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# taz.de -- Klimawandel und Framing: Hurra, wieder ein Hitzerekord!
> Rekorde klingen nach „weiter so!“ Doch Hochwasser, Dürre und Hitze sind
> das genaue Gegenteil davon: das komplette Verfehlen aller Klimaziele.
Bild: Daran ist absolut nichts erstrebenswert: der überflutete Markusplatz in …
Der Rekord, der mich in meinem Leben am meisten beeindruckt hat, wurde vor
45 Jahren am Esstisch meiner Tante Jutta aufgestellt: 12 Würstchen schaffte
mein großer Bruder beim Kindergeburtstag. In Worten: zwölf! Eine
Höchstleistung, die nie mehr zu toppen war, mussten meine Cousins und ich
mit offenem, wenn auch vollem Mund anerkennen.
Wir reden hier von einer Zeit, als Rekorde in waren. Coole Autos hießen
Opel Rekord. Coole Sportler wie Mark Spitz holten im olympischen
Schwimmbecken sieben Goldmedaillen. Coole Kassettenrekorder hatten eine
„Record“-Taste, um Musik aus dem Radio mitzuschneiden. Und dann kam das
„Guinness-Buch der Rekorde“: Ein indischer Fakir [1][mit den längsten
Zehennägeln der Welt], 21 Studenten in einer „Ente“ von Citroen, ein Typ,
der 20 halbe Hähnchen essen konnte und damit sogar noch meinen Bruder
übertraf. Höchstleistungen überall, und ich war begeistert.
Diese Zeiten sind vorbei. Allein in den letzten Wochen habe ich praktisch
jeden Tag über Rekorde geschrieben, bei denen es mir kalt den Rücken
runterläuft: [2][Rekordhitze und Rekordtrockenheit] im deutschen Sommer,
[3][ein neuer Höchststand weltweit bei den CO2-Emissionen], seit drei
Millionen Jahren nie gesehene Spitzenwerte bei Treibhausgasen in der
Atmosphäre. Rekordfeuer am Amazonas. Ungeahnte Brände in Australien.
Auch sonst: Immer neue Spitzenwerte beim Artensterben, beim
[4][Plastikmüll] in den Meeren. Und auch außerhalb der Öko-Blase ist der
Rekord auf den Hund gekommen: Rüstungsausgaben auf Rekordniveau,
Rekordverschuldung in Ländern, die nicht die schwarze Null anbeten,
Rekord-Wahlergebnisse für Populisten. Rekord-Meister Bayern München.
## Rekorde sind zum Angeben da
Und trotzdem nennen wir diesen Quatsch immer noch Rekord. Auch wenn das
Wort eigentlich nur bedeutet, dass wir uns an etwas Besonderes erinnern –
ein Rekord klingt immer noch nach: „Hurra, super, weiter so!“ Rekorde sind
dafür da, um mit ihnen anzugeben oder sie zu brechen. Wir zögern, von einem
Rekord zu sprechen, wenn es um Verkehrstote, Missbrauchsfälle oder
Firmenpleiten geht. Aber bei Ökofragen melden wir Rekorde und bleiben im
Wachstumsmantra des „höher, schneller, weiter“. Auch wenn höherer
Meeresspiegel, schnellere Erwärmung und weitere Flächen, auf denen der
Permafrost taut, uns das Genick brechen. Wir reden positiv über das
Negative.
Damit sollten wir aufhören. Und mit positiven Begriffen nur noch über Dinge
reden, die uns wirklich weiterbringen: Rekorde beim Ökostrom, bei der
Bekämpfung von Malaria, bei der Anzahl von Frauen in Parlamenten. Und wir
sollten anfangen, das Schlechte auch schlechtzureden: Die Klima-„Gipfel“
(wieder so ein positiver Begriff), die eigentlich Gipfel der
Unverschämtheit sind; die Schreckensbilanz beim [5][Boom der SUVs]; das
Desaster bei der Energieverschwendung; die Schwindsucht bei der
Artenvielfalt; die konstante Niederlage bei der Bekämpfung der
CO2-Emissionen.
Das alles sind keine Rekorde, sondern das genaue Gegenteil davon. Etwas,
wofür wir nicht mal ein richtiges Wort haben: das komplette Verfehlen aller
Ziele, das Scheitern. Wenn ein Rekord die Schulnote Eins plus ist, dann
liegen wir mit unserem Murks in Überlebensfragen am anderen Ende: Fünf
minus. Mangelhaft und schlechter. Auch schon wieder eine einmalige
Leistung.
10 Dec 2019
## LINKS
[1] https://www.guinnessworldrecords.com/news/2018/7/owner-of-worlds-longest-na…
[2] /Duerre-und-Ernte-in-Deutschland/!5605202
[3] /Emissionsreport-der-Unep/!5644705
[4] /Kolumne-Gehts-noch/!5599525
[5] /Die-Geschichte-des-SUV/!5623860
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
CO2-Emissionen
Schwerpunkt Klimawandel
Wir retten die Welt
Guiness Buch der Rekorde
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Klimakonferenz COP25
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