# taz.de -- Wiederentdeckte Oper in Hamburg: Was die Wellen uns bringen | |
> Auf der Suche nach Frauen im Opernbetrieb stieß Kerstin Steeb auf die | |
> vergessene britische Komponistin Ethel Smyth und ihre Oper „Strandrecht“. | |
Bild: Minimale Bilder und ein paar Requisiten genügen, um die finstere Saga zu… | |
Hamburg taz | Durch eine zufällige Begegnung im Zug sei sie auf die | |
Komponistin aufmerksam geworden, erzählt [1][Kerstin Steeb] im | |
anschließenden Publikumsgespräch. Auf der Rückfahrt von einem | |
Netzwerktreffen weiblicher Theaterschaffender. Da war ihr Blick erneut | |
geschärft worden für die [2][Unterrepräsentanz von Frauen im Opernbetrieb]. | |
Da hatte Steeb erneut feststellen müssen, wie wenige Frauen als | |
Dirigentinnen, Komponistinnen, Bühnenbildnerinnen im Musiktheaterbetrieb | |
arbeiten. Und wie wenige als Regisseurinnen – wie sie selbst. | |
Nach der Begegnung im Zug, bei der sie zum ersten Mal den Namen der zu | |
Lebzeiten regelmäßig aufgeführten, mittlerweile [3][vergessenen britischen | |
Komponistin Ethel Smyth] (1858–1944) hörte, machte sich Steeb auf die Suche | |
nach einer Oper von ihr. Und fand: „Strandrecht“. Im englischen Original: | |
[4][„The Wreckers“]. | |
1906 in [5][Leipzig] uraufgeführt, gilt diese große romantische Oper bis | |
heute als Smyths wichtigstes Bühnenwerk. Darin verarbeitet die Komponistin | |
den Mythos über ein Küstendorf und seine Bewohner. Von Zeit zu Zeit löschen | |
diese das Licht des Leuchtturms, um sich am Gut der an den Felsen | |
havarierenden Schiffe zu bereichern. Denn, nach dem [6][Strandrecht], das | |
die Besitz- und Rechtsverhältnisse bei Schiffbruch regelte, fiel das | |
Strandgut dem Finder nur dann zu, wenn es keine Überlebenden gab. Dafür | |
sorgten die Finder – wie in Smyths Oper geschildert – mitunter auch selbst. | |
Im Musiktheaterstück aber initiiert eine Frau den Aufstand. Als Warnung für | |
die Schiffe zündet sie am Strand ein Feuer an. Mit ihrer Zivilcourage | |
verstoßen sie und ihr Verbündeter gegen geltendes Recht und die | |
Moralvorstellungen der vorherrschenden Gesellschaft – und bezahlen am Ende | |
mit ihrem Leben. | |
## Ein Feuer am Strand | |
Mit einem durchweg weiblichen Team hat Kerstin Steeb eine Neufassung dieser | |
Oper am Lichthof-Theater (wieder)aufgeführt. Sie hat sie übertragen, | |
gekürzt, um Texte ergänzt und neu besetzt. Die Klavierpartitur, in die | |
Hanne Franzen (musikalische Leitung) die orchestrale Fassung gegossen hat, | |
wird angereichert durch die elektronischen Kompositionen und durch | |
experimentelles Live-Sampling von Dong Zhou. | |
Die vielstimmige Opernbesetzung mit Chor wird von vier Sänger*innen | |
getragen, die Erzählung, mit Texten von Ivana Sokola angereichert, wird | |
entsprechend auf vier Hauptfiguren zusammengestrichen. Das sind: die | |
Rebellin Thirza (Lisa Florentine Schmalz, Sopran) und ihr Mitstreiter Marc | |
(Ferdinand Keller, Tenor) sowie Avis (Isabel Reinhard, Sopran) und Pasko | |
(Mathias Tönges, Bass-Bariton) auf der Gegenseite. Sie alle singen auf | |
hohem Niveau: differenziert, ausdrucksstark und weich. Man wünscht, das | |
Lichthof-Theater wäre tatsächlich ein Opernhaus, das diesem grandiosen | |
Klangerlebnis noch gerechter würde. | |
Über ein Jahr hat das Team allein an der Opernfassung gearbeitet, ein | |
enormer Angang und Arbeitsaufwand, den – neben den Mitwirkenden und | |
Eingeweihten – vermutlich nur Musikwissenschaftler ausreichend wertschätzen | |
