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# taz.de -- Digitale Attacken auf Verwaltung: Im Notfall Stecker ziehen
> Seit Monaten ist das Kammergericht offline – und noch glimpflich
> davongekommen. Digitale Angriffe auf staatliche Infrastruktur nehmen in
> Berlin zu.
Bild: Bei der digitalen Infrastruktur kann man schon mal den Überblick verlier…
Wie wichtig Sicherheitsupdates sind, weiß Thomas Heymann, Sprecher und
Richter des Berliner Kammergerichts, spätestens seit dem 25. September
2019. Eine durch einen Mitarbeiter wohl um diesen Zeitraum herum
angeklickte Datei in einem Mail-Anhang hat dafür gesorgt, dass der Trojaner
Emotet das komplette IT-System des Kammergerichts lahmgelegt hat.
Die Sicherheitsstruktur im internen Netzwerk des Gerichts war offenbar
derart unzureichend, dass sich die Schadsoftware sofort im gesamten System
ausbreitete. Die Zeit berichtete gar, dass einige Datenbanken-Systeme des
Kammergerichts noch mit Windows 95 betrieben worden seien. Am Ende hatten
die Jurist:innen keine andere Chance, als den Stecker zu ziehen. Seither
ist das gesamte Kammergericht offline und nur telefonisch, per Fax und
persönlich zu erreichen. Auch alte Karteikästen sind bei der Bearbeitung
von Fällen wieder im Einsatz.
Obwohl ein Krisenstab unter der Führung des Kammergerichtspräsidenten Bernd
Pickel seither versucht, die Lage wieder in den Griff zu bekommen, ist noch
nicht einmal ungefähr absehbar, wann das Gericht wieder online gehen kann.
„Wir arbeiten daran, dass das Netz neu aufgestellt wird, und zwar unter dem
Dach des IT-Dienstleistungszentrums“, sagt Heymann. Das auch ITDZ
abgekürzte Zentrum ist der landeseigene Sicherheitsdienstleister – der
bisher nicht für das Kammergericht zuständig war.
Heymann betont zwar, dass der juristische Betrieb weiter funktioniere und
auch Verhandlungen stattfänden. Aber natürlich seien gewisse
Arbeitsbereiche „eingeschränkt“. Gerichtssachen können in der Regel
schriftlich geklärt werden. Juristische Recherchen sind jedoch schwierig:
Um ins Internet zu kommen, müssen sich mehrere Richter einzelne Not-PCs mit
Netzanschluss teilen. Bis zu fünf Richter müssen mit einem Laptop
auskommen. Das funktioniere „in guter Zusammenarbeit“, sagt Heymann, „aber
alles dauert etwas länger und ist umständlicher“.
## Keine sensiblen Daten geklaut
Dabei ist der Angriff auf das Berliner Kammergericht – immerhin das höchste
ordentliche Gericht Berlins – noch verhältnismäßig glimpflich verlaufen.
Selbst wenn der Schaden groß zu sein scheint und der Gerichtspräsident
Pickel die Lage als „Katastrophe“ bezeichnet: Es hätte deutlich schlimmer
kommen können. So wurden wohl keine sensiblen Daten geklaut oder
Erpressungsversuche gestartet. Ein Mitarbeiter des ITDZ hatte den Vorfall
rechtzeitig bemerkt, bevor Schlimmeres passieren konnte.
Das niedersächsische Neustadt am Rübenberge mit 45.000 Einwohnern hatte
weniger Glück. Dort wurde erkennbar, wie empfindlich öffentliche Struktur
gegenüber digitalen Attacken ist. Wie die Zeit berichtet, hatte auch dort
der Trojaner Emotet gewütet und rund ein Drittel der Daten der
Stadtverwaltung verschlüsselt. Kriminelle hatten demnach offenbar Lösegeld
für die verlorenen Daten gefordert. Die Gemeinde wollte nicht zahlen,
seither sind die Daten verloren: Darunter waren ein Entwurf für eine neue
Kita, Pläne einer Schule und der Kanalisation.
