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# taz.de -- Trojaner hackt Kammergericht Berlin: Zugriff auf alle Daten
> Der Hacker-Angriff auf das Kammergericht war schwerer als bisher gedacht.
> Das belegt ein Gutachten. Wer die Angreifer sind, bleibt unklar.
Bild: Ist das der Admin des Kammergerichts Berlin?
Berlin taz | Es ist das Sinnbild der Digitalisierung in Berlin schlechthin:
Die auf der Website angegebene E-Mail-Adresse der Pressestelle des
Kammergerichts Berlin ist nicht zu erreichen – noch immer nicht. Und die
rund 120 Richter:innen müssen sich in Schichten 60 Not-PCs teilen. Einige
haben deswegen sogar den guten alten Karteikasten wieder eingeführt.
Seit vier Monaten schon ist Berlins höchstes Gericht nach einem Angriff
durch den [1][Trojaner] Emotet offline. Ein Ende des Notbetriebs ist noch
immer nicht absehbar, wie es auf Nachfrage heißt. Nun stellt sich heraus,
dass der Angriff deutlich schwerwiegender war als bekannt: Es wurden auch
sensible Daten geklaut und es gibt Hinweise auf manuelle Zugriffe durch
Angreifer:innen. Bislang waren das Kammergericht und die Justizverwaltung
von Senator Dirk Behrendt (Grüne) [2][vom Gegenteil ausgegangen].
Die neuen Erkenntnisse beruhen auf einem zunächst nur internen Gutachten.
Es wurde von den mit der Schadensbegrenzung betrauten Expert:innen, die
seit Oktober im Kammergericht arbeiten, erstellt und von Behrendts
Justizverwaltung erst unter Druck [3][am Montag veröffentlicht.] Da war
dessen Inhalt ohnehin schon in der Öffentlichkeit – der Tagesspiegel hatte
darüber berichtet.
Laut Justizverwaltung ist davon auszugehen, dass „beispielsweise“
Zugangsdaten und Browserpasswörter geklaut wurden, heißt es in einer
Mitteilung. Justizsenator Behrendt will dem Kammergericht nun weitere
Expert:innen zur Seite stellen, um „eine IT-Infrastruktur und IT-Sicherheit
zu gewährleisten, die den aktuellen Anforderungen entspricht“. Zudem
kriecht Behrendt bei der Datenschutzbeauftragten Maja Smoltczyk zu Kreuze,
die „angesichts der neuen Erkenntnisse“ eingeladen sei, sich am
Kammergericht ein eigenes Bild zu machen.
## Das Schlimmste verhindert?
Smoltczyk kritisierte umgehend: „Insbesondere, weil es sich bei den hier
betroffenen Daten um höchst sensitive Informationen handelt, haben wir es
mit einem besonders schwerwiegenden Eingriff in die Rechte und Freiheiten
der betroffenen Personen zu tun“. Das sagte Smoltczyk am Dienstag der taz.
Für die Zukunft müsse sichergestellt sein, dass Gerichtsdaten nur über
dienstliche Geräte über eine zentral abgesicherte Infrastruktur verarbeitet
würden. Sie kritisierte auch die Erkenntnisse aus dem jüngsten Gutachten
als „unzureichend“; zudem seien sie „zu spät an uns kommuniziert worden�…
so Smoltczyk.
Auch Bernd Pickel, Präsident des Kammergerichts Berlin, verschärfte seine
bisherige Einschätzung: „Der Angreifer wäre in der Lage gewesen, sich alle
Daten anzueignen oder zu zerstören.“ Aber Pickel wiegelt auch ab: Die
Entscheidung, das Kammergericht Ende September 2019 sofort vom Internet zu
trennen und abzuschalten, hätte „das Schlimmste noch rechtzeitig
verhindert“. Es seien nur Zugangsdaten geklaut worden, die den
Angreifer:innen nichts mehr genutzt hätten, weil die Systeme sofort offline
gegangen seien.
Ob das stimmt, bleibt fraglich. Zwar haben die hinzugezogenen IT-Experten
keine eindeutigen Belege dafür gefunden, dass weitere Dateien gestohlen,
verfälscht, gelöscht oder verschlüsselt wurden. Sie können das aber genauso
wenig ausschließen, wie es in dem 14-seitigen Gutachten heißt. „Wir weisen
ausdrücklich darauf hin, dass ein Angreifer höchstwahrscheinlich in der
Lage gewesen ist, einen verborgenen Account anzulegen und den gesamten
Datenbestand des Kammergerichts zu exfiltrieren und zu manipulieren,
während gleichzeitig die Spuren verschleiert wurden“, steht in dem
Gutachten. Demzufolge hatten Angreifer:innen Zugriff auf alles.
