# taz.de -- Zum Tode von Norman Mailer: Patriot, Rebell und Macho | |
> Das Weltkrieg-II-Epos "Die Nackten und die Toten" machte ihn früh | |
> berühmt. Es folgte eine Karriere mit Starruhm und Skandalen, Machotum und | |
> Debatten, Sex und Gewalt. | |
Bild: Kräfte messen: Mailer drückt Arme mit Muhammad Ali (1965). | |
Ein ziemlich abenteuerliches Herz hat aufgehört zu schlagen. Der Reporter | |
und Romancier Norman Mailer ist tot. Unter den Autoren seines Landes war er | |
wohl die prägnanteste Verkörperung des amerikanischen Traums im 20. | |
Jahrhundert: Bei aller Vitalität immer zwiespältig, pendelten Leben und | |
Werk Mailers kräftig zwischen strahlendem Erfolg und dunklen Momenten hin | |
und her. | |
Der 1923 als Sohn jüdischer Einwanderer aus Litauen geborene Mailer wuchs | |
in Brooklyn auf. Eigentlich hatte er Flugzeugingenieur werden wollen, | |
besuchte jedoch neben dem Studium am Harvard College ein paar Schreibkurse. | |
Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er dann an der Pazifikfront. Diese | |
existenzielle Erfahrung trieb den jungen Mann zu seinem ersten Roman; der | |
Krieg prägte ihn wie schon Ernest Hemingway oder, ganz anders, den | |
deutschen Schriftsteller Ernst Jünger. Gerade 25 Jahre alt war Mailer, als | |
1948 "Die Nackten und die Toten" erschien und zu einem Welterfolg wurde. | |
Schonungslos hatte Mailer aus der Sicht der Soldaten in packendem Realismus | |
die Furchtbarkeit des Krieges und die hässliche amerikanische Realität | |
dargestellt. Ein Schriftstellerstar war damit geboren - und Amerika bekam | |
zugleich einen seiner lautstärksten linken Intellektuellen. Seine | |
Reportagen und Kolumnen erschienen in allen renommierten Magazinen; 1955 | |
war er Mitbegründer der Village Voice. | |
Die Jahre nach der Ära McCarthy und vor Vietnam waren Amerikas | |
glanzvollstes Jahrzehnt - und Norman Mailer war in New York mittendrin. | |
Betrunken taumelte er mit seinen berühmten Kollegen William Burroughs, | |
James Baldwin und Truman Capote durch die Künstlerpartys von Greenwich | |
Village, ließ sich vom dankbaren Publikum bewundern, prügelte sich gerne, | |
attackierte Kollegen und Kritiker und stürzte sich in unzählige sexuelle | |
Eskapaden. Seine Romane wurden derweil zwar verrissen, doch Mailers | |
Prominenz wuchs mit jedem Exzess. Der Essay "Der weiße Neger" von 1957 | |
propagierte die Selbstbefreiung im wilden Leben. In einer Novembernacht des | |
Jahres 1960 gab es dann ein grausames Erwachen von der Party: Mailer stach | |
völlig besoffen mit einem Taschenmesser auf seine damalige Frau Adele ein, | |
die nur mit Glück überlebte. | |
Frauen waren ohnehin ein spezielles Kapitel im Leben dieses | |
affärensüchtigen Machos. Sechsmal war er verheiratet, neun Kinder hat er | |
gezeugt. Ende der Sechzigerjahre wurde das "Chauvinistenschwein" (Kate | |
Millet) zum Lieblingsfeind der feministischen Bewegung in den USA; Mailer | |
rächte sich mit dem Essay "Gefangen im Sexus". 1973 veröffentlichte er | |
seine Deutung der amerikanischen Glamourgöttin schlechthin: Marilyn Monroe. | |
Vorübergehend hatte er sich auch in Hollywood als unabhängiger Regisseur, | |
Drehbuchschreiber und Produzent versucht. Er schrieb unter anderem das | |
Drehbuch für Jean-Luc Godards "King Lear". | |
Sex, Politik und Gewalt - aus diesen amerikanischen Passionen setzte sich | |
der Schriftsteller und die öffentliche Figur Norman Mailer zusammen. Er war | |
ein passionierter Boxer, ließ sich professionell trainieren. "The Fight" | |
hieß denn auch seine große Darstellung des legendären Boxkampfes zwischen | |
Muhammad Ali und George Foreman 1975 in Zaires Hauptstadt Kinshasa. | |
Doch der eigentliche Furor, der in Mailer zeitlebens tobte und den er in | |
heftigen Schlägen auslebte, hieß Amerika. Kaum ein Präsident war vor seiner | |
Kritik sicher. Mailer wurde zu einer der prominentesten Figuren in der | |
Bewegung gegen den Vietnamkrieg; am Rande der großen Demonstration 1967 in | |
Washington wurde er festgenommen. Für seine Reportage über den | |
Protestmarsch auf das Pentagon erhielt er 1969 den Pulitzerpreis, die Krone | |
