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# taz.de -- Wohin mit dem Atom-Schutt?: Fräsen, Schrubben und Spülen
> Beim Abriss eines Atomkraftwerks fällt Bauschutt an. Der darf auf
> Hausmülldeponien entsorgt werden. Jetzt wehren sich Anwohner des AKW
> Unterweser.
Bild: Einfach Gras drüber wachsen lassen geht auch nicht: AKW Unterweser 2016
Göttingen taz | Wie ein Wahrzeichen ragen der Schornstein und die
Reaktorkuppel des Atomkraftwerks Unterweser über das Butjadinger Land
nördlich von Brake, Landkreis Wesermarsch. Auf dem Deich grasen ein paar
Schafe, vom Fluss her zieht Nebel auf. Strom produziert das Kraftwerk
keinen mehr: Das AKW wurde 2011 nach 32-jährigem Betrieb abgeschaltet.
Anfang 2018 begann der Rückbau, die Arbeiten sollen insgesamt anderthalb
Jahrzehnte dauern.
Das Atomkraftwerk ist [1][gewissermaßen selbst radioaktiver Müll]. Die
bestrahlten, hochradioaktiven Brennelemente wurden schon im vergangenen
Jahr entfernt. Sie lagern in 40 Castorbehältern in einem Zwischenlager –
gleich nebenan auf dem Gelände. Jetzt kommen die anderen, mehr oder weniger
stark kontaminierten Komponenten an die Reihe: das Reaktordruckgefäß,
Wärmetauscher, Pumpen, aber auch Werkzeug, Handschuhe und Schutzkleidung.
All diese Teile werden zunächst ebenfalls zwischengelagert und sollen –
wohl ab 2027 – ins Endlager Schacht Konrad gebracht werden. Auch
Zehntausende Tonnen von Bauschutt fallen an bei so einem Abriss; dazu
Beton, Kabel und Dämmplatten. Das alles ist radioaktiv belastet, wenn auch
nicht so stark. Nachdem es „freigemessen“ ist, darf dieses Material auf
gewöhnlichen Deponien verscharrt, verbrannt oder auch in Flüsse geleitet
werden.
Betreiber des AKW Unterweser ist Preussen Elektra, eine Tochter des
Energiekonzerns Eon. Sie möchte den Rückbauschutt auf einer Hausmülldeponie
im Braker Stadtteil Käseburg entsorgen. Der Plan ist seit fast zwei Jahren
bekannt – und ebenso lange heftig umstritten.
## Sorge um die Gesundheit
Anfang Dezember übergab das Unternehmen dem [2][Niedersächsischen
Umweltministerium] ein überarbeitetes Gutachten, das die Unbedenklichkeit
des Vorhabens belegen soll. Denn Preussen Elektra hält die Deponie für
bestens geeignet, kann kein „K.o.-Kriterium“ erkennen, das dagegen spräche.
Viele Bürger und einige Kommunalpolitiker sehen das anders: Sie fürchten um
ihre Gesundheit, sollte tatsächlich strahlender Bauschutt in ihrer
Nachbarschaft gelagert werden. Außerdem verweisen sie auf die begrenzten
Fassungskapazitäten der Deponie. Zusätzliche Brisanz bekam das Thema vor
wenigen Wochen:
Da wurde bekannt, dass der AKW-Betreiber bereits vor 20 Jahren mehr als 200
Tonnen radioaktiv belastete Abfälle aus dem Kraftwerk auf der Deponie
entsorgt hatte – teilweise ohne Wissen von Anwohnern und lokaler Politik.
Über den aktuellen Antrag von Preussen Elektra muss das Ministerium
befinden; mit einer Entscheidung wird im ersten Quartal 2020 gerechnet.
Kontaminierter Bauschutt fällt längst nicht nur beim AKW Unterweser an. Das
Atomkraftwerk Stade ist schon weitgehend zurückgebaut. Bei den Meilern
Lingen, Brunsbüttel und Krümmel steht der Abrissbeginn bevor. Die Anlagen
in Brokdorf, Grohnde und im Emsland sind noch in Betrieb und produzieren
vorerst weiter Strom und Atommüll. Proteste gegen die Entsorgung
strahlenden Bauschutts sind überall zu erwarten.
Weil etwa der Landkreis Stade über keine geeignete Deponie verfügt, landete
der Schutt aus dem dortigen AKW-Abriss zunächst auf der Deponie Hillern im
nahen Heidekreis. [3][Nach Anwohnerprotesten] erfolgte jedoch ein
Annahmestopp. AKW-Betreiber Eon musste den Bauschutt bis nach Sachsen
transportieren. Doch auch dort protestierten Bürger. Einige
Deponieeigentümer weigern sich seitdem, weiteren Schutt anzunehmen.
In der Kritik steht auch das sogenannte „Freimessen“ selbst: Dazu werden
Schutt und Beton im großen Stil zerlegt sowie mechanisch und chemisch
behandelt. Fräsen, Ätzen, Schrubben, Abspülen und Sandstrahlen – durch
diese Arbeiten wird die Radioaktivität insgesamt aber nicht weniger,
sondern lediglich neu verteilt. Liegt die Strahlenbelastung bei den dann –
vom AKW-Betreiber selbst – vorgenommenen Messungen unterhalb eines
Grenzwertes von zehn Mikrosievert pro Person und Jahr, gilt das Material
als „freigemessen“.
## Grenzwerte willkürlich
Bürgerinitiativen und Anti-Atom-Organisationen wie [4][„Ausgestrahlt“]
halten diesen Wert für willkürlich gesetzt und wissenschaftlich haltlos.
Überhaupt seien Grenzwerte für Radioaktivität nur „Optimierungs“-Rechnun…
zwischen dem Aufwand für die Atomwirtschaft einerseits sowie dem Schaden
für Bevölkerung und Natur andererseits.
Beim „Dekontaminieren“, also dem Verteilen der Radioaktivität, kommen zudem
große Wassermengen zum Einsatz, die – dann ihrerseits kontaminiert – in
Flüsse abgeleitet werden. Im Dezember 2018 erhielt der Betreiber Vattenfall
nach sechsjähriger Prüfung die Abrissgenehmigung für das Atomkraftwerk
Brunsbüttel. Sie umfasst auch die wasserrechtliche Erlaubnis zur Einleitung
von Kühl- und Abwasser in die Elbe. Vattenfall hatte für den Abriss die
gleichen Emissionswerte beantragt, wie sie für das AKW in Betrieb gelten
würden.
27 Dec 2019
## LINKS
[1] /Streit-um-AKW-Abriss-in-Brunsbuettel/!5435739
[2] https://www.umwelt.niedersachsen.de/startseite/themen/atomaufsicht_amp_stra…
[3] /!218622/
[4] https://www.ausgestrahlt.de/
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Anti-Atom-Bewegung
Atomkraftgegner
Radioaktivität
Schwerpunkt Atomkraft
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Atommüllendlager
Entsorgung
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