# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Peru: Dorflehrer gegen Diktatorentochter | |
> Bei der Stichwahl um das Amt des Staatsoberhauptes polarisieren in Peru | |
> beide Kandidaten. Die Bevökerung hat Sorge vor einem Systemwechsel. | |
Bild: Sehr beliebt sind beide nicht: Pedro Castillo und Keiko Fujimori | |
Lima taz | „Wir sind in Trauer“, blinkt die Leuchtreklame mit einer | |
Trauerschleife über dem Hauptplatz von Miraflores, einem gut situierten | |
Stadtteil der peruanischen Hauptstadt Lima. Doch es handelt sich um keine | |
Gedenkanzeige für die Opfer der Coronapandemie und ihrer Hinterbliebenen. | |
Schnell wechselt die Leuchtanzeige: „Noch 8 Tage, um unsere Zukunft zu | |
wählen“ – „Der Terrorismus exisitiert. Reiß dir die Binde von den Augen… | |
„Sei nicht lau. Entscheide deine Stimme“ – „Ja zu Investitionen, Arbeit, | |
Fortschritt, Demokratie“. Keine Unterschrift, kein Parteiname. Doch jeder | |
in Miraflores versteht die dahinter liegende Angstbotschaft: Wähle | |
[1][Keiko Fujimori] und auf keinen Fall Pedro Castillo. | |
Diesen Sonntag wählen die Peruaner ihren neuen Präsidenten. Die | |
Polarisierung sei stärker als sonst, sagt der Politikwissenschaftler | |
Fernando Tuesta. „Vor allem deshalb, weil zur Polarisierung die | |
Fragmentierung und eine tiefe wirtschaftliche und sanitäre Krise | |
hinzukommt“. | |
Die beiden Kontrahenten Pedro Castillo und Keiko Fujimori haben | |
zusammengerechnet bei der ersten Wahlrunde nicht einmal ein Drittel der | |
Wählerstimmen bekommen. Pedro Castillo (51), ein bis dato weithin | |
[2][unbekannter Dorfschullehrer und Lehrergewerkschafter] aus dem | |
nordperuanischen Cajamarca, bekam überraschend 19,1 Prozent und landete auf | |
dem ersten Platz, weit vor Keiko Fujimori mit 13,4 Prozent. | |
Die ist trotz ihrer erst 45 Jahre eine altgediente Politikerin, seit sie | |
mit gerade mal 19 Jahren die Rolle der First Lady an der Seite ihres Vaters | |
[3][Alberto Fujimori] angetreten hatte. 2011 und 2016 hatte sie die | |
Präsidentschaft knapp verpasst. Dieses Mal könnte sie es schaffen. Nur um 1 | |
bis 2 Prozentpunkte liegt Pedro Castillo bei den letzten Umfragen in der | |
Wählergunst vor Fujimori. | |
## Angst vor dem Systemwechsel | |
Keiko Fujimori steht für die neoliberale und autoritäre Politik ihres | |
Vaters Alberto Fujimori, Präsident Perus von 1990 bis 2000 und 2009 | |
rechtskräftig wegen Menschenrechtsvergehen zu 25 Jahren Haft verurteilt. | |
Keiko Fujimori selber hat als bisherige Oppositionsführerin vor allem ihren | |
Rachegelüsten nachgegeben: In den letzten fünf Jahren hatte Peru vier | |
Präsidenten. Sie hat sechs Monate in Untersuchungshaft verbracht und über | |
ihr schwebt ein [4][Verfahren wegen Geldwäsche und der Bildung einer | |
kriminellen Vereinigung]. | |
Wahrlich keine Wunschkandidatin, was auch ihr Wahlergebnis zeigt. Und doch | |
sehen breite Teile vor allem der Mittel- und Oberschicht in Keiko Fujimori | |
jetzt bei der Stichwahl die Rettung vor einem Untergang Perus. Fast alle | |
großen Printmedien und kommerziellen Fernsehsender unterstützen sie. Denn | |
Pedro Castillo, der „Profe“ (Lehrer) mit dem Bleistift als Parteisymbol, | |
spricht von einem Systemwechsel: Verstaatlichung der Bergbauindustrie, zehn | |
Prozent des Staatshaushalts für Bildung und Gesundheit, null Toleranz gegen | |
Korruption. „Keine Armen mehr in einem reichen Land“ lautet sein | |
Wahlkampfslogan. | |
Doch in keiner Wahlkampfdebatte konnte er deutlich machen, wie er diese | |
Änderungen konkret angehen will. Bis heute hat er sich auch nicht von | |
seinem politischen Ziehvater, Vladimir Cerrón, klar distanziert – einem in | |
Kuba ausgebildeter Arzt, Regionalpräsident der Region Junin und dort wegen | |
Korruption abgesetzt und verurteilt. Zu Genderfragen und LGBTI-Rechten | |
äußert sich Castillo äußerst konservativ. | |
Doch für große Teile der ländlichen Bevölkerung verkörpert Pedro Castillo | |
die Hoffnung auf einen Neuanfang. Während in den reichen Stadtteilen Limas | |
Angst und Hysterie angesichts einer möglichen Machtübernahme Castillos | |
herrschen, wird im ländlichen Süden der „Lehrer“ von Menschenmassen | |
begeistert empfangen. | |
## Düstere Aussichten nach der Abstimmung | |
Mit ihm kann sich die bis heute ausgeschlossene indigene und mestizische | |
Mehrheitsbevölkerung identifizieren. „Er ist einer von uns, er hat es mit | |
seiner eigenen Arbeit geschafft, er hat gelitten wie wir“, sagt Aquiles | |
Almonte. Er ist ebenfalls Grundschullehrer, aus der Andenstadt Juliaca und | |
seit März im lokalen Unterstützerkomitee für Pedro Castillo. | |
Dass so viele Menschen zur Veranstaltung mit Pedro Castillo gekommen sind – | |
„aus eigenem Antrieb, von weit weg, und ohne dass wir ihnen etwas | |
versprochen haben“ –, hat ihn selber überrascht. „Pedro Castillo“, so | |
Almonte, „ist kein Kommunist, kein Terrorist. Wir kennen ihn. Er kommt aus | |
einer einfachen Familie, die nie Ärger hatte. Wir vertrauen, dass er | |
transparent sein wird.“ | |
Wer auch immer gewinnen mag, wird sich großen Erwartungen stellen müssen. | |
Erwartungen, die mit einer leeren Staatskasse schwer zu erfüllen sein | |
werden. Zudem hat keiner der Kandidaten eine Mehrheit im Parlament. Die | |
Stimmung in den sozialen Netzwerken ist schon so aufgeheizt, dass noch eine | |
weitere Gefahr besteht: dass der Verlierer die Wahl nicht anerkennt. Die | |
Aussichten sind düster. „Ich sehe kein Szenario, dass es uns nach den | |
Wahlen besser gehen wird als jetzt“, sagt Fernando Tuesta. | |
6 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Hildegard Willer | |
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