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# taz.de -- US-Autor über Halluzinogene als Medizin: „Psychedelika wirken wi…
> Können LSD und Psilocybin künftig Antidepressiva ersetzen? Ja, glaubt
> Buchautor Michael Pollan. Ein Gespräch über Horrortrips und
> Spiritualität.
Bild: Psychedelika wie LSD bringen Chaos ins Denken
taz am wochenende: Herr Pollan, für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass
psychedelische Substanzen wie LSD oder Psilocybin demnächst [1][als
Medikamente für die Psychotherapie freigegeben werden]?
Michael Pollan: Für sehr viel wahrscheinlicher als noch vor ein paar
Jahren. Die US-Gesundheitsbehörden haben einer dritten finalen Testphase
von klinischen Studien zugestimmt. Wenn diese erfolgreich sind und zu
ähnlich positiven Resultaten kommen wie die ersten beiden, dann gehe ich
davon aus, dass sowohl die Europäische Arzneimittel-Agentur als auch die
US-amerikanische Food and Drug Administration innerhalb von fünf Jahren die
Zulassung erteilen könnte.
Warum der Sinneswandel?
Weil alle Beteiligten wissen, dass die Medikamente, die uns im Moment zur
Behandlung von psychischen Erkrankungen zur Verfügung stehen, nicht
besonders gut sind. Gleichzeitig hat etwa die WHO erst kürzlich bekannt
gegeben, dass Depressionen weltweit der häufigste Grund für
Arbeitsunfähigkeit sind. Ich würde sagen, die Gesundheitsbehörden sind
schlicht verzweifelt auf der Suche nach neuen Lösungsansätzen.
Psychedelika sollen aber nicht nur bei Depressionen, sondern auch bei
Angstzuständen, Suchterkrankungen und obsessivem Verhalten helfen. Das sind
ziemlich unterschiedliche Diagnosen. Warum sollte eine Substanz für alle
wirken?
Diese Frage habe ich mir während meiner Recherchen auch gestellt. Aber
diese Krankheiten haben bei genauer Betrachtung ziemlich viel gemein.
Menschen, die unter ihnen leiden, stecken [2][in negativen
Gedankenschleifen fest].
Und da setzten Psychedelika an?
Genau. Vereinfacht gesagt, bringen sie Entropie – also Chaos – in unser
Denken und ermöglichen es uns so, aus gewohnten Gedankenmustern
auszubrechen. Ein Wissenschaftler, den ich in meinem Buch zitiere, erklärt
es so: Stellen Sie sich Ihren Geist als schneebedeckten Hügel vor. Ihre
Gedanken sind wie ein Schlitten, mit dem Sie den Hügel hinunterfahren. Je
häufiger Sie dieselbe Route nehmen, desto tiefer wird die Spur, die der
Schlitten hinterlässt. Irgendwann ist die Bahn so tief und festgefahren,
dass es Ihnen nicht mehr sinnvoll erscheint, eine andere Route zu nehmen.
Psychedelische Substanzen wirken wie Neuschnee, der all die tiefen Furchen
auffüllt, so dass Sie wieder frei in der Wahl der Route sind.
Gibt es denn auch Erkenntnisse, von denen Patienten immer wieder berichten?
Ja. Zum Beispiel, dass Liebe das Allerwichtigste ist. Das klingt banal.
Aber im Grunde ist das eine fundamentale Erkenntnis. Die meisten
Erkenntnisse, die man auf LSD oder Psilocybin hat, liegen auf dieser
Schwelle zwischen banal und fundamental. Viele Menschen haben sie schon
gedacht und gesagt, irgendwann drucken wir sie dann auf Grußkarten,
verlieren das Interesse und lassen diese Wahrheiten nicht mehr an uns
heran. Für mich ganz persönlich haben Psychedelika mein Verständnis von
Spiritualität verändert.
Inwiefern?
Ich habe die Recherche zu meinem Buch als jemand begonnen, der sich selbst
nicht für einen spirituellen Menschen hält. Ich dachte immer, dass
Spiritualität etwas mit dem Glauben an das Übernatürliche zu tun hat.
Dieser Gedanke war mir unangenehm. Nachdem ich nun selbst psychedelische
Erfahrungen gesammelt habe, habe ich verstanden, dass es bei einer
spirituellen Erfahrung um etwas ganz anderes geht – nämlich um Verbindung.
Es geht darum, was entsteht, wenn wir unsere Schutzmechanismen deaktivieren
und unser Ego beiseitelegen.
Aber zeigt das nicht deutlich, wie unwissenschaftlich das alles ist?
Nein. Es ist zwar möglich, dass es bei LSD und Psilocybin einen
Placeboeffekt gibt, aber die Drogen erzielen eben auch positive Ergebnisse.
