Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Verhandlungen beim Ukraine-Gipfel: Den Euromaidan verteidigen
> In Paris wird im sogenannten Normandie-Format über einen Waffenstillstand
> im Osten der Ukraine verhandelt. Den Schlüssel dazu hat Wladimir Putin.
Bild: Ein ukrainischer Soldat in der Region Donezk
Kaum jemand im Zentrum Europas redet noch über den Krieg in der Ukraine.
Allenfalls denken sie, dass „da irgendwo weit weg“ alles „eingefroren“ …
Doch die Ukraine ist nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt. [1][Dort
sterben praktisch jeden Tag Menschen an der Front] – Militärangehörige und
Zivilisten.
Vor wenigen Tagen verbrannte eine alte Frau bei lebendigem Leib in ihrem
Haus. Großmutter Mascha hatte in diesem Krieg ihren Mann und ihren Sohn
verloren. Seit dem Sommer 2014 gibt es in diesem Dorf weder Wasser und
Strom noch eine Bürgermeisterei. Die Getöteten werden einfach in den Gärten
beerdigt. Für Großmutter Mascha sollte es der fünfte Winter in Zeiten von
Krieg und Einsamkeit werden. Doch an jenem Abend schlief sie ein und wachte
nicht mehr auf. Eine Gaslampe war in Brand geraten. Der Name von Großmutter
Mascha wird nie in einer offiziellen Statistik der Opfer dieses Krieges
auftauchen, aber genau dieser Krieg ist es, der sie getötet hat.
Und dennoch: Es scheint eine Chance zu geben, dieses Grauen endlich zu
beenden. [2][Ein Treffen von Angela Merkel, Emmanuel Macron, Wladimir Putin
und Wolodymyr Selenski] hat am Montag in Paris stattgefunden und damit drei
Jahre nach den letzten Verhandlungen im Rahmen des „Normandie-Formats“.
## Putin in der Position der Stärke
Russlands Präsident Wladimir Putin agiert wie immer aus einer Position der
Stärke heraus und versteht daher nur eine harte Rhetorik. Der neue
ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski hingegen bedient sich noch der
Sprache der Diplomatie. Um Russland an den Verhandlungstisch zu bringen,
hat Selenski Schritte gemacht, die in der Ukraine nicht gerade populär
sind.
Er hat die Truppen im Donbass mehrere Kilometer hinter die
Waffenstillstandslinie zurückgezogen, was seine politischen Gegner, wie Ex-
Staatschef Petro Poroschenko, als ersten Schritt zu einer Kapitulation im
Krieg mit Russland bezeichnen. Dann bestätigte Selenskis Mannschaft die
„Steinmeier-Formel“. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier,
2015 noch Außenminister, hatte diesen Kompromiss zur Lösung der Situation
im Donbass vorgeschlagen.
Die „Steinmeier-Formel“ sieht vor, dass ein Gesetz über die
De-facto-Autonomie der von Separatisten kontrollierten Gebieten um Donezk
und Lugansk erst in Kraft tritt, wenn Lokalwahlen auf der Grundlage
ukrainischer Gesetze durchgeführt worden sind. Diese Wahlen müssen von
unabhängigen Beobachtern der OSZE anerkannt werden.
Kiew und Moskau interpretieren diesen Aktionsplan ganz unterschiedlich.
Vor allem herrscht Uneinigkeit darüber, wann die Ukraine die Kontrolle
über die Grenze zwischen den besetzten Gebieten im Donbass und der
Russischen Föderation wiedererlangt – vor oder nach den Wahlen.
Putin beharrt darauf, dass diese Treffen und Verhandlungen vor allem für
die anderen Staaten wichtig sind, nicht jedoch für Russland. Die Ukraine
brauche eine Friedenslösung, Europa eine Normalisierung der
Wirtschaftsbeziehungen.
## Was ist mit Macron passiert?
Frankreichs Präsident hat erklärt, dass die Ukraine alle notwendigen
Bedingungen für den Gipfel erfüllt hat. Ist etwa die Ukraine der Aggressor,
ist es an ihr, alle Bedingungen zu erfüllen?
Was ist mit Präsident Macron passiert? Anfangs ließ er noch Vertreter
russischer propagandistischer Fernsehsender aus seinen Pressekonferenzen
entfernen. Jetzt redet er offen über die Notwendigkeit der
Wiederherstellung der strategischen Partnerschaft mit Russland, über den
„Glauben an Europa von Lissabon bis Wladiwostok“ sowie den Hirntod der
Nato. In der Ukraine begreifen die Menschen, dass die Unterstützung
Frankreichs wie Schnee in der Sonne schmilzt.
