# taz.de -- Vorschlag für neues Schulsystem: Jedem Kind die eigne Zeit | |
> Die Linke legt einen Entwurf für ein neues inklusives Hamburger | |
> Schulgesetz vor. Mit-Autor war Ex-Staatsrat Ulrich Vieluf. | |
Bild: Neigungen sind Ergebnisse von Bildung: Schulklasse im Museum | |
HAMBURG taz |SPD, CDU, FDP und Grüne haben sich kürzlich auf eine | |
Verlängerung des „[1][Schulfriedens]“ geeinigt, das heißt, das Gymnasium | |
wird nicht angetastet. Die Linke macht da nicht mit. Sie legte gestern ein | |
[2][121-Seiten-starkes Schulgesetz] vor, das zeigt, wie es anders gehen | |
kann. Der eigene Paragraf fürs Gymnasium fällt darin weg. Diese Schulen | |
dürfen sich weiter so nennen und ein Abitur nach acht Jahren anbieten, aber | |
sie dürfen nicht mehr Kinder wegen mangelnder Leistung abschulen. | |
Nun wird die Linke vermutlich nicht nach der nächsten Wahl mitregieren. | |
Aber auch aus der Opposition heraus ließen sich Initiativen entwickeln und | |
„Erwartungsdruck auf die Regierung ausüben“, sagt die Schulpolitikerin | |
Sabine Boeddinghaus. Der Kerngedanke sei, dass jede Schule „volle | |
Verantwortung für ihre Schüler übernimmt“. | |
Das heißt: Ab der 5. Klasse gibt es schlicht die „Weiterführende Schule“ | |
(Paragraf 15), das kann eine Stadtteilschule, ein Gymnasium oder eine | |
Sonderschule sein. Im Zuge einer echten Inklusion soll es auch | |
Sonderschulen erlaubt sein, alle Kinder aufzunehmen. Hörende könnten an | |
einer Schule für Gehörlose Gebärdensprache lernen. Jedes Kind, das | |
„spezifische Unterstützungsleistungen“ für die Teilhabe braucht, soll die… | |
bekommen. Auf den Begriff „sonderpädagogischer Förderbedarf“ wird | |
verzichtet. | |
Das Motto soll sein: „lernen im eigenen Takt“, sprich jedem Kind die eigne | |
Zeit. Alle Kinder lernen bis Klasse zehn zusammen. Danach können sie eine | |
Ausbildung beginnen oder in eine Oberstufe eintreten. Das Besondere: Ab | |
Klasse elf gibt es eine „Einführungsstufe“, die ein oder zwei Jahre dauern | |
kann. | |
## Schulweglänge oder Los entscheiden | |
„Es gibt junge Menschen, bei denen in Klasse 11 die Deutschkenntnisse noch | |
nicht ausreichen, um den fachspezifischen Anforderungen der Oberstufe | |
gerecht zu werden“, erläutert der Schulforscher Ulrich Vieluf, der am | |
Gesetz mitschrieb. Damit diese „Deutsch-Barriere“ sie nicht hindere, ihr | |
Potential zu entfalten, bräuchten manche zwei Jahre Vorbereitungszeit und | |
damit 14 Jahre bis zum Abitur. | |
Das neue Schulsystem wäre radikal offen. Kein Kind darf aufgrund von | |
Herkunft oder einer Behinderung vom Besuch der „Schule seiner Wahl“ | |
ausgeschlossen werden, heißt es in der Präambel. Ist die Kapazität einer | |
Schule erschöpft, sollen die Schulweglänge oder das Los entscheiden „ohne | |
Ansehen der Person“. Bildungskonferenzen sollen „regionale | |
Schulentwicklungspläne“ erarbeiten. | |
Im Paragraf 1 des gültigen Gesetzes steht, jeder junge Mensch habe das | |
Recht, sich nach seinen Fähigkeiten, Neigungen und Möglichkeiten zu bilden. | |
Diese drei Einschränkungen würden gestrichen. Denn sie seien bereits | |
Ergebnisse und nicht Voraussetzungen von Bildungsprozessen, und „Begriffe | |
aus dem 19. Jahrhundert“, sagt Vieluf. | |
Es impliziere, das Kind müsse zur Schule passen und nicht die Schule zum | |
Kind. Hier verändere das Gesetz die Perspektive. „Es gibt einen | |
Rechtsanspruch auf individuelle Lernförderung“, erläutert Vieluf. „Kein | |
Gymnasium kann mehr sagen: Der Schüler passt nicht zu uns.“ | |
Die Linke will das Gesetz zur Diskussion stellen und nach der Wahl ins | |
Parlament einbringen. Der Entwurf gilt als ein Vorschlag zur echten | |
Umsetzung der UN-Behinderten- und UN-Kinderrechtskonvention. Ulrich Vieluf | |
war Staatsrat unter der Schulsenatorin Christa Goetsch (Grüne), die 2009 | |
versuchte, die sechsjährige Grundschule einzuführen. | |
„Damals haben wir weniger Empirie gehabt“, sagt Vieluf. Heute wisse man | |
besser, worin die Verzögerungen in Bildungsverläufen liegen können und „wie | |
individuelles Lernen gut funktioniert“. | |
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde nachträglich im dritten Absatz | |
um den Satz „ Jedes Kind, das,spezifische Unterstützungsleistungen’ für d… | |
Teilhabe braucht, soll diese bekommen.“ ergänzt. | |
25 Nov 2019 | |
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[1] /Hamburger-Vorwahlkampf/!5586204 | |
[2] http://www.linksfraktion-hamburg.de/schulgesetz | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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