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# taz.de -- Fotoausstellung über die Wendezeit: Von D-Mark und Reichskriegsfla…
> Die Hamburger Freelens-Galerie zeigt Dokumentarfotos der Fotografin und
> einstigen taz-Bildredakteurin Ann-Christine Jansson aus den Wendejahren.
Bild: Da war noch alles beim Alten: Paar beim Picknick am deutsch-deutschen Gre…
Hamburg taz | Mit welchem Bild anfangen? Wo innehalten und sich von den
eigenen Erinnerungen beeindrucken lassen? Vielleicht mit dem Bild, in dem
Wolf Biermann 1990 noch jung und rank und schlank in irgendeiner Tür des
einstigen Stasi-Archivs in der Berliner Normannenstraße steht? Sieh an: Er
hält eine Klobürste wie eine Trophäe in der Hand.
„Umbrüche“ heißt die Ausstellung von Ann-Christine Jansson in der
Freelens-Galerie in der Hamburger Neustadt. Hauptschauplatz ist allerdings,
das liegt quasi in der Natur der Sache, das Berlin der 1980er- und
1990er-Jahre. Erst West-, dann Ostberlin, bevor es aus Westdeutschland
Richtung Berlin auf die Transitstrecke ging. Womit es vorbei war, als die
Mauer fiel und Jansson eine Kette aus Volkspolizisten fotografierte, die
ein letztes Mal beim Brandenburger Tor aufmarschiert.
1980 kam Ann-Christine Jansson aus der schwedischen Provinz über Stockholm
nach Westberlin. Sie schaute sich um, arbeitete zunächst für skandinavische
Medien, bald parallel auch für bundesdeutsche Zeitungen und Magazine, war
auch als Bildredakteurin für die taz tätig. Ihr Kapital ist neben dem
fotografischen Können ihr Blick der Zugezogenen, für die erst einmal wenig
selbstverständlich ist.
Und so schaute sie auf ihre Weise durch die Kamera auf die
Straßenschlachten in Kreuzberg und am Nollendorfplatz. Sie zeigte die
Blumen auf dem Asphalt der Potsdamer Straße, wo der Hausbesetzer Jürgen
Rattay im September 1981 auf der Flucht vor der Polizei von einem BVG-Bus
erfasst worden war. Sie zeigte Hausbesetzer, die versuchen, sich häuslich
einzurichten, mit Sekt in der Badewanne. Sie zeigte das Politische und das
Private.
## Blixa Bargeld am Tresen
„Einmal bekam ich den Auftrag, das Berliner Nachtleben zu fotografieren,
denn in Schweden war Berlin schon damals ein Mythos“, erzählt sie. Und sie
zog los durch die Klubs, Bars und Kneipen. „An einem der Tresen saß ein
junger Mann mit einer wilden Frisur, ich dachte: Okay, der sieht fotogen
aus, den frage ich mal.“ Er ließ sich fotografieren, sie tauschten
Telefonnummern aus. Dann zog sie weiter.
Als sie am nächsten Tag KollegInnen eines der Bilder zeigte, schickten die
sie sofort los, den Mann zu interviewen: Und Blixa Bargeld, Sänger der
Einstürzenden Neubauten, revanchierte sich mit einer frischgepressten
Langspielplatte, handschriftlich verziert – sie hat sie noch.
Doch bald schon verließ Jansson die Westberliner Komfortzone, schaute
genauso aufmerksam ostwärts, in das andere Berlin: „Ich habe gemerkt, da
ist irgendwas, da brodelt es. Und dann bin ich rübergefahren“, erzählt sie.
Ihr Vorteil: Sie ist schwedische Staatsbürgerin, so konnte sie den
Grenzübergang Checkpoint Charlie nehmen, den Ausländer und Diplomaten
benutzen und wo die Kontrollen nicht ganz so rigide sind wie am
innerdeutschen Übergang Friedrichstraße. Mal reiste sie als Besucherin ein,
mal war sie amtlich akkreditiert. „Es gab damals ja noch keine Computer,
wie wir sie heute kennen, so dass die Grenzer nicht wissen konnten, dass
die Touristin und die Fotografin ein und dieselbe Person war“, sagt sie.
