# taz.de -- Klimaschutz im Alltag: Mut vor dem Freund | |
> Die ökologische Krise ist riesig. Stellt man aber das Konsumverhalten von | |
> Freunden infrage, kommt das einem Tabubruch gleich. | |
Bild: Nichts hören, nichts sehen, nur kaufen | |
Und dann schlägt immer diese Stille über uns zusammen. Sekundenlang. | |
Peinlich. Dann klopft mir oft das Herz bis zum Hals. Ich weiß, jetzt | |
riskiere ich etwas, eine Beziehung, eine Freundschaft, in jedem Falle die | |
gute Stimmung. | |
Zunächst ist es einen Moment lang so, als hätte ich laut gerülpst. Erst | |
zeigt sich blanke Überraschung im Gesicht des anderen, dann fällt das | |
Stimmungsthermometer um 15 Grad. Der oder die andere blickt weg. Dann | |
kommen diese peinlichen Schrecksekunden, bevor der andere, die andere zum | |
verbalen Gegenschlag ausholt. Dabei hatte ich nur eine Frage gestellt. | |
Als Mensch, als Bürgerin, als Journalistin befasse ich mich seit zehn | |
Jahren mit Umweltthemen, dem [1][Artensterben], der Rohstoffausbeutung und | |
dem Klimawandel. Mein Beruf hat es mir erlaubt, mit Expert:innen zu | |
sprechen oder Fachtexte zu lesen, einige wenige Reisen haben mich an Orte | |
geführt, wo ich mir die Auswirkungen unserer Misswirtschaft anschauen | |
konnte. Ich selbst bin dadurch keine Fachfrau geworden. Auch keine | |
Ökoheilige – allenfalls in Teilzeit. Aber vieles habe ich in meinem Leben | |
hin zu einem naturverträglichen Lebensstil geändert. Die Bilanz ist nicht | |
perfekt, aber sagen wir so, ich habe keine Angst, meinen [2][ökologischen | |
Fußabdruck] mit dem anderer zu vergleichen. | |
Ich habe kapiert: Die ökologische Krise hat ein riesiges Ausmaß. Was wir da | |
als globales Experiment betreiben, ist nichts weniger, als das lebendige | |
Betriebssystem der Erde zu löschen. Immer weniger oft kann ich, will ich | |
daher schweigen, wenn wieder mal einer von seiner Reise nach Sri Lanka | |
berichtet, vom geilen Kitesurfing-Trip nach Frankreich schwärmt oder vom | |
Gletscherskitag, dank Schneekanone schon Ende Oktober. | |
## Seltene Erden im Milchschäumer | |
Ich frage also, welchen Energieverbrauch das Ausnutzen einer | |
Ski-Saisonkarte eigentlich so bedeutet. Bohre nach, warum die Freundin | |
Flugreisen macht, aber zugleich in der Rolle der gütigen | |
Flüchtlingshelferin aufblüht. Weiß sie wirklich nicht, dass sie mit ihrem | |
CO2-Ausstoß Fluchtgründe kräftig mitproduziert? Ich hake bei einem | |
Bekannten nach, woher das Lithium für sein neues E-Bike und die seltenen | |
Erden im schicken Milchschäumer herkommen? Spreche die Frau vor dem | |
Biomarkt an, die ihre Ökoeinkäufe in ihren Riesen-SUV wuchtet. | |
Frage die Freundin, die wegen der „positiven Energie“ in ein indisches | |
Yoga-Retreat fliegt, ob ihr klar ist, dass die irren Mengen an | |
klimaschädlichen Gasen, die sie damit gerade Ländern wie Indien aufbürdet, | |
auch nicht durch „ganz viel“ Spiritualität kompensiert werden? Dass der | |
Kurztrip nach New York auch dann Zukunft vernichtet, wenn er der lang | |
gehegte „Herzenstraum“ der eigenen Tochter ist. Was steckt hinter diesem | |
privaten Konsumverhalten – Egoismus, Verdrängung oder geringes Wissen über | |
ökologische Zusammenhänge? | |
Um das herauszufinden, führe ich Stichproben durch, frage Freundinnen und | |
Freunde immer mal wieder, ob nun der größere Kohlenstoffspeicher der Wald | |
