# taz.de -- Paket zu Justizreformen im Bundestag: Für straffere Strafprozesse | |
> Die Koalition plant auf Vorschlag der Justiz Einschnitte bei Beweis- und | |
> Befangenheitsanträgen. Anwälte und Opposition kritisieren das Vorhaben. | |
Bild: Auch sie muss effizienter arbeiten: Justizia | |
Freiburg taz | „Das ist ein bis dato kaum denkbarer Raubbau an | |
Justizgrundrechten“, protestieren die Strafverteidiger-Vereinigungen. | |
Gemeint ist der Gesetzentwurf der [1][Großen Koalition] zur „Modernisierung | |
des Strafverfahrens“, der an diesem Donnerstag erstmals im Bundestag | |
beraten wurde. Die Anwälte kritisieren vor allem Einschränkungen bei | |
Beweis- und bei Befangenheitsanträgen. | |
„Wir wollen verhindern, dass Strafprozesse erheblich verzögert werden oder | |
gar platzen, weil Verfahrensrechte missbraucht werden“, sagte Johannes | |
Fechner, der rechtspolitische Sprecher der SPD. Seine CDU-Kollegin | |
Elisabeth Winkelmeier-Becker erinnerte an den Prozess gegen 26 Neonazis vom | |
Aktionsbüro Mittelrhein, der 2017 nach viereinhalb Jahren eingestellt | |
wurde, als der vorsitzende Richter in Pension ging. „Zuvor gab es 240 | |
Beweisanträge und 500 erfolglose Befangenheitsanträge“, so | |
Winkelmeier-Becker. | |
Schon bisher können Beweisanträge abgelehnt werden, wenn sie „zum Zweck der | |
Prozessverschleppung gestellt“ wurden. In der gerichtlichen Praxis wird | |
dieser Ablehnungsgrund aber wenig genutzt. Denn bisher musste ein | |
derartiger Beweisantrag geeignet sein, den Prozess „erheblich“ zu | |
verzögern. Auf dieses Merkmal will die Koalition künftig verzichten, es | |
genügt dann eine vermeintliche Verschleppungsabsicht. Außerdem sollen | |
solche Anträge künftig leichter abgelehnt werden können, indem ihnen von | |
vornherein der Charakter eines „Beweisantrags“ verweigert wird. | |
Heftige Kritik der Anwälte findet auch die von der Bundesregierung geplante | |
Verschärfung des Befangenheitsrechts. Ein abgelehnter Richter soll künftig | |
zwei Wochen weiterverhandeln können, bis über den Antrag entschieden ist. | |
Der Deutsche Anwaltverein befürchtet, dass keine „unbeeinflusste | |
Entscheidung“ über den Befangenheitsantrag mehr möglich ist, wenn bei einer | |
Stattgabe bis zu zwei Wochen Prozessgeschehen wiederholt werden müssten. | |
## Die Richter sind dafür | |
Dagegen hatte der Deutsche Richterbund die Vorschläge der Koalition als | |
„erfreulich“ bewertet. Sie könnten „die Verfahrensführung vereinfachen, | |
ohne berechtigte Interessen der Angeklagten zu beschneiden“. Das Lob | |
wundert nicht, die Koalition hatte vor allem Vorschläge aus der Justiz | |
aufgegriffen. | |
Die Opposition im Bundestag schlug sich aber eher auf die Seite der | |
Anwälte. FDP, Grüne und Linke kritisierten die Verschärfungen im | |
Verfahrensrecht. „Es wäre ehrlicher, von einem Gesetz zur Beschneidung von | |
Beschuldigten- und Angeklagtenrechten zu sprechen“, sagte Friedrich | |
Straetmanns, Abgeordneter der Linken. Auf den Neonazi-Prozess von Koblenz | |
ging allerdings keiner der Kritiker ein. | |
Überraschend kündigte Justiz-Staatssekretär Christian Lange (SPD) im | |
Bundestag die Einsetzung einer Expertenkommission an. Sie soll prüfen, „ob | |
und wie Strafverfahren audio-visuell dokumentiert werden können“. Bisher | |
sind Ton- und Bild-Aufzeichnungen von Strafprozessen auch für interne | |
Zwecke nicht erlaubt, die Richter stützen sich auf ihre handschriftlichen | |
Notizen. | |
Deutschland ist hier international belächeltes Schlusslicht, weil die | |
Richter bisher jede Reform ablehnen. FDP, Grüne und Linke begrüßten Langes | |
Ankündigung. „Vielleicht kommt es ja noch zu einer wirklichen | |
Modernisierung“, erklärte die Grüne Canan Bayram. Die CDU/CSU sagte | |
zumindest nichts gegen die Ankündigung des Staatssekretärs. | |
Das Gesetzespaket zur Modernisieriung der Strafverfahren umfasst 12 | |
Einzelpunkte, unter anderem die [2][DNA-Analyse von Tatortspuren auf | |
Hautfarbe und Alter des mutmaßlichen Täters]. Nächsten Montag ist eine | |
Experten-Anhörung vorgesehen. Schon Ende der Woche soll das Paket im | |
Bundestag beschlossen werden. | |
7 Nov 2019 | |
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[1] /Halbzeitbilanz-der-Grossen-Koalition/!5639201 | |
[2] /Justizministerin-zur-DNA-Strafverfolgung/!5625314 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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