# taz.de -- Ultrakonservativer Kongress in Verona: Beten gegen „Genderideolog… | |
> Auf dem „World Congress of Families“ plädiert Italiens Innenminister für | |
> mehr „eigene“ Kinder und weniger Migration. Zehntausende protestieren. | |
Bild: Feministische Gruppen, NGOs, Gewerkschaften, Parteien: der Protest in Ver… | |
VERONA taz | Luftballons in Blau und Rosa wehen über den Köpfen der | |
Menschen. Kreuze ragen vereinzelt in den Himmel. Tausende Menschen haben | |
sich am Sonntag in der norditalienischen Stadt Verona zu einem „Marsch für | |
die Familie“ versammelt. Es ist die Abschlussveranstaltung des [1][World | |
Congress of Families], des größten Treffens der globalen | |
[2][Anti-Choice-Gemeinde], die sich gegen die Ehe für alle, gegen Rechte | |
für LGBTI und gegen Schwangerschaftsabbrüche starkmacht. | |
Auf ein Plakat, das ein Mann trägt, ist ein Herz gemalt, in dem zwei | |
goldene Eheringe ineinander verschränkt sind. „Nur eine Familie“ steht | |
darunter. Priester und Nonnen sind dabei, doch vor allem Paare, viele mit | |
Babys und kleinen Kindern. Sie sind gekommen, um die „natürliche“ Familie | |
aus Mann, Frau und möglichst vielen Kindern gegen ihre „Feinde“ zu | |
verteidigen. | |
Drei Tage lang propagieren die Erzkonservativen in Verona ihr Weltbild. Zu | |
den aggressivsten Rednern zählt Ignacio Arsuaga. Der Gründer der spanischen | |
Kampagnenorganisation „CitizenGo“, die in mehr als 50 Ländern etwa gegen | |
die Ehe für alle und Schwangerschaftsabbrüche mobilmacht, nimmt in seinem | |
Vortrag kein Blatt vor den Mund. „Die Feinde der Familie“, sagt er, „haben | |
viele Gesichter.“ Es seien die radikalen Feministen, die ihre Ideologie auf | |
„uns alle“ ausdehnen wollten. Es sei die Abtreibungsindustrie, die mehr | |
Geld verdienen und mehr Babys umbringen wolle. Es seien die | |
„Genderideologen“, die die „Hirne unserer Töchter und Söhne kontrollier… | |
und uns zum Schweigen bringen wollen“. | |
Arsuaga weiß die Stimmung der TeilnehmerInnen zu steuern. Nicht nur die | |
Feinde des „Kulturkampfes“, den er und die rund 1.500 weiteren | |
TeilnehmerInnen des Kongresses führen, prangert er bei seiner Rede am | |
Freitag an. Auch die Strategien, mit denen er den „Krieg“ gegen diese | |
Feinde gewinnen will, benennt er. Netzwerken, wie hier beim Kongress, ist | |
eine solche Strategie. Globale Kampagnen starten, wie er selbst es mit | |
seiner Organisation CitizenGo macht, ist eine weitere. CitizenGo | |
kooperierte in Deutschland etwa mit Hedwig von Beverfoerdes Aktionsbündnis | |
„Demo für alle“ und unterstützte 2018 eine bundesweite Bustour gegen | |
„Frühsexualisierung“, also gegen Sexualaufklärung. | |
Neben Beten – Applaus – sei es vor allem wichtig, den Weg „an die Macht�… | |
gehen, sagt Arsuaga. Dass der World Congress of Families, der in der | |
US-amerikanischen religiösen Rechten beheimatet ist und seit Ende der | |
1990er Jahre in annähernd jährlichem Rhythmus stattfindet, in diesem Jahr | |
Station in Italien macht und engste Verbindungen mit der rechten | |
Regierungspartei Lega pflegt, dürfte Arsuagas Vorstellungen ziemlich genau | |
entsprechen. Diese Strategie soll offenbar fortgesetzt werden. Dem | |
Vernehmen nach könnte der Kongress 2020 in Brasilien stattfinden. | |
Längst reichen die Netzwerke der Erzkonservativen bis in den Vatikan, hin | |
zu russischen Oligarchen, ins EU-Parlament. Neben Evangelikalen und | |