Immer mehr Experten sind der Meinung, dass die Gespräche im Format „drei
plus eins“ stattfinden werden. [3][Ein diplomatisch völlig unerfahrener
Wolodymyr Selenski] wird sich drei TeilnehmerInnen gegenübersehen, die als
Moderatoren auftreten. Wo wird für die europäischen Führer die rote Linie
sein, die Wladimir Putin nicht überschreiten darf, wenn es um seine
Interessen in der Ukraine geht? Europa stellt sich für viele UkrainerInnen
so dar: Eine Hand verteilt Unterstützung in Milliardenhöhe zur Entwicklung
der Zivilgesellschaft und europäischer Werte, während die andere jemandem
die Hand schüttelt, der das alles zerstört.
## Internationaler Gerichtshof
Auch der Gefangenenaustausch „35 gegen 35“ vom September dieses Jahres war
kein Akt guten Willens der Russen. 23 Seeleute und drei ukrainische
Kriegsschiffe, die Russland im vergangenen Jahr in der Meerenge von Kertsch
gekapert hatte, hätten laut einer Entscheidung des Internationalen
Gerichtshofes in Den Haag sowieso zurückgegeben werden müssen. Zunächst
überstellte Russland die Personen, zwei Monate später die Schiffe.
Im Rahmen dieses Gefangenenaustauschs kamen auch sehr bekannte ukrainische
politische Häftlinge frei – wie der Regisseur Oleg Sentzow. Bei seinem
Auftritt im EU-Parlament, wo er den Sacharow-Preis erhielt, sagte er:
„Russland und Putin wollen keinen Frieden im Donbass, sie wollen keinen
Frieden für die Ukraine, sie wollen die Ukraine in die Knie zwingen.“
Für Russland in Gestalt von Wladimir Putin wird es Zeit, Verantwortung für
sein Tun zu übernehmen. Nur die Regierenden der führenden Staaten der Welt
können das erreichen. Sie dürfen nicht nachgeben, sondern müssen ihre Werte
verteidigen – vor allem jene, für die UkrainerInnen während des Euromaidans
mit einer EU-Flagge auf den Schultern gestorben sind. Es gibt nur einen
Weg, um die Sanktionen gegen Russland aufzuheben: die Gründe zu beseitigen,
derentwegen sie verhängt wurden.
Putin die Hand zu reichen bedeutet, die Augen vor 13.000 Toten zu
verschließen, 298 Opfer des Abschusses der Boing auf Flug MH17 zu
vergessen, über Dutzende festgenommene Tataren auf der Krim zu schweigen.
Und gegenüber dem Schicksal von Großmutter Mascha gleichgültig zu sein.
(Aus dem Russischen von Barbara Oertel)
9 Dec 2019
## LINKS
[1] /Binnenfluechtlingen-aus-der-Ostukraine/!5644365
[2] /Normandie-Gipfeltreffen-zur-Ukraine/!5644357
[3] /Die-Ukraine-nach-Selenskis-Wahlsieg/!5638760
## AUTOREN
Anastasija Rodion
## TAGS
taz на русском языке
Donbass
Wladimir Putin
Friedensverhandlungen
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Wolodymyr Selenskij
Lesestück Meinung und Analyse
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Ostukraine
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Ukraine
Wolodymyr Selenskij
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
## ARTIKEL ZUM THEMA
Frankreichs Präsident in Polen: Hohe Erwartungen
Emmanuel Macron reist zu seinem ersten Besuch nach Polen. Seine Agenda an
Themen für die zweitägigen Gespräche ist gigantisch.
Nach dem Ukraine-Gipfel in Paris: Vielen gefällt Selenskis Stil
Nach dem Gipfel in Paris kann Präsident Wolodimir Selenski erhobenen
Hauptes zurück nach Kiew reisen. Dort wird das Treffen positiv bewertet.
Nach dem Normandie-Gipfel in Paris: Mehr als nichts
Hoffnung für die Menschen in der Ostukraine: Der Normandie-Gipfel in Paris
war nicht ergebnislos. Auch dank Selenskis souveränem Auftreten.
„Normandie“-Gipfeltreffen zur Ukraine: Ein wenig präsenter Krieg
Die Erwartungen an das Gipfeltreffen zum Ukraine-Konflikt sollten weder zu
hoch noch zu niedrig sein. Schon Erleichterungen im Alltag wären wichtig.
Binnenflüchtlingen aus der Ostukraine: Hoffen auf Frieden
Am Montag wird beim Russland-Ukraine-Gipfel über die Ostukraine verhandelt.
Der Krieg hat viele Menschen in die Flucht gezwungen, auch nach Rogosiv.
Die Ukraine nach Selenskis Wahlsieg: Sprachlos in Kiew
Die Ukraine wird von einem Serienhelden regiert, der mehr von russischen
Comedians versteht als vom eigenen Land. Ein intellektuelles Desaster.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.