können. Ein Angang, der aber auch allen Außenstehenden von der | |
Ernsthaftigkeit dieses Vorhabens erzählt. Und von der Professionalität, die | |
dann auf der Bühne auch zu sehen – und zu hören – ist. | |
Die Ausstattung ist mit einem Wasserbecken, das reflektierend Wellen wirft, | |
einem Gaze-Vorhang, der mal den Raum trennt, mal ein Segel, mal ein | |
Fischernetz simuliert, so markant wie schlicht. Die Sänger*innen treten | |
darin alle in Gummistiefeln auf, mit dicken, dunklen Daunenjacken und | |
winddichten Wollmützen. Klug und minimalistisch erzählt Martina Mahlknecht | |
(Bühne und Kostüme) von der rauen Küste, und wenn es noch rauer wird und | |
stürmt, halten sich die Darsteller*innen einfach mal ein paar Ventilatoren | |
vors Gesicht. | |
Die Bedingungslosigkeit der Protagonistin Thirza ist von Anfang an klar: | |
„Und kommen wir zum Schluss, und atmen wir mal durch, dann kommt die | |
Erkenntnis: Ich würde es wieder tun.“ Ruhig auf einer Tischkante sitzend, | |
spricht Lisa Florentine Schmalz die Sätze. Später, am Ende des Stücks, wenn | |
sie gegen den gottesfürchtigen Pasko gewütet hat „Deine Taten leuchten rot | |
vom Blut“, wenn sie sich abgewendet hat vom gängigen Strandrecht, vom | |
vermeintlichen Recht auf das, „was die Wellen uns bringen“. | |
## Szenen voller Düsternis | |
Dann, wenn sie mit einer Rettungsdecke Feuer gemacht hat, dann wiederholt | |
sie diese Sätze. „Ich tat’s und ich bereue es nicht. Ich würde es wieder | |
tun.“ Barfuß steht sie dann vor dem runden Wasserbassin, tritt ruhig | |
hinein. Mit ihr ihr Mitspieler Ferdinand Keller. Im Wasser rollen sie sich | |
ein wie zu groß geratene Seepferdchen. Sie tauchen unter und ihre Figuren | |
sterben einen reuelosen Märtyrer-Bühnentod. | |
Die meist ruhigen, minimalistischen Szenen werden von den großartigen | |
Stimmen gefüllt, die mal lachend, mal stotternd, meist leidenschaftlich den | |
Ton ergreifen. Glockenläuten, Windgeräusche und donnernde Sounds reichern | |
die Szenen mit Düsternis an. Es ist ein gewaltiger und ergreifender Abend, | |
der von einer finsteren Sage erzählt. Der allerdings, auch wenn es die | |
Regie beabsichtigte, keine aktuellen Bezüge schafft zu zivilem Ungehorsam, | |
zu Widerstand oder Seenotrettung. Der Abend verweilt ganz in seinem | |
eigenen, legitimen Pathos. Die Wiederentdeckung und Neubelebung des Werks | |
und der Komponistin ist Daseinsberechtigung genug. | |
Und das reicht vollkommen aus als künstlerischer Ansatz, als feministischer | |
Appell. „Ich möchte, dass Frauen sich großen und schwierigen Aufgaben | |
zuwenden“, schrieb Ethel Smyth in ihren autobiografischen Aufzeichnungen: | |
„Sie sollen nicht dauernd an der Küste herumlungern, aus Angst davor, in | |
See zu stechen.“ Kerstin Steeb und Team handeln ganz im Sinne Smyths. Mit | |
einer großen und schwierigen Aufgabe sind sie in See gestochen und befinden | |
sich künstlerisch mitten im Ozean. | |
13 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://kerstinsteeb.de/ | |
[2] https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2016/12/Frauen-in-Kultur-und-Me… | |
[3] /!847244/ | |
[4] https://www.archiv-frau-musik.de/archives/the-wreckers-ethel-smyth | |
[5] https://www.openpetition.de/petition/online/die-komponistin-ethel-smyth-in-… | |
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Strandrecht | |
## AUTOREN | |
Katrin Ullmann | |
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