oder das Moor ist; welche die fünf meistbedrohten Arten in Deutschland | |
sind; wie viel Kilo Ackerboden wir täglich hierzulande verlieren; warum in | |
unseren Wäldern die Kiefern verdorren. Die meisten wissen es nicht – und | |
wollen es auch so genau nicht wissen. | |
Zig solcher Debatten habe ich bereits gewagt, mal zaghaft, mal ganz | |
sachlich, mal persönlich direkt. Die Bandbreite der Abwehrmechanismen ist | |
groß, aber immer landen die Antworten auf der persönlichen Ebene. Gerne | |
werde ich daran erinnert, doch bitte nicht intolerant zu sein, anderen | |
Menschen ihren Lebensstil zu lassen und keinesfalls moralisierend zu | |
werden. Moralisieren, das ist „böse“, altbacken, störend. Oft weht mir ka… | |
verhohlene Aggression entgegen. „Du fährst ja selbst Auto, oder?“, ist der | |
gereizte Auftakt. Nicht selten werde ich von jenen, die wissen, dass ich | |
tatsächlich Hand anlege – wie beim Aufforsten erosionsgefährdeter | |
Steilhänge oder beim nächtlichen Krötentragen –, kleingelobt: „Ist ja s�… | |
Verdammt! Klima- und Artenschutz sind nicht irgendein Hobby. Sie sind ein | |
ökologischer Imperativ, wobei sich alle beteiligen müssten – und nicht | |
diese Arbeit an andere delegieren können. | |
## Die Bequemen fordern ständig mein Verständnis | |
Unlängst sagte eine Frau zur mir: „Och, dir geht der Klimawandel ja echt | |
nah. Am liebsten möchte ich dich mal ganz fest drücken.“ Das ist die | |
Erstickungsmethode, sie ist im Grunde genauso gewaltsam wie offene | |
Aggression. Mein Ansatz, Freunde und Bekannte auf Augenhöhe anzusprechen, | |
da also, wo ich sie und ihr Tun und Lassen ganz ernst nehme, mündet meist | |
in der imperialen Strategie, meine Fragen, meine Argumente zu entwerten, | |
abzuwürgen, mich irgendwie unterzubuttern. | |
Ständig wird von mir Verständnis gefordert für die Freiheiten und privaten | |
Lebensentwürfe anderer. Ich soll, mit anderen Worten, die Klappe halten. Da | |
denke ich mir: What the fuck! Warum soll ich den Trägen und Bequemen, die | |
so tun, als gingen sie Artensterben, Klimawandel und | |
Nahrungsmittelknappheit nichts an, Toleranz entgegenbringen? Denen, die | |
sich nie im Umweltschutz engagieren, aber zugleich vom Ressourcenkuchen | |
die größten Stücke grabschen und diese Gier dann – „wir sind halt | |
reiselustig!“– umetikettieren. Ihnen gegenüber den Mund zu halten bedeutet | |
nicht Toleranz, sondern Feigheit und Wurschtigkeit. Diese gesellschaftliche | |
Trägheit ist doch der Grund für den schleichenden Tod unserer Natur. | |
Oft fordert man von mir, ich und überhaupt die Journalisten sollten mehr | |
positive Entwürfe bieten, als immer nur Negatives aufzulisten. Man möchte | |
also einfach Alternativen und Lösungsansätze konsumieren, für die sich | |
andere Leute den Kopf zerbrochen haben. Ganz ohne sich selbst mit | |
beklemmenden Fakten wie dem Verlust von Ackerboden oder Trinkwasser zu | |
befassen. Die Kernaussage bleibt: Behellige mich nicht! | |
Wow! Welchen stillen Konsens habe ich da gebrochen? Welches Dogma sorgt | |
dafür, dass wir in unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft zwar | |
alles Mögliche verachten, aber es für uns tabu sein soll, Freunde | |
anzusprechen, wenn diese dazu beitragen, unser aller Lebensgrundlage zu | |
zerstören? Obwohl jeden Freitag die Jungen auf den Straßen und Plätzen | |