## System völlig veraltet
Dass das Kammergericht dem Angriff schutzlos ausgeliefert war, lag am
völlig veralteten System. Laut Gutachten lässt sich nicht mehr sagen, wann
genau das Netzwerk infiziert wurde – die Log-Dateien, also digitale
Protokolle, des Hauptservers, sind laut Gutachten bereits überschrieben.
Für eine umfassende Aufzeichnung war zu wenig Speicher vorhanden: Nur 128
Megabyte standen für eine Protokollierung aller Prozesse und Logins auf dem
Windows-7-basierten Server zur Verfügung. Deshalb seien „Zugriffe nicht
lückenlos rekonstruierbar“, wie es im Gutachten heißt.
Und es existierten weitere Schwachstellen. Neben den unzureichenden
Log-Files gab es zu wenige Sicherheitsschranken: Dem IT-System fehlte es an
Netzwerksegmentierung und gegliederten Berechtigungskonzepten. Eine
Abschottung einzelner Systemteile hätte eine umfassende Infektion
verhindern können. Aus einem Standardvorfall wie einer Trojaner-Mail konnte
so ein „massive Incident“ werden, wie der Bericht schlussfolgert.
Klar ist bei alledem: Es handelt sich um einen Totalschaden. Das System des
Kammergerichts muss komplett neu aufgesetzt werden. Auch weil der genaue
Infektionszeitpunkt weiter unklar ist, müssen alte Datenbestände von
Schadsoftware bereinigt werden, bevor diese übertragen werden könnten.
Daten, die noch geprüft werden, sind bis auf Weiteres nicht verwendbar.
Inwieweit diese Datenmigration erfolgreich sein wird, kann man beim
Kammergericht noch nicht sagen. Trotz des Hackerangriffs sei das Gericht
weiterhin beschlussfähig, betont Sprecher Heymann.
Der Ursprung des Angriffs war laut Expert:innen am wahrscheinlichsten eine
Word-Datei im Mail-Anhang, welche die Schadsoftware Emotet enthielt. Dieser
Trojaner verselbstständigte sich und lud das Programm Trickbot herunter.
Das wiederum ist ein mächtiges Hackerwerkzeug, mit dem Daten verschlüsselt
werden können und noch mehr Schadsoftware nachgeladen werden kann.
## Widerstände gegen Digitalisierung
Die digitale Infrastruktur von Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen
sind besonders anfällig für diese Art von Angriff. Es stellt sich die
Frage, wie es anderswo um die IT-Sicherheit bestellt ist. Sind noch mehr
Behörden so verwundbar wie das Kammergericht? Es gibt landesweit über
80.000 IT-Arbeitsplätze in 101 Berliner Behörden. Um die Digitalisierung
voranzutreiben und die IT-Sicherheit zu stärken, ist mit dem
E-Government-Gesetz 2016 beschlossen worden, die Verwaltung beim
landeseigenen IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ) zu zentralisieren.
Deren Netzwerke und Technik sind nach BSI-Standards zertifiziert.
Trotzdem ist Berlins IT-Landschaft 2020 noch immer sehr heterogen: Nur
14.500 dieser PC-Arbeitsplätze werden mittlerweile komplett vom ITDZ
betreut, verfügen also über all das, was dem Kammergericht fehlte.
„Insgesamt wird das ITDZ in den nächsten Jahren circa 37.500
IKT-Arbeitsplätze betreuen“, sagte Angelika Schwenk vom ITDZ.
Warum die Umstellung so lange dauert? Die Digitalisierungs-Staatsrätin der
Innenverwaltung, Sabine Smentek (SPD), sagt: „Unsere IT ist wegen
jahrelanger Haushaltskonsolidierung veraltet. Diese notwendigen
Investitionen stehen aber in Konkurrenz mit Schulen, Radwegen und der
Polizei.“ Vorgänge wie im Kammergericht führten jedoch dazu, dass die
Prioritäten sich ändern und die Akzeptanz für Veränderung zunehmen. Zudem
gebe es bei Veränderungen immer Widerstände.
Widerstände gegen die Digitalisierung gab es vor allem auch in der Justiz,
die ihre IT nicht unter dem Dach des ITDZ organisierte. Das
E-Government-Gesetz ist für Gerichte nicht verbindlich – aufgrund der
Eigenverantwortung der Gerichtsbarkeit. Das Kammergericht jedenfalls hat
diese Entscheidung nach dem Angriff bereut: Der Neuaufbau des System
geschieht nun zusammen mit dem ITDZ.
28 Jan 2020
## LINKS
[1] /Trojaner/!t5035300
[2] /Digitale-Attacken-auf-Verwaltung/!5648457
[3] https://www.berlin.de/sen/justva/presse/pressemitteilungen/2020/pm-11-2020-…
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Datensicherheit
IT-Sicherheit
Gericht
Justiz
Kolumne Internetexplorerin
Digitalisierung
Onlinebanking
IT-Sicherheit
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