Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rassismus in Italien: Die Lehre des Balotelli
> Der italienische Fußballer Mario Balotelli hat ein Zeichen gegen
> Rassismus gesetzt. Jetzt wollen ihn plötzlich alle als Posterboy gegen
> Nazis.
Bild: Allein kann er es nicht schaffen: Mario Balotelli beim Spiel gegen Hellas…
Berlin taz | Am vergangenen Sonntag hat der italienische Fußballstar Mario
Balotelli etwas ins Rollen gebracht, so viel ist mittlerweile klar. Bei
einem Spiel der italienischen Fußballliga Serie A hat er das
Massenspektakel einfach unterbrochen, hat in der 54. Spielminute den Ball
in die Faschokurve der Faschofans des Vereins Hellas Verona geschossen und
anschließend das Feld verlassen, weil er sich nicht länger rassistisch
beleidigen lassen wollte. Weil er es leid war.
Und er bekam Unterstützung. Umarmungen von seinen Mitspielern beim Verein
Brescia Calcio sowie von denen der gegnerischen Mannschaft. Fans
skandierten seinen Namen. Vier Minuten dauerte die Unterbrechung, nur vier
Minuten, bis der in der öffentlichen Wahrnehmung immer zwischen Bad Boy und
verlorenem Sohn changierende Balotelli das Spiel wieder aufnahm.
Vier Minuten, die möglicherweise mehr bewirken werden als Dutzende
Sitzungen und Appelle gegen den Rassismus im italienischen Fußball zuvor.
Balotelli, schreibt der Corriere della sera, sei nun endgültig das Gesicht,
das „testimonial“ für diesen Kampf geworden. Mittlerweile wird sogar
diskutiert, ihn wieder in den Kreis der Nationalmannschaft aufzunehmen.
Einer soll also richten, was die Gesellschaft kaputt macht. Wenn Maurizio
Sarri, Trainer von Juventus Turin, in seinem Statement zur Partie vom
Sonntag sagt, man müsse nun „den Einzelnen“ für seine Taten zur
Rechenschaft ziehen anstatt Stadien oder Fankurven zu sperren, dann
markiert das ziemlich exakt die Grenze zwischen Erkenntnis und
Verharmlosung des Problems.
## Das faschistische Verona
Der Einzelne hat in diesem Fall nämlich tatsächlich einen Namen: Luca
Castellini. Castellini, 44, ist Chef der Ultras von Hellas Verona. Und er
ist „Koordinator für Norditalien“ der faschistischen Partei Forza Nuova.
Als Hellas im Sommer in die erste italienische Liga aufstieg, [1][zogen er
und seine Kameraden von Hakenkreuzen singend durch die Stadt.] Castellini
sagte, dieses Aufstiegsfest habe man nur einem zu verdanken: Adolf Hitler.
Nach Sonntag endlich hat der Verein gegen diesen Nazi [2][eine
Stadionsperre bis 2030 verhängt und den Block „seiner“ Kurve für genau ein
Spiel geschlossen] . Eine vorhergehende Sperre war offensichtlich reine
Kosmetik geblieben – ein immer fatales Signal im Kampf gegen die
Rechtsextremen.
Es gibt Gründe, warum das Selbstverständliche erst jetzt wohl tatsächlich
durchgesetzt wird. Castellini ist lokal und national gut vernetzt. Auf
einem Forza-Nuova-Anti-Abtreibungskongress im vergangenen November,
[3][über den die taz berichtete,] trat er selbstverständlich auch auf.
Damals beklagte er sich weinerlich, abends beim Bier seien die Freunde der
rechten Stadtregierung alle seine „Kameraden“, aber wenn es darum gehe, auf
dem Kongress zu erscheinen, dann kniffen sie.
Für diese seit Jahrzehnten bewiesene, enge und taktisch je nach
Interessenlage gefeierte oder feig-frech verleugnete Verbindung von
bürgerlichen und extremistischen Rechten, von Neofaschismus und Legismus
steht auch der Bürgermeister von Verona, Federico Sboarina, als ehemaliger
Sportreferent mit besten Verbindungen zu den rechtsextremen Hellas-Fans.
