# taz.de -- Thüringens Linke-Chefin über CDU: „Der Tabubruch steht bevor“ | |
> Thüringens Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow denkt, dass die CDU auch | |
> mit der AfD abstimmt. Dennoch glaubt sie an die Wahl von Bodo Ramelow. | |
Bild: Susanne Hennig-Wellsow (r.) und die Thüringer Linken betreten Neuland: r… | |
taz: Frau Hennig-Wellsow, Anfang Februar will sich Bodo Ramelow in | |
Thüringen erneut zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Rot-Rot-Grün fehlen | |
vier Stimmen zur absoluten Mehrheit. Wird er dennoch gewählt? | |
Susanne Hennig-Wellsow: Ja. Denn im dritten Wahlgang genügt die einfache | |
Mehrheit. | |
Kommt drauf an, wie man die definiert. [1][CDU-Chef Mike Mohring | |
bezweifelt], dass es reicht, nur die Ja-Stimmen zu werten. | |
Wir haben das schon 2014 vom Düsseldorfer Verfassungsrechtler Martin Morlok | |
juristisch prüfen lassen. Das Ergebnis war: Es ist völlig egal, wie viele | |
Nein-Stimmen es gibt, die Ja-Stimmen sind entscheidend. Weitere Gutachten | |
bestätigen das. Aber es ist durchaus davon auszugehen, dass die CDU die | |
Wahl im Nachhinein anfechten könnte. | |
Weist Mohring nicht zu Recht darauf hin, dass kein Vereinsvorsitzender | |
gewählt wird, wenn nicht mehr Ja- als Nein-Stimmen vorliegen? | |
Der Ministerpräsident ist kein Vereinsvorsitzender. Was Mike Mohring jetzt | |
anzweifelt, ist die Praxis, die bis 2014 – solange die CDU die | |
Ministerpräsidenten stellte – in Thüringen galt. Erst mit einem | |
Linken-Ministerpräsidenten wurde sie problematisiert. | |
Die CDU schlägt vor, die Wahl zu verschieben, um Rechtssicherheit zu | |
schaffen. Lassen Sie sich drauf ein? | |
Nein. Wir werden die Wahl nicht verschieben. Wenn die CDU stabile | |
Verhältnisse will, dann muss sie sich im dritten Wahlgang enthalten. | |
Angenommen, Ramelow wird gewählt – wie lange hält die Minderheitsregierung? | |
Das ist eine Frage, die niemand beantworten kann. Wir stehen vor einer | |
neuen Situation. Wir wollen fünf Jahre regieren. Der Koalitionsvertrag ist | |
darauf ausgelegt. Es wird auf CDU und FDP ankommen. | |
FDP und CDU wollen Rot-Rot-Grün nicht tolerieren. Das gilt weiter absolut? | |
Sowohl CDU als auch FDP haben es abgelehnt, mit den Regierungsparteien | |
Vorabsprachen zu treffen. Ein weiteres [2][Gespräch in der Fünferrunde], | |
wie am 13. Januar, wird es nicht geben. Die Gespräche, die es geben wird, | |
werden auf Einladung des Ministerpräsidenten stattfinden. Diesen | |
Einladungen werden CDU und FDP folgen. | |
Also sprechen da Ramelow, Mike Mohring und Thomas Kemmerich, FDP. Die | |
Männer machen das unter sich aus? | |
Nein, das werden die Männer nicht unter sich ausmachen. Aber auch ich habe | |
das Gefühl, dass hier Männer eher zusammenfinden. Dafür ist Mike Mohring | |
ein gutes Beispiel. | |
Mike Mohring und Sie verstehen sich auf persönlicher Ebene gut, auf | |
professioneller will Mohring nur mit dem Regierungschef verhandeln. Sie, | |
als Linken-Chefin, sind außen vor. | |
Das wird auf dieser Ebene laufen. Irritierend: Einerseits spricht Mohring | |
davon, das Parlament zu stärken. Er will aber ausschließlich über die | |
Regierungsarbeit Einfluss auf das Parlament nehmen. | |
