# taz.de -- Bildungssystem in Peru: Kirchliche Schulen liegen vorne | |
> Peru rangiert im lateinamerikanischen Bildungsranking auf dem vorletzten | |
> Platz. Schulen mit kirchlichen Trägern gelingt, was den staatlichen | |
> fehlt. | |
Bild: Neben dem Unterricht können die Schüler*innen auch Kreativkurse besuche… | |
Cusco taz | Eleonora Morales legt ihre Hand auf die Klinke zum Klassenraum | |
des Abiturjahrgangs. Leise Stimmen sind von innen zu hören, dann öffnet die | |
Rektorin der Schule Fe y Alegría No. 21 die Tür und gibt den Weg in den | |
Klassenraum frei. Über der Tafel prangt der Slogan „50 Jahre Hand in Hand | |
für eine Bildung mit Qualität“, rechts daneben steht das Pult der Lehrerin, | |
die gerade eine Mathetest an die Schüler zurückgibt. Der von Isabel Sánchez | |
ist gut ausgefallen. | |
Die 16-Jährige mit der eckigen schwarzen Brille und dem Pferdeschwanz steht | |
ganz entspannt vor der Tafel. Ihr schwarz-roter Trainingsanzug ist mit dem | |
Logo der Bildungseinrichtung bestickt – drei Kinder, die sich an den Händen | |
halten. Darüber ist der Schriftzug „Fe y Alegría“ zu sehen, was so viel w… | |
„Glaube und Freude“ bedeutet, darunter steht die Nummer 21 und das Wort | |
Cusco. | |
Fe y Alegría ist eine 1955 von Jesuiten in Venezuela gegründete | |
Bildungseinrichtung, die christlichen Werten verpflichtet ist und sich für | |
die Bildung der Armen engagiert. Fe y Alegría beginnt dort (zu arbeiten), | |
wo der Asphalt endet: So lautet das Motto der Organisation, die weltweit in | |
mehr als 20 Ländern aktiv ist – darunter auch in Peru. Die kirchlich | |
getragenen Schulen bilden neben der öffentlichen und der privaten eine | |
wichtige dritte Säule im peruanischen Bildungssystem – und erzielen im | |
Vergleich die besseren Ergebnisse. Und das, obwohl sie den gleichen Etat | |
wie die öffentlichen Schulen zur Verfügung haben. | |
Etwas außerhalb des Stadtkerns der peruanischen Touristenmetropole liegt | |
die Schule, an der rund 1.100 Schüler aus dem Arbeiterviertel San Gerónimo | |
unterrichtet werden. Darunter auch Isabel Sánchez, die zehn Minuten von der | |
Schule entfernt bei ihrem Onkel lebt und genaue Vorstellungen hat, was sie | |
einmal machen möchte. „Etwas Kreatives will ich studieren, Architektur oder | |
Ingenieurswesen“, erklärt sie und nimmt ihre Mathearbeit in Empfang. In | |
Mathe gehört sie zu den Besten, doch zielstrebig wie sie sind viele in der | |
Klasse. Medizin will etwa Tischnachbarin Mary Sheli studieren, während | |
Dalmar de Cruz, der gleich neben der Tafel sitzt, seine Zukunft in der | |
Kunst sieht. „Ich habe hier an der Schule den Keramikkurs besucht“, sagt | |
der 17-Jährige mit leuchtenden Augen. | |
## Nur knapp vor Haiti | |
Solche Zukunftsträume sind untypisch für Schüler aus einem einfachen | |
Arbeiterviertel. Doch genau diese Träume fördern Rektorin Eleonora Morales | |
und ihr Kollegium, dem 65 Lehrer angehören. „Wir stehen für Werte, setzen | |
auf das gemeinsame Lernen, auf Teamwork in den Klassen und im Kollegium. | |
Das sorgt für Motivation bei Schülern und Lehrern“, erklärt die 55-Jährig… | |
Das ist in Peru, wo Lehrer einen miserablen Ruf haben und die | |
Bildungseinrichtungen im regionalen Vergleich hinterherhinken, alles andere | |
als selbstverständlich. | |
Im Pisa-Ranking Lateinamerikas ist Peru Vorletzter – knapp vor Haiti und | |
weit hinter Nachbarn wie Bolivien oder Chile. Das hat vielfältige Gründe, | |
so Rektorin Morales. „In Peru genießt die Bildung schlicht keine Priorität. | |
Es fehlt nicht nur an Geld, sondern auch am politischen Willen, die | |
Ausbildung der Lehrer zu verbessern und sie angemessen zu bezahlen.“ Vor | |
knapp 20 Jahren hat Morales begonnen, für Fe y Alegría zu arbeiten. | |
Eine Entscheidung, die sie nie bereut hat, denn der kirchliche | |
Bildungsträger arbeitet nach anderen Kriterien als etwa öffentliche Schulen | |
in Peru. Weniger hierarchisch gehe es zu, der Teamgedanke stehe im | |
Vordergrund und die permanente Weiterqualifizierung. „Hier im Kollegium | |
gibt es keine Unterschiede zwischen den festangestellten Lehrern und den | |
Honorarkräften. Unser Anspruch ist es, gemeinsam besser zu werden. Das | |
schlägt sich auch in den Vergleichstests nieder“, so die Pädagogin. | |
Die bescheinigen den derzeit 81 Bildungseinrichtungen, die von der | |
kirchlichen Bildungseinrichtung gemanagt werden, bessere Ergebnisse. Im | |
Schnitt liegen die Leistungen der Schüler rund 20 % über denen von | |
öffentlichen Schulen. Dabei werden allerdings nicht mehr Ressourcen | |
eingesetzt, denn die Ausstattung der Schulen ist identisch mit der der | |
öffentlichen – nur die Organisation läuft anders. | |