## „Wir brauchen solche Typen nicht“
Im Stil eines Mafiabosses bestritt Sboarina, dass es überhaupt rassistische
Chöre seitens der Ultras gegeben habe, und bezichtigte Balottelli, eine
ganze Stadt und ihren Verein in den Dreck zu ziehen. Verona ist übrigens
die Partnerstadt von München. Wie lange man mit einer so fragwürdigen
Administration noch ein freundschaftliches Verhältnis pflegen will, ist
eine Frage, die sich die Verantwortlichen im Münchner Rathaus schon längst
hätten stellen müssen.
Castellinis Verbindungen reichen derweil noch weiter. [4][Ein Foto zeigt
ihn bei einer Demonstration vor vier Jahren zusammen mit dem aus Verona
stammenden Lorenzo Fontana], ultrakonservativer Familienminister der im
Sommer geplatzten Regierung Lega/Fünf-Sterne. Und Legaboss Matteo Salvini
kommentierte, an Balotelli denke er ganz zuletzt, „wir brauchen solche
Typen nicht“.
„Typ“ oder „Testimonial“: In einer Gesellschaft, in der die Verharmlosu…
des historischen Faschismus wie die Durchdringung durch rechtsradikale
Netzwerke weit fortgeschritten ist, kann auch ein „Super Mario“ Balotelli
die Partie nicht alleine für alle gewinnen. Auch wenn er am Sonntag i[5][n
der 85. Minute noch ein wunderschönes Tor für Brescia geschossen hat] – am
Ende stand es trotzdem 2:1 für Verona.
6 Nov 2019
## LINKS
[1] https://www.repubblica.it/cronaca/2019/06/07/news/_siamo_una_squadra_a_form…
[2] https://www.theguardian.com/football/2019/nov/05/verona-ban-ultras-leader-o…
[3] /efr/2/
[4] https://www.ilpost.it/giuliasiviero/2019/11/04/verona-e-lhellas/
[5] https://www.youtube.com/watch?v=msx2SrQhdVE
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Fußball
Italien
Mario Balotelli
Sexualisierte Gewalt
Faschismus
Schwerpunkt Rassismus
Antisemitismus
Frauenrechte
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Umstrittenes Denkmal in Italien: So offen, so brutal
Indro Montanelli gilt als Gottvater des Journalismus in Italien. Weil er
ein rassistischer Vergewaltiger war, fordern Einige den Abriss der Statue.
75 Jahre Befreiung Italiens vom Faschismus: Pfade der Gerechten
Giacomina Castagnetti hat Deserteure versteckt. Francesco Bertacchini
bekämpfte die Deutschen mit der Waffe. Heute führen sie über die
Partisanenpfade.
Rassistische Schmähungen im Fußball: Doppelte Missachtung
Was Rassismus ist, weiß die italienische Zeitung „Corriere dello Sport“
besser als die Opfer. Dafür wird sie nun heftig kritisiert.
Antisemitismus und Rassismus in Italien: Polizeischutz für Shoah-Überlebende
Die Auschwitz-Überlebende Liliana Segre wehrt sich gegen Hass. Deshalb wird
sie so sehr bedroht, dass nun Polizisten sie überallhin begleiten.
Ultrakonservativer Kongress in Verona: Beten gegen „Genderideologen“
Auf dem „World Congress of Families“ plädiert Italiens Innenminister für
mehr „eigene“ Kinder und weniger Migration. Zehntausende protestieren.
Europaweite taz-Recherche: Die unheilige Allianz
Wie sich christliche FundamentalistInnen, radikale AbtreibungsgegnerInnen
und rechte Parteien verbünden, um an die Macht in Europa zu gelangen.
Mario Balotelli greift Lega-Senator an: „Schämt euch!“
Fußballprofi Mario Balotelli ist wütend. Denn Italiens erster schwarzer
Senator Toni Iwobi trat für die falsche Partei an – die ausländerfeindliche
Lega.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.