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# taz.de -- Kritik an argentinischer Feministin: Morales und der Machismo
> Die Feministin Rita Segato hat den gestürzten bolivianischen Präsidenten
> Evo Morales kritisiert. Dafür wird sie vielerorts zur Rassistin erklärt.
Bild: Hat geprahlt, mit seiner „15-jährigen Geliebten“ in Rente gehen zu w…
[1][Rita Segato] war vorsichtig. Es falle ihr nicht leicht, diese
Stellungnahme über die fürchterliche Situation in Bolivien zu
veröffentlichen, erklärte die argentinische Feministin und Anthropologin in
einem Beitrag, den jüngst ein bolivianisches Radio veröffentlichte. Segato
lebt nicht in dem Andenstaat. Folglich betrachtet sie die Lage von einem
anderen Standort aus als indigene Feministinnen, die unter der
rassistischen, klerikalen Herrschaft der alten Eliten Boliviens leiden. Sie
nahm es deshalb vorweg: „Ich befürchte, dass man mich nicht für berechtigt
hält, euch das zu sagen.“
Dennoch äußerte sich Segato eindeutig. Sie warf [2][dem bisherigen –
indigenen – Präsidenten Evo Morales] vor, selbst schuld daran zu sein, dass
er im November gestürzt wurde und ins Exil flüchten musste: „Für mich war
er nicht Opfer eines Staatsstreichs, sondern seines allgemeinen
Misskredits.“
Sie verglich zum Beispiel Morales’ Gleichgültigkeit angesichts eines
Waldbrands mit der des rechtsextremen brasilianischen Präsidenten Jair
Bolsonaro. Und sie kritisierte Evos Ingnoranz in Hinblick auf ein
Referendum, bei dem die Mehrheit seine erneute Kandidatur zur
Präsidentschaft abgelehnt hatte. Sie diskreditierte Morales als Macho,
indem sie seine eigenen Worte zitierte: „Wenn ich in Rente gehe, dann mit
meinem Charango (Zupfinstrument), meinen Kokablättern und meiner
15-jährigen Geliebten.“
Die Vorsicht hatte ihr nichts genutzt. Auf Twitter hagelte es aufgeregte
Kommentare, und indigene Bolivianerinnen erhoben schwere Vorwürfe. Mit
ihrem „intellektuellen Geschwurbel“ verschleiere sie, dass ein Putsch
stattgefunden habe, kommentierte eine Gruppe, die sich als „Warmis, Zomo,
Frauen aus dem Süden, Frauen aus den Gebieten unserer Vorfahren“ zu
erkennen gab.
## Der bittere Geschmack kolonialer Eroberung
Sie hoben die Fortschritte hervor, die Morales indigenen Frauen gebracht
habe, und fanden es übertrieben, den Ex-Präsidenten als „Oberpatriarchen“
darzustellen. Der weißen Feministin sprechen sie zwar nicht explizit ab,
über die Situation in Bolivien urteilen zu dürfen, lassen aber in ihrer
Einordnung keine Zweifel. Im Gegensatz zu ihr hätten sie den bitteren
Geschmack kolonialer Eroberung erlebt, betonen sie. Sie seien besorgt
darüber, dass Segatos Argumentation eine „schöne Tarnung, einen Euphemismus
für den rassistischen Diskurs jener bietet, die ihr zuhören“.
Die Formulierung will den Vorwurf kaum vertuschen: Wer wie Segato
„bipolares Denken“ infrage stellt, eigene Fehler benennt und nicht nur
imperialistische Mächte für das Scheitern einer linken Regierung
verantwortlich macht, wird zum Rassisten erklärt. Zumindest wenn sie oder
er nicht indigen ist und nicht unter den Folgen kolonialer Regime in
biologisch vorgestellter Kontinuität zu leiden hatte. Konsequent
weitergedacht, macht das jede kritische Debatte zwischen Indigenen und
Nichtindigenen unmöglich.
Die Diskussion ist nicht neu und könnte mit anderem Hintergrund auch in
einer Berliner Kneipe stattfinden. Erschreckend jedoch ist, wie hier
identitätspolitische Ansätze auf plumpe antiimperialistische Thesen
treffen. Anstatt Morales’ autokratisches Vorgehen als Teil des Problems zu
erfassen, wird einzig der „weiße Klassenfeind“ für das Scheitern
verantwortlich gemacht.
## Unterstützung für Segato
Dabei steht außer Frage, wie der Publizist Raúl Zibechi analysierte, dass
die Ultarechten vom vorhergehenden Aufstand bolivianischer sozialer
Bewegungen profitierten. „Wenn uns lateinamerikanischen Linken noch Ethik
und Würde geblieben ist, müssen wir über die Macht und über deren
Missbrauch nachdenken“, schreibt der Uruguayer.
Auch in Bolivien selbst steht Segato mit ihrer Kritik nicht allein da.
„Indigenas, Huren, Lesben, Verrückte, Mestizinnen, Fräuleins und
Anti-Fräuleins“ aus zahlreichen Organisationen widersprechen den „Frauen
aus dem Süden“: „Heute ist es so wichtig wie nie zuvor, zu analysieren, zu
diskutieren und die einzelnen Stücke des Puzzles zusammenzusetzen.“
10 Dec 2019
## LINKS
[1] /Feministischer-Protest-aus-Chile/!5644620
[2] /Evo-Morales/!t5014629
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
Kolumne Latin Affairs
Bolivien
Evo Morales
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