In Ostberlin stieß sie schnell auf die oppositionellen Kirchenkreise,
lernte die Aktivisten der Umweltbibliothek der Zions-Gemeinde in
Berlin-Mitte kennen. Ein Foto zeigt den Umweltschützer Wolfgang Rüddenklau,
der scheu in die Kamera blickt, vor ihm eine Reihe Stühle, mit
Papierstapeln belegt.
Es ist kein besonders ausgefeiltes, künstlerisches Bildwerk, sondern ein
schlichtes Dokument, was an der damaligen Situation lag: „Auf den Stühlen
waren die ‚Umweltblätter‘ ausgebreitet, eine Zeitschrift, die es eigentlich
nicht geben durfte, und ich hatte Angst und mein Protagonist hatte Angst,
dass gleich jemand reinkommt und das entdecken würde – also habe ich ganz
schnell ein Bild gemacht.“
Was sie bis heute wundert: Dass das quirlige alternative Leben in
Westberlin mit seinen damals 200 besetzten Häusern kaum Berührung mit dem
widerständigen Leben in Ostberlin hatte. „Auch in progressiven oder linken
Kreisen war die Opposition in der DDR kein Thema, dabei hätte man die doch
unterstützen müssen“, erzählt sie. „Westberlin war eine Insel für sich …
dass es eine andere Seite gibt, war nicht präsent. Die Mauer wurde bunt
bemalt wie ein Möbelstück.“
Dann kam der im Herbst 1989. Am 9. November sah sie im Fernsehen, was
geschieht: „Ich habe mir einen Schwung Filme genommen und war die ganze
Nacht lang unterwegs.“ Rührend im besten Sinne ist ein Bild aus der
Bernauer Straße, das sie fotografierte:
Eine Frau steht in einem Loch, das in die Mauer geschlagen wurde, schaut
halb neugierig, halb ängstlich um die Ecke; ein Grenzer gibt ihr ein
Handzeichen nicht weiterzugehen, sieht aber nicht sehr entschlossen aus,
sie auch aufzuhalten. „Es war ja überall diese Unsicherheit“, sagt Jansson:
„Komm ich wieder zurück? Darf man oder darf man nicht auf die andere Seite
gehen? Und was ist da überhaupt?“
Ein Kohlekumpel mit rußgeschwärztem Gesicht steht auf einem der Fotos in
einem ehemaligen HO-Markt und schaut ratlos auf die fast leergeräumten
Regale, bevor am nächsten Tag die D-Mark alles übernimmt. Ein Arbeiter fegt
auf einem anderen Bild im Transformatorenwerk Berlin-Köpenick die
Produktionshalle, allein auf weiter Flur. Er wird nicht nur seinen Job
verlieren.
Jansson fotografierte, wie die sowjetische Armee abrückt – und hier gibt es
ein besonders intensives Bilderpaar: Zwei Soldaten in Ausgehuniform tragen
ihre Koffer davon, und schaut man auf die bröckelnden Fassaden im
Hintergrund, dann könnte es 1945 sein.
## Weder Nostalgie noch Folklore
Auf dem Bild nebenan dagegen hat sich ein russisches Paar am Ufer von einem
der Berliner Seen niedergelassen: entspannt schauen sie aufs Wasser, die
Frau trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck der Reichskriegsflagge der
deutschen Marine. Drei Neonazis, halbe Kinder noch, posieren vor viel zu
großen Fahnen.
Diesem bedrückenden Dokument hat Jansson ein Foto gegenübergehängt, mit dem
die Ausstellung endet: Ein wuchtiges Schwarz-Weiß-Foto zeigt das
Lagergelände von Auschwitz. „Das es da so und groß hängt, ist für mich ein
Statement“, sagt sie. Als sie das Bild 1988 in Auschwitz fotografierte,
ahnte sie noch nicht, was sie später in Rostock-Lichtenhagen ablichten
würde.
Und dann ist da noch ein zweites letztes Foto. Es zeigt zwei Mädchen,
vielleicht Zwillinge, die hübsch angezogen im Fenster einer
Plattenbauwohnung stehen und lachen. Wenn man will, schauen diese beiden
Kinder auf diese Ausstellung, die so wunderbar von all den Umbrüchen nicht
nur in Berlin zwischen 1980 bis Mitte der 1990er-Jahre erzählt, ohne je
nostalgisch oder folkloristisch oder gar rechthaberisch zu sein.
6 Dec 2019
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Wende
Zeitgeschichte
Fotografie
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