streiken, [3][über Greta Thunberg] rauf und runter geschrieben wird, | |
kriegen wir die brennenden Probleme zwar in Bücher, Zeitungsseiten und | |
Podiumsdiskussionen, aber längst nicht so in die alltägliche Diskussion | |
hinein, wie es nötig wäre, wie es Not wendend wäre. Immer noch herrscht ein | |
Klima, in dem Leute, die sich trauen, drängende Probleme auch mal „in | |
gemütlicher Runde“ zu benennen, dafür keine Anerkennung, sondern eisigen | |
Wind zu spüren kriegen. Ruck, zuck geht es da um Feigheit oder Mut vor dem | |
Freund. | |
Schön ist das nicht. Aber vielleicht kann man „Mut vor dem Freund“ | |
erlernen. Könnte man streiten und debattieren über Umweltthemen genauso | |
lehren, wie auch kontern gegen politischen Extremismus gelehrt wird? Welche | |
rhetorischen Muster sind in solchen Streitgesprächen zu entdecken? Man muss | |
erkennen, dass sich hinter Sätzen wie: „Das ist ein globales Problem, das | |
muss in Indien gelöst werden“, keine geopolitische Kompetenz verbirgt, | |
sondern die banale Haltung: „Ich klinke mich aus!“ Man muss begreifen, dass | |
hinter dem Anwurf: „Umweltschützer haben so was Verbittertes!“, in Wahrheit | |
die Botschaft steckt: „Ich will die Trauer und Wut dieser Menschen nicht | |
sehen, denn ich bin an ihr beteiligt.“ | |
Hartnäckige Abblocker finde ich unter jenen, die ich die | |
Kosmisch-Spirituellen nenne. Die alles mit höheren Ebenen und tieferen | |
Zusammenhängen erklären, um es dann beim Hoffen und Meditieren zu belassen | |
und ansonsten politisch abwesend zu sein. Die trotz erlangter „Bewusstheit“ | |
zuverlässig in jene Denkfalle tappen, wo sich bereits die neoliberalen | |
Marktapologeten befinden: indem sie anthropozentrische Argumente, also | |
menschliche Wünsche und Befindlichkeiten, den ökologischen Realitäten | |
gegenüberstellen – ganz so, als wöge beides gleich schwer. Bloß: | |
Atmosphäre, Meere, Moore, Wälder und Böden funktionieren nach | |
Naturgesetzen, unerbittlich, egal, was Menschen wollen, fühlen oder meinen. | |
Da gibt’s kein Verhandeln. Schon mal mit der Schwerkraft diskutiert? | |
Doch ein Silberstreif leuchtet am Horizont. Immer mehr Menschen wird die | |
volle Dimension des Desasters, vor dem wir stehen, klar. Sie klinken sich | |
ein in Protestbewegungen, NGOs und Parteien. Sie entwickeln | |
Argumentationsleitfäden, üben das Kontern, trainieren Rhetorik. Da spannt | |
sich ein starkes Band zwischen all jenen, die bereit sind, den Mund | |
aufzumachen, um mit den Zerstörern und Trägen zu streiten. | |
Manchmal zitiere ich die SPD-Politikerin Gesine Schwan, die mir mal gesagt | |
hat: „Es gibt eine Ungerechtigkeit gegenüber jenen, die sich im Kampf gegen | |
den Klimawandel bereits engagieren, während die anderen borniert | |
weiterleben wie bisher. Jeder, der sich nicht in Ignoranz und Zerstreuung | |
flüchtet, muss die Ungerechtigkeit darin sehen. Und um die Trägen zu | |
bewegen, muss man eben auch mal die Grenzen der Höflichkeit ausreizen.“ | |
Wenn dann mein Gegenüber komisch guckt, setze ich nach mit der | |
österreichischen Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach: „Nicht jene, die | |
streiten, sind zu fürchten, sondern jene, die ausweichen.“ | |
6 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Margarete Moulin | |
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