Lassen Sie es sich gefallen, dass an Ihnen vorbei nur mit Ramelow | |
verhandelt wird? | |
Der Koalitionsvertrag beschreibt einen Arbeitsauftrag für die Regierung. | |
Den habe ich als Parteivorsitzende mit verhandelt, die Partei wird darüber | |
abstimmen. Insofern hat Bodo Ramelow eine Agenda, die alle drei Parteien | |
bestimmt haben. | |
Ramelow ist der Chefunterhändler für Rot-Rot-Grün? | |
Es ist illusorisch, wenn Mike Mohring glaubt, er könne Regierungshandeln | |
gegen den Willen der Linkspartei beeinflussen. Bodo Ramelow und ich | |
vertrauen einander. | |
Wie verlässlich sind Mike Mohring und die CDU? | |
Ich halte weder Mike Mohring noch die CDU für verlässlich. Die Fraktion | |
scheint gespalten zu sein, [3][ein Teil der CDU tendiert zur AfD] und ist | |
der Meinung, wenn man mit uns redet, müsste man auch mit der AfD reden. Es | |
gibt den klaren Versuch von CDU und AfD, zumindest ignorant gegenüber | |
möglichen Zustimmungen der AfD zu ihren Anträgen und Vorstellungen zu sein. | |
Das wäre eine absolute Duldung der AfD. | |
Mohring hat eine Zusammenarbeit mit der AfD vor der Wahl ausdrücklich | |
ausgeschlossen. Er hat [4][Björn Höcke einen Nazi genannt]. Glauben Sie, | |
das gilt auch in Zukunft? | |
Ich glaube, der Tabubruch wird kommen. Und wenn das einmal passiert ist, | |
werden CDU und FDP machtbesoffen ihre mögliche Mehrheit mit der AfD auch | |
nutzen. | |
Und dann? | |
Müssen CDU und FDP erklären, wie sie weitermachen wollen. Das Problem ist, | |
dass wir als Minderheitsregierung keine Mehrheit im Parlament haben. Die | |
CDU hat ja schon angekündigt, dass sie bei Themen wie dem Paritégesetz, dem | |
Bildungsurlaub und dem Vergabegesetz eigene Mehrheiten im Parlament suchen | |
würde. Also ich glaube tatsächlich, der Tabubruch steht bevor. | |
Was kann eine Minderheitskoalition dagegen tun? | |
Uns hilft als rot-rot-grünes Bündnis, dass sich Abgeordnete der CDU und der | |
FDP, die es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, mit der AfD zu | |
stimmen, anders verhalten. Und es bleibt der Druck von Vereinen, Verbänden, | |
Gewerkschaften und Kirchen auf CDU und FDP. | |
Rot-Rot-Grün ist im Parlament künftig auf AbweichlerInnen aus CDU und FDP | |
angewiesen? | |
Man kann das nicht verallgemeinern. Die Gesetze sind unterschiedlich, es | |
wird unterschiedliche Konstellationen geben. Aber faktisch gibt es eine | |
destruktive Mehrheit im Parlament, eine Mehrheit, die weder konstruktiv | |
noch zukunftsgewandt ist. Und die hängt wie ein Damoklesschwert über der | |
Minderheitsregierung. | |
Wird es in absehbarer Zeit Neuwahlen geben? | |
Das ist nicht so einfach. Dafür brauchen wir im Parlament eine | |
Zweidrittelmehrheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass CDU, FDP, SPD und | |
Grüne ein Interesse an Neuwahlen haben. | |
Die Linke schon? | |
Nein, wir haben kein Interesse an Neuwahlen. Wir müssen mit diesem | |
Wahlergebnis umgehen und können nicht so lange wählen, bis es passt. | |
Was passiert, wenn gemeinsame Anträge von CDU, FDP und AfD den Landtag | |
passieren und rot-rot-grüne Projekte kassiert werden? | |
Dann werden sie kassiert. | |
Und Rot-Rot-Grün regiert munter weiter? | |
Das muss man trennen. Das eine ist die Regierungsarbeit. Nicht alles, was | |