KatholikInnen sind zwei Monate vor der Europawahl auch Mitglieder des | |
Europäischen Parlaments als RednerInnen nach Verona geladen, der Franzose | |
Nicolas Bay, Generalsekretär des Rassemblement National, und Elisabetta | |
Gardini von der italienischen Forza Italia, zudem weitere MinisterInnen wie | |
die ungarische Familienministerin Katalin Novák. Auch der AfD-Politiker | |
Maximilian Krah taucht auf dem Kongress auf und lässt sich mit dem | |
italienischen Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini ablichten. | |
## Verona nennt sich „Stadt für das Leben“ | |
Nach Ungarn, wo Viktor Orbáns Fidesz-Regierung 2017 als erste europäische | |
Regierung enge gemeinsame Sache mit dem Kongress machte und seitdem eine | |
Gebärprämie für „mehr ungarische Kinder“ einführte sowie die Gender Stu… | |
aus dem Land [3][verbannte], ist Italien nun das erste westeuropäische | |
Land, das die Verbindungen zum Kongress ebenso eng pflegt. Seit Juni 2018 | |
regiert hier die populistische Koalition aus 5-Sterne-Bewegung und der | |
rechten Lega. Einig war man sich, was den Kongress angeht, allerdings | |
nicht: Während sich PolitikerInnen der 5-Sterne-Bewegung deutlich von der | |
Veranstaltung distanzierten, hieß ihn die Lega mit offenen Armen | |
willkommen. Der als christlich-fundamentalistisch geltende Familienminister | |
Lorenzo Fontana übernahm die Schirmherrschaft. Und Innenminister Salvini | |
posierte mit dem Vorsitzenden Brian Brown für die Kameras. | |
Bevor Fontana und Salvini am Samstag selbst sprechen, wird zunächst einer | |
der Stargäste des Kongresses auf die Bühne gebeten: die deutsche Fürstin | |
Gloria von Thurn und Taxis. Während die übrigen RednerInnen überwiegend auf | |
Podien sprechen, ist für sie ein Zweiergespräch mit dem Vorsitzenden Brown | |
reserviert – er im grauen Anzug mit weißem Einstecktuch, sie in einem | |
schwarzen Dress, der einem Priestergewand ähnelt. Brown stellt die | |
59-Jährige als ehemalige Punkrock-Prinzessin vor – als „Prinzessin TNT“, | |
die mehr und mehr zum Glauben gefunden habe. | |
Was er nicht sagt: von Thurn und Taxis ist seit Jahren in sogenannten | |
Lebensschutz-Initiativen aktiv und unterstützt die „Demo für alle“ – die | |
Bewegung, mit der auch die spanische Kampagnenorganisation CitizenGo | |
kooperiert. Medienberichten zufolge ist sie mit dem ehemaligen | |
Breitbart-Chef und Ex-Trump-Strategen Steve Bannon befreundet und will eine | |
Sommerschule für PopulistInnen auf ihrem Schloss einrichten. Ihr Interview | |
mit Brown dauert rund eine Viertelstunde, ihre Botschaften sind ganz im | |
Sinne des Kongresses. „Gegen die Familie aktiv zu sein und ein völlig neues | |
Konzept zu promoten, geht gegen die Natur“, sagt sie. Und: Man müsse die | |
„falsche Ideologie“ bekämpfen, die die Familie zerstöre, den natürlichen | |
Nukleus des Menschen. | |
Während die „german princess“ noch auf der Bühne sitzt, sammeln sich rund | |
einen Kilometer Luftlinie entfernt mehrere Zehntausend Menschen, um gegen | |
Positionen wie die der Prinzessin zu protestieren. Zum ersten Mal in der | |
Geschichte des Kongresses hat er mit einer starken Gegenmobilisierung zu | |
kämpfen – was zum einen an der Ortswahl liegen dürfte, zum anderen an der | |
Tatsache, dass die bisherige Strategie der Pro-Choice-Gemeinde darauf | |
zielte, der Veranstaltung nicht zu viel Aufmerksamkeit zu bescheren. | |
