# taz.de -- Klimaproteste und Popkultur: Wer braucht hier wen? | |
> Früher lieferte die Popkultur verlässlich Impulse für Protestbewegungen. | |
> Heute schmückt sich der Pop eher mit den Klimaaktivist:innen. | |
Bild: Der Pop schmiegt sich bei Greta an: Matty Healy von der Band The 1975 mit… | |
Berlin taz | Die Gruppe Coldplay hat ein neues Album, mag es aber nicht | |
aufführen – zum Wohle der Allgemeinheit. Vor wenigen Tagen erklärte die | |
englische Band, sie wolle das Touren unterlassen, bis sie herausgefunden | |
habe, wie man so klimaneutral wie möglich durch die Arenen ziehen könne. | |
Man träume von einer Show ohne Einwegplastik und betrieben mit Strom aus | |
Solarenergie, erklärte Sänger Chris Martin. | |
Sich als notorische Stadiongruppe aus Klimaschutzgründen selbst zu | |
sabotieren ist natürlich nobel – und bewahre die Welt vor den aufgeblasenen | |
Befindlichkeitsliedern der Band, ergänzten gleich hämisch die Hater. | |
Gesungen wird auf „Everyday Life“, dem neuen Album der Band, dann aber | |
hauptsächlich über syrische Waisen und Waffengewalt. Eine klimabewegte | |
Hymnenband scheut sich davor, der jungen Klimabewegung eine Hymne zu | |
schenken. Allein sind Coldplay damit nicht: Den Schlüsselsong für die | |
protestierende „Generation Z“ lieferte noch keine Band. | |
Dabei treibt das Thema Umweltschutz die Popkultur seit der Ära des Folks | |
und der Hippies um, seit Joni Mitchells „Big Yellow Taxi“ und [1][Bob | |
Dylans „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“.] Der unermüdliche Neil Young, ein | |
Protagonist dieser Zeit, tourt noch immer mit Klimaschutzappellen im | |
Gepäck um die Welt, „The Monsanto Years“ hieß sein Album von 2015. | |
Aber weniger kämpferisch veranlagten Kollegen ging es beim Thema Natur eben | |
auch oft um die Einheit mit Mutter Erde, die Romantisierung und | |
Privatisierung des Naturschutzgedankens. | |
## „Politische Songs“: Schwierige Sache | |
Jüngere Bewegungen wie Fridays for Future oder die (vereinzelt bedenklich | |
gen Querfront ausscherenden) Aktivisten von Extinction Rebellion hingegen | |
wollen von innerer Emigration nichts wissen. Sie fordern die Politik heraus | |
– und damit auch den Pop, denn die Disziplin „Politische Songs“ ist | |
bekanntlich eine der kompliziertesten überhaupt. | |
Klare Forderungen in Popmusik zu überführen, dieses ultrasimple, | |
ultrakomplizierte Geflecht aus Affirmations- und Abgrenzungsprozessen, kann | |
zu schlimmen Rührstücken führen. Oder wahnsinnig kraftvoll sein, wie die | |
Dauerkonjunktur von Slogans wie [2][„Keine Macht für niemand“] beweist. | |
Wo aber Pop sonst als Stichwortgeber für Protestbewegungen dienen konnte, | |
läuft die Sache heute umgekehrt: Pop bedient sich bei der Bewegung – denn | |
die Slogans produziert deren Star höchstselbst. | |
## Greta Superstar | |
Greta Thunbergs „How dare you“, die wütende Anklage in ihrer Rede vor den | |
Vereinten Nationen, ist schon jetzt ein ikonischer Ausspruch. Und wurde | |
dankbar aufgegriffen: Kurz nach dem UN-Klimagipfel kursierte eine | |
Death-Metal-Version der Rede im Netz. Fatboy Slim, DJ und Big-Beat-Pionier | |
aus England, remixte vor einigen Wochen seinen Hit „Right Here, Right Now“ | |
aus dem Jahr 1999 mit einem naheliegenden Sample („Right here, right now is | |
where we draw the line“) aus der UN-Ansprache. Und die isländische Sängerin | |