die Regierung macht, muss im Parlament beschlossen werden, etwa wenn es | |
darum geht, wie Haushaltsmittel verwendet werden, oder wenn es um | |
Richtlinien und Verordnungen geht. Aber alles, was das Parlament begleiten | |
muss, steht unter der großen Frage, wer sich welche Mehrheiten sucht. | |
Gefährlich ist, dass zumindest die CDU nicht ausschließen kann, dass sie | |
zusammen mit der AfD stimmt. | |
Umgekehrt könnte Rot-Rot-Grün aber auch mit Stimmen aus der AfD zu | |
Mehrheiten kommen. Wenn es etwa um die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 | |
Euro geht. In der letzten Legislatur hat auch die AfD für das rot-rot-grüne | |
Vergabegesetz mit einem Mindestlohn von 11,42 für öffentliche Aufträge | |
gestimmt. | |
In der letzten Legislatur hatten wir eine eigene Mehrheit und es war völlig | |
egal, ob die AfD zugestimmt hat oder nicht. In dieser Legislatur hätte ich | |
ein Interesse daran, dass wir zunächst auf FDP und CDU zugehen, wenn wir | |
ein solches Gesetz einbringen. | |
Beide Parteien wollen das Vergabegesetz in dieser Form sogar abschaffen. | |
Ist es nicht im Sinne der Sache, die Stimmen der AfD zu nutzen, um den | |
Mindestlohn zu erhöhen? | |
Damit packt man die Komplexität des Parlaments in eine einfache Frage. Ich | |
will nicht auf die Stimmen der AfD angewiesen sein und suche daher das | |
Gespräch mit FDP und CDU. Und sei es mit einzelnen Abgeordneten. Dazu | |
kommt: Die Disziplin der Koalition hat in den letzten Jahren dazu geführt, | |
dass wir keine einzige Abstimmung verloren haben. | |
Da hatten Sie aber noch eine Stimme Mehrheit. | |
Genau. Aber weder die CDU noch die AfD waren immer vollzählig. Also können | |
sich schon aus Anwesenheitsgründen andere Mehrheiten entwickeln. | |
Um den Haushalt zu beschließen, wird Rot-Rot-Grün auf CDU und FDP zugehen | |
müssen. Zu welchen Zugeständnissen ist Ihre Partei bereit? | |
Wenn es darum geht, LehrerInnen einzustellen und den Unterrichtsausfall zu | |
bekämpfen, werden wir mit der CDU zusammenkommen. | |
Was sind No-Gos? | |
Ein No-Go ist für uns, weiteren 200 Stellen im Verfassungsschutz | |
zuzustimmen. | |
Für die SPD wäre das sicher kein Problem, sie will den Verfassungsschutz | |
bedarfsgerecht aufstocken. Vertrauen Sie SPD und Grünen? Bei der | |
Ressortverteilung hakt es jetzt schon. | |
Bei der Ressortverteilung war es absehbar. Das war 2014 nicht anders. | |
Grundsätzlich haben wir aber in den letzten fünf Jahren festgestellt, dass | |
wir gut inhaltlich zusammenarbeiten können. Deshalb habe ich da großes | |
Vertrauen. | |
Insgesamt sieht es so aus, dass es sehr mühsam wird, in Thüringen zu | |
regieren. | |
Ja. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich mal sagen würde, eine | |
Ein-Stimmen-Mehrheit ist komfortabel. | |
Haben Sie dennoch Lust darauf? | |
Klar. Weil es eine Herausforderung ist und weil es Spaß macht, mit unseren | |
eigenen Akteuren, mit Bodo Ramelow, mit der Partei, mit der Fraktion, | |
Schritt für Schritt zu gehen, Ideen zu entwerfen und trotz aller | |
Unsicherheit etwas zu erreichen. | |
21 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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