Weitaus bessere Ergebnisse als alle Mittel, die uns bisher zur Verfügung
stehen – und die können in dieser Intensität nicht gänzlich eingebildet
sein. Vielleicht müssen wir uns aber tatsächlich mit dem Gedanken
anfreunden, dass es sich hier eher um Schamanismus handelt als um Medizin.
Um Schamanismus?
Die ganze Idee von Set und Setting spielt bei Trips eine entscheidende
Rolle. Zwar findet das alles in einem Krankenhaus statt, aber der Raum
sieht nicht aus wie ein Krankenzimmer. Er ist gemütlich: warmes Licht,
keine Neonbeleuchtung. Man setzt zuvor eine Intention und überreicht die
Pille. Wenn Sie mich fragen, ist das eine schamanistische Technik mit dem
Ziel, die Umgebung und die Erwartungen des Patienten positiv zu
beeinflussen.
Haben Ärzte dieses Ziel im besten Fall nicht immer?
Ja, aber sie sprechen nicht gerne darüber. Jede Kultur hat ihren
Schamanismus, bei uns waren das bisher eben der weiße Kittel und das
Stethoskop. In den USA wird dieser Kittel in einer großen Zeremonie
überreicht, das ist ein bisschen wie bei Harry Potter – plötzlich
verwandeln sich alle in Ärzte.
Wie oft haben Sie für das Buch eigentlich selbst psychedelische Substanzen
getestet?
Mehrfach in unterschiedlichen Settings. Aber ich war ganz schön nervös.
Warum?
Ich bin in den sechziger Jahren aufgewachsen. Ich kannte alle Horrorstorys,
die man sich erzählt. Von Leuten, die verrückt wurden und in die Anstalt
kamen. Von Leuten, die glaubten, sie könnten fliegen, und vom Dach
sprangen, oder die zu lange in die Sonne starrten und blind wurden.
Was hat Sie dazu bewogen, es trotzdem zu probieren?
Ab einem bestimmten Punkt wollte ich einfach wissen, über was alle reden.
Außerdem habe ich mir die Risiken genau angesehen und sie sind gering.
Anders übrigens als bei vielen Medikamenten, die wir sonst zu Hause
rumstehen haben. Versuchstiere rühren die Droge kein zweites Mal an.
Offenbar mögen sie keine Trips. Ich kann mir vorstellen, warum. Sie wissen
nicht, wie sie interpretieren sollen, was ihnen widerfahren ist. Das
gelingt uns ja selbst kaum. Ich denke, das größte Risiko ist, dass man
irgendwas Dummes anstellt, während man auf LSD ist. Man ist außer Gefecht
gesetzt. Die Urteilskraft ist eingeschränkt. Genauso wie bei
sturzbetrunkenen Menschen steigt auch hier das Unfallrisiko.
Auf einem Festival oder in einem Club LSD zu nehmen ist also eher eine
blöde Idee?
Naja, nehmen Sie halt nicht zu viel. Wissen Sie, ich will mir nicht
anmaßen, darüber zu urteilen, wie Menschen diese Drogen konsumieren, denn
es gibt auch einige, die sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Ich
persönlich würde es nicht tun und in meinen Ohren klingt das
verantwortungslos, weil man sich in einem ziemlich verwundbaren Zustand
befindet, in dem einem alles Mögliche zustoßen kann.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es erneut zu einem
drogenkritischen Backlash kommt und die Forschung wieder verboten wird?
Wer weiß. Möglich ist alles. Ich glaube, heute erscheinen die Drogen nicht
mehr ganz so bedrohlich für das zu sein, was wir Establishment nennen. In
den Sechzigerjahren sah die US-Regierung in LSD eine Riesengefahr für den
gesellschaftlichen Zusammenhalt. Timothy Leary hatte damals gesagt: Kids,
die LSD nehmen, werden nicht mehr in euren Kriegen kämpfen und sie werden
nicht in euren Firmen arbeiten. Und er hatte recht. Das war keine leere
Drohung. Präsident Nixon war davon überzeugt, dass LSD der Grund war, warum
junge Männer den Kriegsdienst in Vietnam verweigerten. Das hatte es so
zuvor noch nie gegeben.
Was ist heute anders?
Damals ging es um eine Erfahrung, die ausschließlich junge Menschen machten
und die sehr schnell von der linken Gegenkultur vereinnahmt wurde. Es
entstand ein Generationenkonflikt. Für Erwachsene war LSD damals in erster
Linie destabilisierend und furchteinflößend. Heute kennen Erwachsene LSD
und haben bisweilen selbst damit experimentiert. Zum Teil auch diejenigen,
die in den Gesundheitsbehörden tätig sind. Wir leben heute in einer ganz
anderen Welt.
10 Feb 2019
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## AUTOREN
Marlene Halser
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Kapitalismus
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
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