Doch in einem Italien, das mit einer populistischen Regierung zu kämpfen | |
hat und mit Gesetzesvorhaben, die etwa Scheidungen erschweren sollen, gehen | |
zum ersten Mal parallel zum Kongress Bilder von Menschen durch die Medien, | |
die Schilder hochhalten, auf denen „My ass, my choice“ steht oder „Wir | |
leben im 21. Jahrhundert und nicht im Mittelalter“. | |
Zu Beginn wurden die Proteste vor allem von der feministischen Gruppe Non | |
una di meno (Nicht eine weniger) vorangetrieben. Nach und nach schloss | |
sich ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis aus NGOs, Gewerkschaften | |
und Parteien an. Die Veranstalterinnen sprechen am Wochenende von rund | |
100.000 DemoteilnehmerInnen, die aus Italien, aus Deutschland, Kroatien | |
oder Großbritannien nach Verona kamen. Die Polizei zählt nur 20.000. Aber | |
für Verona, das historisch enge Verbindungen sowohl zur katholischen Kirche | |
als auch zur Rechten und extremen Rechten pflegt, wäre auch das ein Erfolg. | |
## Uni verweigerte dem Kongress Räume | |
Vor Ort sind viele Frauen und LGBTI, aber auch heterosexuelle Familien. | |
Sechs Frauen in der ersten Reihe der Demo tragen pinke Sturmhauben mit | |
Glitterpailetten und ein pinkes Frontbanner, auf dem „Verona, | |
transfeministische Stadt“ steht. Zu einem Song aus der Rocky Horror Picture | |
Show setzt sich der Zug in Bewegung, eine Gruppe Männer mit schwarzen | |
Netzstrümpfen wird die gesamte Strecke in roten Pumps laufen. „Ich will ein | |
freies, säkulares Land, kein extremistisches Land“, sagt eine Teilnehmerin | |
aus Rom. „Sie sollen sehen, dass sie mit ihren Ideen nicht so einfach | |
durchkommen“, sagt eine andere. | |
Bis auf rund 100 Meter kommt die Demo nach eineinhalb Stunden an den | |
Kongresspalast heran. Als gegen 16 Uhr klar ist, dass dort gleich der | |
Innenminister sprechen wird, werden Sprechchöre gegen Salvini laut. Frauen | |
zünden pinke und rote Bengalos, und den über dem Palast kreisenden | |
Helikoptern wird kollektiv der Mittelfinger entgegengestreckt. Doch die | |
Polizei hat das Gebäude abgeriegelt, PolizistInnen stehen mit Schilden | |
bereit, in den Straßen parken Wasserwerfer. Bis auf wenige kleinere Tumulte | |
bleibt die Lage aber friedlich. | |
Drinnen beteuert Salvini derweil, am Gesetz 194, das in Italien seit 40 | |
Jahren Abtreibung legalisiert, werde sich nichts ändern – wohl auch eine | |
Reaktion auf die neofaschistische Forza Nuova, die ein Referendum | |
angekündigt hat, um dieses Gesetz zu ändern oder abzuschaffen. Und, sagt | |
Salvini: Zu Hause könne zwar jeder leben, wie er wolle. Aber im Amt werde | |
er das Recht eines Kindes verteidigen, Vater und Mutter zu haben. Wie, | |
macht er in einer Ankündigung deutlich: Nach dem Vorbild Ungarns sollen | |
auch in Italien Familien per Gesetz mehr gefördert werden. | |
Ansonsten folgt Salvini der Politik, die er auch jenseits des Kongresses | |
verfolgt: Die eigentliche Gefahr, sagt er, sei nicht, dass der Kongress | |
Frauenrechte einschränken wolle. „Die eigentliche Gefahr für Frauen sind | |
islamistische Extremisten, für die Frauen weniger als nichts wert sind und | |
die hierher nach Italien kommen wollen.“ | |
Keine Migration, sondern mehr eigene Kinder: Das ist die völkische | |
Botschaft Salvinis, das ist die Botschaft des Kongresses. | |
31 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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