## Zum kritischen Denken erziehen | |
So werde etwa der direkte Draht zu den Eltern gesucht, die Schüler | |
gefördert und nicht nur gefordert. Frontalunterricht ist nicht nur an der | |
Fe y Alegría Nummer 21 in Cusco verpönt, sondern an allen der 81 | |
Bildungseinrichtungen, die die Jesuiten in Peru managen. Das trägt Früchte, | |
denn die Schüler des Abi-Jahrgangs wissen nicht nur, was sie wollen, | |
sondern auch, was in ihrem Land schiefläuft. „Hier sollten die Leute | |
aufstehen gegen die Korruption, die immer weiter um sich greift. Doch sie | |
tun nichts“, kritisiert Soledad González und legt die Stirn genervt in | |
Falten. | |
Die 16-jährige Tochter eines Kleinunternehmers besitzt im Gegensatz zu | |
vielen anderen einen eigenen Laptop. Ihr gefällt es nicht, dass an den | |
Schulen die Digitalisierung nur langsam vorankommt und der Trend zur | |
Privatisierung in der Bildung anhält. „Schüler aus einfachen Verhältnissen | |
haben dann keine Chance mehr“, pflichtet ihr Tischnachbarin Mary Sheli bei. | |
Die Schule betont, im Kollegium sei es Konsens, den Nachwuchs zum | |
kritischen Denken zu erziehen und Werte zu vermitteln. „Wir brauchen in | |
Peru einen Wandel, und diese Kinder sind eine Option für die Zukunft“, | |
betont Grundschullehrer Javier Castillo López später auf dem Pausenhof. | |
Der 53-Jährige animiert die Schüler seiner dritten Klasse zum Lesen und | |
verleiht auch schon mal Bücher aus dem eigenen Fundus. Leseförderung gehört | |
genauso wie der Keramikkurs, das Schneidern und Kochen sowie die | |
Informatikkurse zu den Zusatzangeboten neben dem eigentlichen Unterricht. | |
Dabei schöpft Rektorin Morales die Möglichkeiten des staatlichen Angebots | |
nach eigenen Angaben voll aus. „Wir bewerben uns, um zusätzliche Angebote | |
genauso wie andere Schulen auch. Aber wir haben ein paar Mal Glück gehabt“, | |
erklärt die aus Cusco stammende Frau. Fünf statt magere zwei Stunden | |
Englisch stehen deshalb auch auf dem Stundenplan. | |
Den Schülern eröffnet das in der vom Tourismus verwöhnten alten Inkastadt | |
vollkommen neue Perspektiven, bei den Lehrern sorgen die Erfolge für mehr | |
Motivation. Ein elementarer Unterschied zu den öffentlichen Schulen, so | |
urteilen Experten wie der ehemalige Rektor der päpstlichen, katholischen | |
Universität von Lima, Salomón Lerner. „Das Einstiegsgehalt eines Lehrers | |
liegt bei rund 1.300 Soles, das sind knapp 400 US-Dollar und nur gut | |
hundert US-Dollar mehr als der Mindestlohn. Das sagt viel über die | |
Wertschätzung der Lehrer in Peru aus, und es steigert sicherlich nicht | |
deren Engagement.“ Während Nachbarländer wie Bolivien rund 6,5 Prozent | |
ihres Bruttoinlandsprodukts in die Bildung investieren, sind es in Peru | |
gerade 3,7 Prozent. | |
## Drei Bildungsminister in zwei Jahren | |
Ein zentraler Grund, weshalb private Bildungseinrichtungen auf dem | |
Vormarsch sind. Doch eine Qualitätskontrolle fehlt laut Lerner genauso wie | |
stringente Vorgaben im Lehrplan und eine bessere Ausbildung der Pädagogen. | |
„Die Folge ist, dass wir im lateinamerikanischen Vergleich auf einer Stufe | |
mit Haiti stehen und auch im universitären Ranking durchgereicht werden. | |
Ein Ergebnis einer seit Jahrzehnten verfehlten Bildungspolitik. Für die | |
werden immer wieder die Lehrer verantwortlich gemacht.“ | |
In Lima, wo die zentralen Entscheidungen getroffen werden, hat auch Fe y | |
Alegría seine Zentrale. Die arbeitet eng mit dem Bildungsministerium | |
zusammen, um die Strukturen zu verbessern. Seit es die Vergleichstest | |
zwischen öffentlichen, privaten und kirchlich organisierten Schulen gibt, | |
haben sie gute Argumente auf ihrer Seite. „Das ist seit 2008 der Fall, und | |
die beiden letzten Regierungen haben durchaus ihren guten Willen bekundet. | |
Aber es fehlt Kohärenz und Kontinuität“, kritisiert Lala Romero, die bei Fe | |
y Alegría für die Qualifizierung der Lehrer verantwortlich ist. | |
Kein Wunder angesichts der latenten politischen Krise, die Peru durchlebt. | |
Drei Bildungsminister hat Romero in den vergangenen zwei Jahren aus dem Amt | |
scheiden sehen. Dann helfen auch Absichtserklärungen, den Bildungsetat bis | |
2021 auf 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ansteigen zu lassen, wenig. | |
Das wissen auch die Schüler der Abschlussklasse in Cusco. „Das Interesse | |
der Politiker an einer guten Ausbildung hält sich in Grenzen. Sie wissen | |
genau, dass ihnen dann Proteste von unten drohen. Die sind in Peru längst | |
überfällig“, sagt Mary Sheli missmutig und packt ihre Sachen zusammen. Es | |
hat zur Pause geläutet. | |
30 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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