eines amerikanischen Reporterlebens. Mehrfach kandidierte er auf Seiten der | |
Demokraten bei Vorwahlen für das Amt des New Yorker Bürgermeisters, | |
natürlich vergeblich. | |
Und ebenso selbstverständlich attackierte dieser wilde Mann des | |
linksintellektuellen Ostküstenestablishments noch im hohen Alter die | |
Irak-Abenteuer eines George W. Bush: "Amerikaner mögen Blutbäder, solange | |
sie selbst nicht die Opfer sind", so Mailers Diagnose nach jahrzehntelangem | |
antimilitaristischem Engagement. Zum Pazifisten wurde dieser Kämpfer | |
darüber selbstredend nicht. | |
Es waren die großen amerikanischen Themen, die ihn in seinen Büchern | |
umtrieben; kein Mythos war vor ihm sicher. Neben Marilyn und Muhammad Ali | |
schrieb er Wälzer über Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald (1995) oder die | |
CIA-Satire "Gespenster" (1990). Das mächtige Ego dieses Autors arbeitete | |
sich zuletzt vorzugsweise an den ganz Großen ab: 1995 fertigte er sein | |
Porträt von Picasso als junger Mann; zwei Jahre später gönnte er sich den | |
Spaß, das Leben Jesu in der Ich-Form zu erzählen. Mailer überraschte gegen | |
Ende seines Lebens mit einigen gewohnt flockig vorgebrachten Bekenntnissen | |
zur Religion. | |
Von Dauer werden bis auf "Die Nackten und die Toten" die wenigstens seiner | |
Wälzer sein; zu viel Zeitgebundenes überzeichnet die künstlerischen Anteile | |
seines Werks. Die anderen großen Alten unter den amerikanischen Romanciers | |
wie Saul Bellow, William Gaddis, Thomas Pynchon, Philipp Roth oder John | |
Updike sind da von ganz anderem Format. Und doch hat der leidenschaftliche | |
Mailer mit seinen Eruptionen Zeitdokumente dieser amerikanischen Epoche | |
geschaffen; irrlichternd, aufbrausend und niemals leise verkörpert er | |
Amerikas Fähigkeit zur Selbstkritik. Obsessiv hat er sich an den | |
zahlreichen Traumata dieser Nation abgearbeitet. Er war zugleich eine sehr | |
amerikanische Gestalt: immer aufs Ganze gehend, mal mit glücklichem, mal | |
mit peinlichem Ausgang. Einen Erben hat der wüste Mailer nicht gefunden: | |
Die nachwachsenden amerikanischen Großschriftsteller Jonathan Franzen, | |
Richard Powers oder Jeffrey Eugenides sind heute allesamt softer, egal was | |
ihr Präsident in der Welt so anstellt. | |
In den vergangenen Jahren war es merkwürdigerweise Deutschland, das den | |
alternden Kraftkerl anzog. Im Jahr 2000 schaute er sich bei seiner ersten | |
längeren Deutschlandreise sechs Wagner-Aufführungen bei den Bayreuther | |
Festspielen an. Und sein letztes Buch "Das Schloss im Wald" führt den Leser | |
auf verworrene Weise durch eine imaginäre familiäre Vorgeschichte Adolf | |
Hitlers, inklusive inzestuöser Zeugung des kleinen Adolfs und seinen mit | |
allerlei Perversionen angereicherten Kinder- und Jugendjahren. | |
Zuletzt versuchte Mailer, seinen Generationsgenossen Günter Grass aus dem | |
heftigen Sperrfeuer herauszuhauen. Zusammen mit Grass präsentierte er im | |
Juni dieses Jahres die amerikanische Ausgabe von "Beim Häuten der Zwiebel": | |
einer der besten Kriegsberichte überhaupt, so Mailer - und überhaupt wäre | |
er an der Stelle von Grass wohl auch bei der Waffen-SS gelandet. Vielleicht | |
fühlte er sich dem innerlich kriegsversehrten deutschen | |
Literaturnobelpreisträger nicht nur wegen dessen lebenslangem politischem | |
Engagement auf Seiten der Linken und der Lust an den ganz großen Themen | |
verwandt. Beide eint auch das schwierige Autorenschicksal, nach einem | |
großen Jugendwerk, das ihnen Weltruhm verschaffte, nichts Vergleichbares | |
mehr vorgelegt zu haben. | |
An jenem Abend mit Günter Grass in der New York Public Library hatte der | |
schwerhörige und gebrechliche Mailer bereits spekuliert, dass es sich | |
womöglich um seinen letzten Kampfeinsatz gehandelt haben könnte. Am | |
Samstagmorgen hat nun der Boxer den Ring endgültig verlassen: Norman | |
Kingsley Mailer starb im Alter von 84 Jahren in einem New Yorker | |
Krankenhaus an Nierenversagen. | |
11 Nov 2007 | |
## AUTOREN | |
Alexander Cammann | |
## TAGS | |
J. D. Salinger | |
BBC | |
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