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# taz.de -- Klinische Studien mit Psychedelika: Mit LSD aus der Depression
> Eine psychoaktive Substanz feiert ihr Comeback in der Medizin. Ab 2020
> soll eine große Studie untersuchen, ob Psilocybin bei Depressionen hilft.
Bild: Nicht nur zum trippen, sondern auch zum therapieren?
Depressionen, Angstzustände oder Suchterkrankungen sind nur einige der
möglichen therapeutischen Anwendungsbereiche: In den vergangenen 15 Jahren
haben Studien mit Psychedelika weltweit für Aufsehen gesorgt. Jetzt traut
sich auch Deutschland aus der Deckung und startet im kommenden Jahr die
erste landesweite und weltweit größte Studie mit Psilocybin, dem aktiven
Stoff von „Magic Mushrooms“, zur Behandlung von Depressionen.
Magic Mushrooms zur Heilung von Depressionen? Trippende Patienten, deren
Geist – excuse me! – ins Ungewisse wabert und womöglich nie wieder
zurückkehrt? Bei vielen läuten da die Alarmglocken. Was ist mit Psychosen,
Horrortrips und Hängenbleiben?
Glaubt man einer nicht unumstrittenen Studie des britischen Psychiaters
David Nutt, sind psychoaktive Substanzen wie LSD oder Psilocybin nicht
annähernd so gefährlich wie Alkohol und Zigaretten. Alles nur ein
Missverständnis also, eine schrille Angst vor Substanzen, die in unserem
Kulturkreis bisher keine Bedeutung hatten und uns daher fremd sind?
Sicher ist, dass der verheerende Ruf dieser Drogen vor allem auf den
politisch-kulturellen Ballast der Vergangenheit zurückzuführen ist. Vor
Tausenden von Hippies verkündete [1][Timothy Leary, der geschasste, gut
aussehende Harvard-Professor und charismatisch smarte Acid-Guru], im Golden
Gate Park sein radikales Credo: „Turn on, Tune in, Drop out“.
## Teufelszeug von Hippies und CIA
1967 war das, im blumig groovenden San Francisco – der Höhepunkt der
Hippie-Ära. Gemeint war damit, grob gesagt, LSD zu schlucken und alles
Bürgerliche hinter sich zu lassen: Schule, Uni, Job, den Zwang zu
Konventionen. Und natürlich: dem Vietnamkrieg den Rücken zu kehren. Nur
wenige Jahre nach diesem pathetischen Event adelte US-Präsident Nixon Leary
zum gefährlichsten Mann Amerikas. LSD ist da bereits verboten und in den
Medien als verrückt machendes, das Erbgut schädigende Teufelszeug
verschrien.
Die psychedelische Welle wird durch das Verbot der Droge aber nicht
gebrochen, im Gegenteil, sie zieht im Untergrund weiter ihre Bahnen bis
spät in die 1970er hinein. Wer sich einen Eindruck von der damaligen
LSD-Kultur und dem libertinären Aufbegehren gegen die bürgerliche
Gesellschaft verschaffen will, der bekommt diesen in der Doku „The
Substance“ des Schweizer Filmemachers Martin Witz zu sehen. Selten wurde um
eine chemische Substanz ein solcher Aufruhr gemacht.
Nicht nur Künstler, Hippies und Intellektuelle entdeckten sie für sich, vor
allem auch die Wissenschaft. Von 1950 bis Mitte der 60er wurde [2][LSD in
klinischen Studien] an etwa 40.000 Probanden untersucht, mehr als tausend
wissenschaftliche Papers wurden dazu veröffentlicht; Ende der 50er hatte
LSD seinen festen Platz in der Psychiatrie in Europa und Nordamerika
gefunden. Selbst die CIA entdeckte LSD für sich und versuchte es –
vergeblich – als Wahrheitsserum im Kalten Krieg einzusetzen.
Das Ende der Story ist bekannt. [3][Acid-Enthusiasten wie Ken Kesey], dem
Autor von „Einer flog übers Kuckucksnest“, oder dem Beatnik-Dichter Allen
Ginsberg, die den legalen und später illegalen Konsum von LSD propagierten,
wurde die Schuld für das Aus der „Wunderdroge“ in die Schuhe geschoben. Und
vor allem natürlich: Leary. Denn im Kampf gegen Gegenkultur und Drogen kam
auch die LSD-Forschung zum Erliegen. Was vor Kurzem noch als
hoffnungsvoller Forschungsgegenstand galt, war auf einmal der direkte Weg
ins Karriereende.
## Potential für die Psychiatrie
Und jetzt, vierzig Jahre später, hat sich das Blatt erneut gewendet.
Tomislav Majić leitet eine Studie zu Psychedelika, die gerade an der
Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St.-Hedwig-Krankenhaus in
Berlin läuft. Die LZESH-Studie, bei der keine Substanzen verabreicht
werden, dient unter anderem als Vorbereitung für zukünftige,
substanzbasierte Untersuchungen.
In mehreren Fragebögen soll ermittelt werden, wie sich der häufige Konsum
von psychedelischen Substanzen wie LSD, Psilocybin oder DMT auf die
kognitiven Fähigkeiten und die seelische Gesundheit der Probanden auswirkt.
Die Ergebnisse werden mit einer Kontrollgruppe verglichen. Majić glaubt an
das „große Potenzial“ solcher Substanzen für die Psychiatrie, aber „die…
Potenzial“, betont er, „ist beschränkt auf bestimmte Indikationen“.
