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# taz.de -- Steffen Kopetzkys Roman „Propaganda“: Hemingway in der Eifel
> Steffen Kopetzky erzählt von der „Schlacht im Hürtgenwald“ und vom
> Schreiben über den Krieg. Sein Roman „Propaganda“ ist packend.
Bild: Gedenktstein für einen gefallenen US-Soldaten im Hürtgenwald
In der amerikanischen Öffentlichkeit ist der Hürtgenwald als „Hurt-genwald�…
in die Geschichte eingegangen. Wegen des Schmerzes („hurt“), den er für die
US-Truppen bedeutete. Das aber klingt eher noch euphemistisch angesichts
dessen, was sich zwischen Oktober 1944 und Februar 1945 in der Nordeifel
abgespielt hat.
Mehrere zehntausend Opfer forderte die sogenannte Schlacht im Hürtgenwald,
bei der die US-Streitkräfte die Wehrmacht zurückzudrängen suchten – die
genaue Zahl der Toten ist umstritten. Für das kurze Stück durch den Wald
brauchten die Amerikaner genauso lange wie zuvor vom Strand der Normandie
bis nach Aachen.
Der Schriftsteller Steffen Kopetzky beschäftigt sich in seinem Buch
„Propaganda“ zentral mit diesen Gefechten, und er ist bei Weitem nicht der
Erste, der dies tut. In Ernest Hemingways „Über den Fluss und die Wälder“
spielt die Schlacht eine Rolle, „Papa Hem“ war selbst als
Kriegskorrespondent vor Ort. Dies ist auch eine der vielen
Nebengeschichten, die Kopetzky aufgreift.
Weitere Auftritte haben: J. D. Salinger (der damals als Soldat der
Infanterie in der Eifel gegen die Nazis kämpfte), Charles Bukowski (den
Kopetzky in einem Schreibseminar mit dem Protagonisten sitzen lässt) sowie
der Wehrmachtsarzt Günther Stüttgen, der sich inmitten des Massakers um
Opfer auf beiden Seiten kümmerte und dafür später auch von den Amerikanern
geehrt wurde.
Gebaut hat Kopetzky seinen vielschichtigen und beeindruckend komponierten
Roman um die Figur des Leutnants John Glueck. Glueck, Amerikaner mit
deutschen Vorfahren, arbeitet in der Abteilung Psychologische Kriegsführung
der US-Army, Sykewar, er schreibt für das deutschsprachige
Alliiertenmagazin „Sternenbanner“ – in dieser Funktion bekommt er auch den
Auftrag, Hemingway an der Front zu porträtieren.
So handelt Kopetzkys Roman nicht nur von der Grausamkeit des
Kriegsgeschehens und den strategischen Fehlern der US-Army, sondern
Protagonist Glueck setzt sich auch mit der Schriftstellerei im Allgemeinen,
dem Schreiben über den Krieg und seiner „Propaganda“-Tätigkeit auseinande…
## Agent Orange und anderes Giftzeug
Ein Dialog zwischen Glueck und „Jerry“ Salinger geht so: „‚Ich schreibe…
die Deutschen gerichtete Propaganda. Ich werbe dabei für Amerika – aus
vollster Überzeugung. Aber das ändert nichts daran, dass ich über den
wirklichen Krieg schreiben werde, wenn ich wieder zu Hause bin. (…) Die
Wahrheit verpflichtet uns.‘ – ‚Die Wahrheit über den Krieg?‘ Er lachte
spöttisch. ‚Na dann, viel Spaß damit und natürlich – einen Riesenerfolg.…
Der Plot, auf den „Propaganda“ hinausläuft, hängt mit der zweiten Zeitebe…
zusammen. Die spielt während des Vietnamkriegs, der Protagonist taucht nun
als Vietnam-Veteran auf, der seine „Hautkrankheit dem zwanzigstündigen
Kontakt mit Agent Orange und anderem amerikanischem Giftzeug“ verdankt.
Glueck wird zum Whistleblower, zum Gegner der US-Regierung.
Er setzt sich unter anderem mit der Herstellung von Agent Orange durch den
Chemiekonzern Monsanto auseinander („Ganz Vietnam ist ein
Riesengeschäft!“), und er sieht nicht nur den Vietnamwahnsinn, sondern etwa
auch den Umgang mit den Schwarzen zu dieser Zeit am Verrat an den
amerikanischen Idealen: „Die Rassenunruhen, die wie in einem Bürgerkrieg
brennenden Innenstädte, die ganze Radikalisierung seit dem Mord an Martin
Luther King, das alles tut mir weh“, sagt er.
## Hommage an den US-Realismus in der Literatur
Kopetzky hat sich viel vorgenommen. Allein die Geschichte des Arztes
Günther Stüttgen wäre für andere wohl Stoff für einen eigenen Roman (sie
brachte ihm übrigens den im Gesamtzusammenhang des Romans absurden Vorwurf
ein, er würde die Wehrmacht verharmlosen).
„Propaganda“ ist im Kern eine Erzählung darüber, welche Lehren Glueck für
sich aus dem Massaker in der Eifel zieht, aber der Roman ist auch eine
Hommage an den US-amerikanischen Realismus in der Literatur, eine
Whistleblower-Geschichte, ein schriftstellerisches Schlachtengemälde.
Dass der Roman so viel will, wäre auch der einzige Vorwurf, den man
Kopetzky machen könnte, er übertreibt es zuweilen – am Ende webt er auch
noch John F. Kennedys Berlin-Rede (auf zugegeben witzige Art und Weise)
ein. Sonst aber ist „Propaganda“ ein packend geschriebener historischer
Roman, den man so schnell nicht aus der Hand legt.
1 Jan 2020
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
J. D. Salinger
Charles Bukowski
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
US-Army
Buch
Kommunismus
Bienen
J. D. Salinger
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