Und selbst Experten sind nicht gefeit: Sogar das Onlinesicherheitsportal
heise.de wurde schon von dem Erpressungstrojaner befallen – den Schaden
bezifferte das Unternehmen auf wenigstens 50.000 Euro.
## Zersplitterte IT-Landschaft
Tobias Schulze, Sprecher für digitale Verwaltung der Linken im
Abgeordnetenhaus, schätzt den Angriff auf das Kammergericht auch als eher
glimpflich ein. Der Fall zeige, wo es bei der Digitalisierung der
Verwaltung noch hakt: „Berlin ist eine unfassbar zersplitterte
IT-Landschaft“, sagt Schulze. Jede Verwaltung, jeder Bezirk, jede Behörde
habe eine eigene Administration, es gebe keine einheitliche Aktenführung,
dafür aber jede Menge inkompatible Software. Wichtig sei es, die digitalen
Vorgänge zu zentralisieren, und das geschehe eben beim landeseigenen ITDZ.
Dann könne man auch Sicherheitsstandards vereinheitlichen – aber der Ausbau
des ITDZ dauere angesichts von Personalmangel länger als erwünscht.
Das e-Government-Gesetz zur Digitalisierung der Verwaltung ist seit Juni
2016 in Kraft und soll die Einführung neuer Kommunikationstechniken für
Behörden verbindlich machen. Die Justiz habe damals darauf bestanden, dass
sie beim e-Government nicht mitmache, so Schulze. Das Kammergericht habe
etwa mit dem Dienstleister Dataport aus Hamburg zusammengearbeitet.
Mittlerweile – nach dem Angriff – habe der Präsident des Kammergerichts
seine Meinung geändert. Nun ist künftig auch dort das ITDZ verantwortlich.
Aus Sicht von Schulze ist mit der digitalen Zersplitterung der Verwaltung
auch zu erklären, dass an vielen IT-Arbeitsplätzen des Landes immer noch
Windows 7 auf dem Rechner installiert ist. Bis Januar gibt es für das
veraltete Betriebssystem noch Support – danach ist Schluss, und die
Sicherheit sinkt.
Schon jetzt ist klar, dass die Verwaltung das Update auf Windows 10 nicht
schafft: Nur 60 Prozent der 82.000 behördlichen IT-Arbeitsplätze sind
mittlerweile umgestellt, teilte die Innenverwaltung mit. Die interne
Zielvorgabe war der 30. November. Bis zum Stichtag am 14. Januar schaffe
man wohl lediglich 85 Prozent. Erweiterter Support von Windows 7 aber
kostet: Eine sechsstellige Summe sei für den erweiterten Service von
Microsoft eingeplant, heißt es. Die sensiblen Daten der Bürger:innen seien
aber zu jedem Zeitpunkt geschützt, schreibt die Innenverwaltung bei jeder
Gelegenheit.
## Schulungen gegen Trojaner
So gut es eben geht, möchte man anfügen. Denn selbst Windows 10 gilt
Expert:innen nicht unbedingt als sicher. Und gegen Trojaner, die in
gefälschten Mails versteckt sind, helfen letztlich auch nur
Sicherheitsschulungen der Mitarbeiter:in,nen, sind sich Expert:innen
sicher.
Sabine Smentek, für Digitalisierung zuständige Staatssekretärin, versichert
unterdessen, dass man auch auf derartige „Cyberangriffe“ vorbereitet sei.
„Wir können Cyberangriffe auf die IT-Infrastruktur der Verwaltung nicht
verhindern, haben aber entsprechend Vorsorge getroffen“, sagte sie
anlässlich der Veröffentlichung von Zahlen zur digitalen Sicherheit Anfang
November. So habe das ITDZ allein im Jahr 2018 rund 31 Millionen
Spam-Mails abgeblockt. Gleichzeitig seien circa 7 Millionen versuchte
Angriffe abgewehrt worden.
27 Dec 2019
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Digitalisierung
Behörden
IT-Sicherheit
Trojaner
Schwerpunkt Stadtland
Datensicherheit
Windows
Berliner Zeitung
Digital
Peter Altmaier
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