Will heißen: Nicht jeder ist für eine Behandlung damit geeignet. Wichtige
wenn auch seltene Komplikationen können dabei psychotische Störungen oder
das noch nicht vollständig erforschte HPPD-Phänomen (Hallucinogen
Persisting Perception Disorder) sein.
Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit stehen derzeit im Zentrum der
psychedelischen Forschung. Majić’ aktuelle Studie soll daher auch klären,
ob beim langfristigen Konsum solcher Substanzen häufiger psychotische
Symptome oder Angstzustände auftreten als bei Menschen, die keine
konsumieren. Studien der vergangenen Jahre deuten darauf hin, dass die
Gefahren viel geringer sind, als es die Medien damals (und auch heute)
dargestellt haben.
## Probanden in Berlin
Psychedelika sind ungiftig, die Gefahren bestehen hauptsächlich im
psychischen Bereich, die Wahrscheinlichkeit, eine Psychose zu bekommen, ist
jedoch gering. Und anders als in den 50er und 60ern, wo manch
Wissenschaftler zum LSD-Enthusiasten mutierte, stehen heutige Forscher
nicht im Verdacht, Psychedelika zu verklären.
Der [4][US-Amerikaner Roland Griffiths] führte 2016 an der
Johns-Hopkins-Universität eine Studie mit Krebspatienten durch, denen er
Psilocybin verabreichte, um ihnen die Angst vor dem Tod zu nehmen. Eine
ähnliche Studie mit Psilocybin gegen behandlungsresistente Depression
unternahm Robin Carhart-Harris am Imperial College in London. Beide Studien
hatten eine erstaunlich hohe Erfolgsquote.
Im kommenden Jahr wird es nun die erste Psilocybin-Depressions-Studie in
Deutschland geben. Mit 144 Probanden wird sie die größte ihrer Art sein.
Tomislav Majić von der Charité wird sie zusammen mit dem Zentralinstitut
für seelische Gesundheit in Mannheim durchführen. Die Mind Foundation in
Berlin ist Kooperationspartner.
Mind versucht universitäre Kooperationsstudien mit Psychedelika zu
initiieren und bildet Ärzte, Psychotherapeuten und die Bevölkerung fort, um
hartnäckigen Vorurteilen gegenüber Psychedelika in der Medizin mit Fakten
gegenüberzutreten – so [5][MIND Gründer Henrik Jungaberle]. Die Skepsis und
Vorurteile gegenüber Psychedelika sind aber nicht nur auf die Vergangenheit
zurückzuführen, sondern hängen auch mit der Art ihrer Wirkung zusammen.
## Rauch mit Sicherheit
Die Wirkungen von Psilocybin und LSD sind sich sehr ähnlich. Ein LSD-Trip
kann bis zu 12 Stunden dauern, die Wirkung von Psilocybin hält ungefähr
halb so lang an. Der Verlauf des Trips ist nicht berechen- und somit auch
nicht kontrollierbar. Starke Angstgefühle und Paranoia können auftreten –
ein Bad Trip. Der kann zwar unter Umständen therapeutisch wirken, aber auch
der Psyche der Patienten schaden.
Für einen positiv verlaufenden Trip im Rahmen einer Therapie braucht es
darum gute Vorbereitung und Betreuung. Überwältigende Gefühle von
allumfassender Verbundenheit mit der Natur, Familie, Schöpfung, mit sich
selbst, können eben jene Effekte erzeugen, die Wissenschaftler beobachtet
haben: nämlich Ängste zu lösen, Zwänge zu brechen und das Selbstwertgefühl
zu stärken.
Wesentlich sind Set und Setting. Mit Set ist die mentale Verfassung der
Probanden gemeint, mit Setting die Umgebung, in der Psychedelika
verabreicht werden. Besonders die Umgebung spielt eine große Rolle. Räume
werden extra eingerichtet und verziert, um sie so gemütlich und vertraulich
wie möglich erscheinen zu lassen. Keine leichte Aufgabe in einem
normalerweise von kühler Sterilität strotzenden Krankenhaus.
Tomislav Majić jedenfalls ist der Ansicht, dass es hierbei noch viel zu tun
gibt, um die therapeutische Anwendung von Psychedelika in Zukunft so sicher
wie möglich zu machen. Die Zukunft dieser Anwendung hängt davon ab, wie
offen Ärzte und Behörden sind, um weitere Studien zu ermöglichen.
Und vom Geld. Pharmariesen wittern wegen der abgelaufenen Patente von
„klassischen“ Psychedelika wie LSD oder Psilocybin kein lohnendes Geschäft.
Bisher sind es zumeist private Financiers, die Studien ermöglichen. Und die
sind teuer. 150 Millionen Euro kostet es, bis ein Psychedelikum wie
Psilocybin als Medikament zugelassen wird. Na dann, gute Reise.
13 Dec 2019
## LINKS
[1] /Telefonica-und-Kundendaten/!5342638
[2] /US-Autor-ueber-Halluzinogene-als-Medizin/!5568647
[3] /Tom-Wolfes-LSD-Welt/!5163481
[4] /Kleine-Geschichte-der-Magic-Mushrooms/!5356272
[5] /Drogen-in-der-Psychotherapie/!5568197
## AUTOREN
Boris Messing
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