Björk lässt Thunberg auf ihrer aktuellen Tour “Cornucopia“ mittels | |
Videobotschaft zum Publikum sprechen: ein unmissverständliches Statement in | |
einer Show, die sonst Verfremdung und Verkünstelung verspricht, ein fetter, | |
klarer Punkt in all dem Überfluss an Zeichen. | |
Sprichwörtlich ins Haus holte sich Thunberg die englische Band The 1975. | |
Ein Foto, auf dem deren Sänger Matty Healy in vertrauter Pose mit Thunberg | |
(im „Antifascist Allstars“-Shirt!) bei einem Treffen in Stockholm posierte, | |
ploppte vor wenigen Monaten im Internet auf. | |
Kurz darauf veröffentlichte die Band ihren Song „The 1975“ als Vorbote zu | |
ihrem bald erscheinenden Album „Notes on a Conditional Form“ – mit Thunbe… | |
als Feature-Gast. Über sachte Ambientsounds hält die 16-Jährige eine | |
Ansprache, in der sie das Versagen der älteren Generationen anprangert und, | |
natürlich, zur Rebellion aufruft. Kein Gesang, keine Brechung, sondern | |
Aneignung frei von Ironie und Verfremdungsabsichten. | |
[3][„Der Pop rennt der Popularität hinterher, als Gimmick“], schreibt der | |
Autor Steffen Greiner in einem Essay für das Onlinemagazin kaput zur Frage, | |
warum sich Pop und Klimabewegung so wenig zu sagen haben. Wohlmeinender | |
könnte man auch formulieren: Pop stellt sich ganz in den Dienst der guten | |
Sache. | |
Matty Healy räumt mit seinem Song „The 1975“ bereitwillig die Bühne, reic… | |
lieber Thunberg und ihren Mitstreitern das Mikro, als sich selbst seinen | |
künstlerischen Reim auf die Klimabewegung zu machen. Vielleicht weil er | |
weiß, dass im Pop längst eine Art postheroisches Zeitalter angebrochen ist, | |
dass niemand mehr auf den Heilsbringer mit Gitarre wartet – erst recht | |
nicht in Thunbergs Generation. | |
## Etwas weniger Graubrot? | |
Vielleicht aus Angst vorm Selbstwiderspruch, denn schließlich verträgt sich | |
die Verzichtsethik, ein zentraler Bestandteil der Rhetorik der aktuellen | |
Klimabewegung, schlecht mit dem Performancecharakter von Pop. Wer larger | |
than life sein will, kann schlecht zur Mäßigung aufrufen – und überlässt | |
das Mahnen lieber denen, die es glaubhaft tun können. | |
Den Verzicht auf künstlerische Überhöhung mag man angemessen bescheiden | |
oder unbeholfen finden. Oder als Indiz dafür deuten, dass den jungen | |
Klimaaktivisten, die in ihrem unerbittlichen Protest teils sehr pragmatisch | |
und realpolitisch denken, bislang der Ums-Ganze-Gedanke fehlt, die ganz | |
große Utopie, die sich eleganter in Kunst übersetzen ließe als graubrotige | |
Appelle an die Parlamente. | |
Dankbar sein sollte man zum Beispiel Coldplay trotzdem. Auch wenn unklar | |
bleibt, wohin ihre Bekundung der Absicht, auf die Tour zu verzichten, | |
führen soll, wenn man sie zu Ende denkt (vielleicht ins „widerspruchsfreie | |
Leben“ oder ins Nichts?), ist ihnen eines mit der Aktion ganz sicher | |
geglückt: selbst die größten Zyniker davon zu überzeugen, dass Mäßigung a… | |
Klimaschutzgründen ihr Gutes haben kann. | |
1 Dec 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Bob-Dylan-spielte-in-Berlin/!5583139 | |
[2] /Ehrung-fuer-Rio-Reiser/!5641191 | |
[3] https://kaput-mag.com/stories-de/its-the-end-of-the-world-as-we-know-it-vom… | |
## AUTOREN | |
Julia Lorenz | |
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