verlorene | |
Studienjahre, Imageverlust der Abschlüsse“, kritisiert Marco Apaza. | |
„Dagegen werden die Eigentümer dieser Fassadenuniversitäten ebenso wenig | |
zur Rechenschaft gezogen wie die Verantwortlichen in den Behörden und im | |
Bildungsministerium.“ Der Staat müsse die Kontinuität des Studiums | |
gewährleisten und dürfe die Betroffenen nicht einfach ihrem Schicksal | |
überlassen. „Wir fordern eine Reform der Reform, die zusammen mit uns | |
Studierenden debattiert werden muss.“ | |
10 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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